Flugträume und Burgenbau
Otto Lilienthals Bruder Gustav entwarf Villen und Fluggeräte
Erschienen in Lichterfelde West Journal Dezember/Januar 2024
Bekannte und weniger bekannte Bauten: Die burgenähnlichen Villen, die Gustav Lilienthal (1849 – 1933) entwarf, sind an vielen Stellen in Lichterfelde bis heute zu sehen. Die bekannteste ist sein früheres Wohnhaus in der Marthastraße 5. Einige Häuser wirken ungewöhnlich und erinnern fast an Burgen – doch im Gegensatz zu den Verteidigungsbauten des Mittelalters handelt es sich um zweckmäßige Häuser. Sie sollten schön sein, genügend Platz für Familie und Personal bieten und trotzdem noch bezahlbar bleiben. Die verspielt aussehenden Türmchen waren oft zweckmäßige Abluftschächte und die Gräben dienten dazu, Licht ins Souterrain zu bringen. Besonderheiten wie Rauputz, der mit dem Reisigbesen aufgebracht wurde und sich mit glattem Putz abwechselte, oder der Verzicht auf ein Sockelgeschoss sowie das Treppenhaus als Zentrum der Gebäude machen seine Entwürfe unverwechselbar. Viele von ihm entworfene Häuser stehen mittlerweile unter Denkmalschutz.
Übernachtung für Obdachlose
Weit weniger bekannt sind seine anderen Bauwerke. Eines davon ist der „Saal Altlobetal“. Bei dem Gebäude handelte es sich ursprünglich um die Lazarus-Kapelle, die in Berlin am Ostbahnhof stand. Friedrich von Bodelschwingh, Gründer der Anstalten, ließ die Kapelle abbauen und in Lobetal verändert wieder aufbauen. Hieran war Gustav Lilienthal maßgeblich beteiligt. In Hoffnungstal und Lobetal bei Bernau wurde Obdachlosen und Wanderarbeitern geholfen. Sie waren auf der sozialen Leiter ganz unten. So zählen die Schlafbaracken, die Gustav Lilienthal entwarf, zu den wichtigsten Bauten. Hier durfte jeder übernachten, der bereit war, die Übernachtung am nächsten Tag durch Arbeit abzuzahlen. Gustav Lilienthal war zudem Architekt für viele Häuser der vegetarischen Obstbaukolonie Eden bei Oranienburg und gilt als Wegbereiter der Fertigbauweise. Außerdem war er Gründungsmitglied der Bau-Genossenschaft Freie Scholle im Norden von Berlin.
Der Traum vom Fliegen
Gustav Lilienthal war vielseitig interessiert, sein Beruf als Architekt war nur ein Teil seines Lebens. Gemeinsam mit seinem Bruder Otto entwickelte er nach der Idee des Pädagogen Fröbel den Steinbaukasten, der nicht nur Kindern pädagogisch wertvolles Spielen und Gestalten ermöglichen sollte. Da der wirtschaftliche Erfolg ausblieb, verkauften sie das Patent an den Thüringer Unternehmer Adolf Richter, bei dem die Erfindung als Richters Anker Baukasten ein Verkaufsschlager wurde. Gemeinsam träumten sie den Traum vom Fliegen und entwickelten ihre Flugapparate. Nach Ottos Tod bei Flugversuchen stellte Gustav diese Arbeit vorläufig ein, verlor aber nie das Interesse am Fliegen. Als er 1933 mit 83 Jahren starb, war er gerade auf dem Weg zum Flughafen Adlershof, auf dem er an dem von ihm entworfenen Flügelschlagflugzeug weiter arbeiten wollte.