Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Februar 2022
Friedenau hat in seiner Geschichte viele interessante und berühmte Bewohner hervorgebracht. Zwei von ihnen leben in der Friedenauer Hackerstraße: Evelyn Weissberg und Hermann Ebling, Gründer des Verlags „edition Friedenauer Brücke“, teilen sich rund 130 Quadratmeter mit tausenden von Büchern und ihrem über Jahre angelegten Archiv. Wahre Schätze – überwiegend Friedenauer Stadtgeschichte – füllen Schubladen und Regale, darunter Briefe, Tagebuchnotizen, Postkarten und alte Abbildungen. Kaum ein Flohmarkt, auf dem die Verleger nicht schon fündig geworden sind. Treibende Kraft dabei ist Hermann Ebling, leidenschaftlicher Amateurhistoriker, der längst zum Profi arriviert ist. Die Diplom-Designerin und Meisterschülerin, die u. a. an der Hochschule der Künste in Berlin Informationsgrafik studiert hat, und der Tonmeister und Fotograf, der mehr als 35 Jahre in der Filmbranche tätig war, bringen ihre tiefe Verbundenheit zu Friedenau in jedem ihrer Werke zum Ausdruck.
Aus ganzem Herzen und mit großem Sachverstand editiert das ortskundige Paar seit dem Jahr 2006 seine Publikationen, die den Geist Friedenaus in sich tragen und dem Leser Geschichte(n) dieses Ortsteils vermitteln: lesefreundlich, behutsam und nachhaltig, dabei aber immer spannend. Ihre Bücher legt man bedacht bei Seite, um sie bei nächster Gelegenheit wieder möglichst schnell zur Hand zu haben: Für eine Erkundungstour durch Friedenaus Straßen mit „Entlang der Rheinstraße – Friedenau erzählt 1945-1963“ oder über einen der gemütlichen Wochenmärkte mit „Markttage in Friedenau“ in der Hand. Und auch der 2019 erschienene „Geist von Friedenau“ als Zeitreise durch das Labyrinth des Herrn von Carstenn führt Leser in Friedenauer Jahre zwischen 1890 und 1960.
Evelyn Weissberg verrät: „Wir schreiben keine Bücher im eigentlichen Sinne, sondern geben sie heraus. Wenn wir eines unserer Werke in den Händen eines erkundungshungrigen Spaziergängers entdecken – was übrigens häufiger vorkommt -, macht uns das stolz. Es gibt Leser, die jede Woche eine andere Friedenauer Straße erkunden, von unseren Büchern inspiriert.“ „Schmökerbücher“ nennt das Paar seine Verlagswerke, die der Leser und Friedenau-Freund immer wieder gerne zur Hand nimmt, und die nie aus der Zeit kommen. Während Hermann Ebling der geborene „Jäger und Sammler“ für Historisches ist, kann Evelyn Weissberg sich besonders in alten Abbildungen verlieren. „Wir pfuschen uns gegenseitig ins Handwerk“, erklärt sie mit liebevollem Augenzwinkern. Das harmonische Paar, das sich einst in einer Jugendclique in Kaiserslautern kennengelernt hatte und seit nunmehr fast 50 Jahren auch privat erfolgreich verbunden ist, lebt seit 1976 in Friedenau. Seit einem Berlinbesuch hat dieser Ort es nicht mehr losgelassen. Dort haben die beiden Bücherfreunde drei Kinder großgezogen – und einen Familienhund. Diesem Friedenauer Jack Russell Terrier, der die Familie 15 Jahre lang mit Clownerie und Schalk im Hundenacken bei guter Laune hielt und begleitete, ist „Jack – Ein kleines Album für einen großartigen Hund“ gewidmet. Ein Buch, das unbedingt in den Bücherschrank eines jeden Jack-Russell- bzw. Hundefreundes gehört: Kein Ratgeber, keine Rassebeschreibung, aber ein ganz besonderes liebenswertes Kleinod, das in bezaubernden Abbildungen und historischen Fotografien aus über 100 Jahren ein wichtiges Stück Kulturgeschichte birgt und für diesen quirlig-couragierten Terrier mit dem großen Löwenherzen und seine vierbeinigen Verwandten spricht.
Evelyn Weissberg ist im Verlag verantwortlich für das grafische Erscheinungsbild, für die Herstellung der Bücher und die Öffentlichkeitsarbeit. Ehemann Hermann konzipiert indessen die inhaltliche Struktur der Publikationen und schreibt die meisten Begleittexte. So entwickeln beide Hand in Hand qualitativ und inhaltlich einmalige Werke, die Friedenau aus der Seele sprechen, den Leser aber auf ganz besondere Weise erreichen und berühren. Buchgeschäfte und Fachkreise haben den kleinen Verlag, der sich selbst eher als „konzeptlos“ bezeichnet, längst als Geheimtipp abgespeichert. Wie viel Arbeit in jedem neuen Buch der beiden Perfektionisten und Ortskundigen der „edition Friedenauer Brücke“ steckt, wie viel Eigenkapital und Herzblut, lässt sich kaum erahnen. Ein neues Buch ist im Durchschnitt etwa neun Monate in Arbeit, manchmal auch bis zu zweieinhalb Jahre. Irgendwie hatte sich das Verlags-Projekt wie von selbst entwickelt. Und das, obwohl Evelyn und Hermann eigentlich gar keinen Verlag hatten gründen wollen. Sie erinnert sich: „Als ich das erste Mal auf der Leipziger Buchmesse die Halle mit den unzähligen kleinen Verlagen besuchte, dachte ich: Du musst verrückt sein, Bücher machen zu wollen.“ Doch mit ihrem Nischenangebot der „edition Friedenauer Brücke“, das Friedenauer Geschichte in den Mittelpunkt stellt, trafen die beiden Gründer genau ins Schwarze. Das Gemälde der Friedenauer Brücke mit dem Titel „Eisenbahnüberführung 1914“ von Ernst Ludwig Kirchner liegt dem von Evelyn Weissberg entwickelten Verlags-Logo zu Grunde: Schließlich ist der Name des Künstlers fest mit Friedenau verankert und hatten die Verlagsgründer von ihrer damaligen Wohnung aus einen ähnlichen Blick auf die Brücke. Dankbar sind sie in diesen Tagen, dass in Lockdown-Zeiten Bücher als „Grundnahrungsmittel“ eingestuft wurden und sie auch viele engagierte Buchhändler hinter sich und ihrem Angebot wissen.
Erstes Buch dieser nach Evelyns Worten „Erfolgsgeschichte auf lokalem Level“ war im Jahr 2006 „Der Künstlerfriedhof in Friedenau“. „Als dieses Buch entstand, war ich täglich zur Recherche auf diesem Friedhof“, erzählt Evelyn Weissberg, die sich mit ihrem Mann in jede neue Arbeit mit ganzer Person und viel Liebe zum Detail einbringt, so dass sich beide in ihren fertigen Büchern stets wiederfinden. Hermann Ebling betont: „Wir halten es wie Klaus Wagenbach, den Gründer und Verleger des gleichnamigen Berliner Verlages. Er zitierte einmal, was heute auch unser Motto ist: Wir veröffentlichen nur Bücher, von denen wir meinen, dass sie gelesen werden sollten und nicht Bücher, die die Leser wollen.“ Gelesen werden sollten sie dann auch alle: Die beiden Dokumentationen „Friedenau erzählt“, die Geschichten aus der Zeit von 1871 bis 1914 und von 1914 bis 1933 anschaulich vermitteln, das Bilderbuch über „FRIEDENAUER GESCHÄFTE“ und das Lesebuch „Berlin Friedenau 1933-1945“. 2012 war es nach den fünf ersten Verlagsjahren an der Zeit, Resümee zu ziehen. Und so erschien die Broschüre „Fünf Jahre / 5 Bücher“, die die (Verlags)geschichte aus Friedenau zwischen der Verlagsgründung 2006 und 2011 wiedergibt. Ein besonderer Verkaufserfolg wurde 2013 „Berlin um 1950 – Fotografien von Ernst Hahn“, zu dem Dr. Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archives/Museum für Gestaltung das Vorwort verfasst hatte. Dieses inzwischen vergriffene Buch planen die Verleger, die aktuell dem „Unruhestand“ entgegensehen, als nächstes Projekt zu überarbeiten und neu aufzulegen.
Die aktuell 2021 erschienene Hardcover-Ausgabe „FRIEDENAU – aus dem Leben einer Landgemeinde 1871-1905“ zeichnet auf fast 500 Seiten den Weg von der Landhaus-Kolonie zur modernen Berliner Vorstadt. Mit zahlreichen, zum Teil noch nie gezeigte Abbildungen, Originaldokumenten und Plänen zur Geschichte Friedenaus fordert „edition Friedenauer Brücke“ zum Eintauchen in eine vergessene Zeit auf, ohne dabei einem alten Mythos nachzugeben: So hatte das Bezirksamt im vergangenen Jahr Friedenaus 150-Jahrfeier begehen wollen. Doch Weissberg/Ebling stellten klar: Friedenau als Landgemeinde ist erst 1874 gegründet worden. – 1871 wurden auf dem Weg zur Landgemeinde lediglich ein paar wenige Häuser erbaut. So schließt das Buch Wissenslücken, ohne dabei besserwisserisch zu wirken. Vielmehr spiegelt es die Geschichte Friedenaus über liebenswerte Anekdoten und Zeitungsanzeigen tagebuchartig wider, mit manchem Augenzwinkern zwischen den Zeilen und nie langweilig. Die Vorarbeit dazu füllte den Verlegern Lockdown-Wochen und zwang sie, sich dann doch zu beschränken. „Man will immer noch mehr bringen, muss sich aber jedes Mal selbst zurücknehmen, um zum Ende zu kommen und damit es nicht zu viel wird“, erklärt Evelyn Weissberg.
Der ambitionierte Leser braucht also keine Angst zu haben, dass dem Verlegerpaar der „edition Friedenauer Brücke“ das Material und die Lust zum Buchmachen ausgeht und darf auf weitere Arbeiten aus historisch und gestalterisch sicherer Hand gespannt sein. Denn wie sagt Hermann Ebling, der Filmerfahrene: „Unsere Verlags-Idee und die tollen Bücher haben eingeschlagen, das zeigen die letzten 15 erfolgreichen Jahre. Wir schreiben keine Bücher, sondern inszenieren Dokumentationen, stellen uns dabei aber nie schöpferisch selbst in die erste Reihe.“ Vielmehr liefere ihr Verlag chronologisch eine Realitätsmischung und Grundlage aus Zeitungseintragungen, Bildern und Archiv-Texten sowie Vorworte angesehener Persönlichkeiten, die schließlich ein Gewebe bilden, das die Menschen anstößt, sich historische Gedanken zu machen. – Ein Erfolgsrezept, das Appetit auf mehr macht.
Ausgaben der „edition Friedenauer Brücke“ sind im Friedenauer Buchhandel sowie direkt über den Verlag erhältlich. Näheres unter www.friedenauer-bruecke.de .
Jacqueline Lorenz
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