Ein Rathaus für Nikolassee
Repräsentatives Gebäude für den Villenvorort
Erschienen in Nikolassee & Schlachtensee Journal Dezember/Januar 2024
Obwohl das Essen im Heinroth’schen Lokal, das zentral gegenüber dem Bahnhof lag, stets gut war, hielt die Gemeindevertretung der jungen Landgemeinde Nikolassee es auf Dauer für ungeeignet als Tagungsort. Eine dauerhafte Lösung musste gefunden werden. Die Verpflichtung der Heimstätten-Aktien-Gesellschaft (HAG), im Rahmen der Planung der Villenkolonie auch ein Gemeindehaus zu bauen, kam den Gemeindevertretern daher sehr gelegen. In der vierten Gemeindevertretersitzung am 21. Juni 1910 stand die Diskussion über den Neubau eines Rathauses ganz oben auf der Tagesordnung. Erste Entwürfe für ein Gemeindehaus gab es bereits seit 1908. Am 3. August 1910 präsentierte Kommerzienrat Krottnaurer als Vertreter der HAG neue Entwürfe für ein Rathaus. Diese fanden jedoch keinen Anklang bei den Gemeindevertretern, die beschlossen, das Rathaus nach eigenen Entwürfen zu bauen. Die HAG zahlte 75.000 Mark und wurde im Gegenzug von ihren Verpflichtungen zum Bau des Rathauses und weiterer Gemeindegebäude befreit.
Auflage zur Kostenreduzierung
Die neu gewählte Rathausbaukommission, bestehend aus Direktor Haag, Professor Schaar, Direktor Schulzenberg, Dr. Koeppel und dem Geheimen Oberbaurat Blum, alle wohnhaft in Nikolassee, ermittelte zunächst den Bedarf an Dienst- und Wohnräumen für das neue Rathaus. Zudem sollte sich eine Feuerwache direkt an das Rathaus anschließen. Die Wahl des richtigen Architekten sorgte für viele Diskussionen. Schließlich fiel die Wahl auf Professor Bruno Möhring, dessen Entwurf großen Anklang in der Gemeindevertretung fand. Am 8. Februar 1911 wurde der offizielle Auftrag erteilt, jedoch mit der Auflage, die veranschlagten Baukosten von 155.000 Mark auf 130.000 Mark zu reduzieren. Dies gelang durch Abstriche bei der Fassaden- und Innenraumgestaltung. Dennoch verzögerte sich der Baubeginn. Da die Gemeindevertretung unsicher war, wie sich die Gemeindefinanzen entwickeln würden, verschoben sie den Bau um einige Monate. Im Februar 1912 stellte sich heraus, dass die finanzielle Situation der Gemeinde Nikolassee besser war als zunächst angenommen. Der Baubeginn auf dem Bauplatz an der heutigen Alemannenstraße 10/Hohenzollernplatz wurde somit am 21. Februar 1912 beschlossen.
Ein Ort als „Jungbronnen“
Der Bau des Rathauses und des Feuerwehrgebäudes schritten schnell voran. So schnell, dass die Nikolasseer ihr neues Rathaus bereits am 30. Juni 1913 bei einem Tag der offenen Tür besichtigen konnten. Zahlreiche Amtsstuben – darunter Standesamt und Meldeamt, der Sitzungssaal, Polizei- und Feuerwehrwache, Arrestzellen und vieles mehr waren im Rathaus vorhanden. Später kam noch eine Filiale der Sparkasse hinzu. Die erste Sitzung des Gemeinderats fand am 15. Oktober 1913 statt. Ein spektakuläres Deckengemälde zierte den Sitzungssaal. Es war das Geschenk eines Nikolasseer Bürgers, Schöpfer war der Maler August Unger, der das Haus Prinz-Friedrich-Leopold-Straße 30 erbauen ließ und dort wohnte. Von ihm stammten auch die Decken- und Wandmalereien im Bremer Rathaus sowie die Innengestaltung der Synagoge an der Fasanenstraße. Sein Gemälde im Rathaus Nikolassee erklärte er so: „Die innige Verschmelzung von Natur und Kunst – sowie das Förderliche des Zusammenwirkens beider für Kultur und Leben in einer tätigen Gemeinde zu erweisen – das war der Leitgedanke meiner Arbeit. Dies sollten sich gerade die Bürger eines solchen Gemeinwesens vor Augen halten, die noch des Glückes teilhaftig sind, mit der herrlichen Natur in innigem Kontakt zu stehen! Wie leicht die schönsten Gegenden durch gewissenlose Spekulation vernichtet werden können, weiß wohl jeder, – bestimmt aber der Bürger Groß-Berlins. Nikolassee soll nach meinem Deckenbilder-Zyklus ein Blumengarten Berlins sein und bleiben. Als einzig schöner Punkt möge unser Ort den Bürgern und Kindern der Reichs-Hauptstadt an frohen Festtagen eine Oase sein, deren Lieblichkeit und idyllische Schönheit so kräftigend wirken soll wie: ‚Ein Jungbronnen‘. Der Bär mit den Putten zeigt also den Zulauf der Berliner zu uns, ‚dem Brunnen’ an.
Nie möge uns Nikolassee der schöne Wald zerstört werden! Welcher unserer Bürger hat wohl nicht bei seinen Wanderungen in unserer Natur viele Getiere des Waldes Rehe, Füchse und Hasen beobachten können; wer hätte nicht voll froher Lust dem süßen Gesange unserer Nachtigallen gelauscht? Oh, dass immer dieser Gottesgarten so erhalten bleiben möge! Zum Hinweis darauf fügte ich die durch Ranken verwobenen Motive – Blumen, Singvögel, Rehe und Füllhörner, aus welch‘ letzteren uns all dieses Glück täglich gespendet wird. […] Darum möge – wie Natur, Tätigkeit und Kunst unserer Gemeinde von Tag zu Tag fördern und harmonisch einen sollen – meine Decke für lange Zeiten einen guten Abschluss unseres Sitzungssaales nach oben bilden.“ (Quelle: Heimatbrief Zehlendorf März 2010)
Das Rathaus heute
Von dem Deckengemälde sind heute nur noch Reste erhalten. Im Jahr 1920 – nur sieben Jahre nach der Fertigstellung – wurde das Rathaus überflüssig. Es teilte das Schicksal vieler anderer Rathäuser, die einst zu selbständigen Verwaltungen gehörten und nun in den Ortsteilen der neu geschaffenen Bezirke standen. Deshalb ließ man es 1934 zur Schule umbauen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog die Pestalozzi-Schule zeitweilig ein. Später lernten die Schülerinnen und Schüler der Dreilinden-Grundschule in dem Gebäude. Die Feuerwache wurde noch bis zum Jahr 1975 genutzt. Sowohl das Rathaus Nikolassee als auch die Feuerwache stehen heute unter Denkmalschutz. Anfang der 1980er-Jahre zog der Polizeiabschnitt 43 in das ehemalige Rathaus und das frühere Feuerwehrgebäude, der es bis heute nutzt.