Pracht-Douglasie statt Panne-Tanne
Von Lichterfelde zum Breitscheidplatz
Erschienen in Gazette Wilmersdorf Dezember 2024
Als die kleine Douglasie im Topf vor fast 40 Jahren im Wohnzimmer der Familie Niendorf das Weihnachtslicht der Welt erblickte, hätte sie sich wohl kaum träumen lassen, einmal als strahlender Weihnachtsbaum am Breitscheidplatz alle Blicke auf sich zu ziehen. Von vielen umgangssprachlich als „Tanne“ bezeichnet, handelt sich genau genommen bei ihr um einen Abkömmling der Kieferngewächse – mit im Gegensatz zur Tanne hängenden Zapfen.
Als Mutter Niendorf den Baum im Topf vor vier Jahrzehnten für das heimische Weihnachtszimmer am Stephaniweg 13 in Lichterfelde Ost erwarb, war diese eigentlich in Kanada beheimatete Sorte bei uns noch etwas Besonderes. „Meine Mutter achtete eigentlich immer darauf, günstig einzukaufen“, wundert sich Sohn Mario heute über diesen damals so speziellen Kauf. – Eine gute Wahl der Mutter, wie sich zeigen sollte. Denn Douglasien gelten als relativ trocken- und hitzeresistent, sodass ihnen auch klimawechselbedingte heiße Sommer weniger anhaben können als anderen Nadelgehölzen. Damals nach der Weihnachtszeit in den Garten des Hauses gepflanzt, das Mario‘s Großeltern 1961 aus einer Ruine aufgebaut hatten, dankte das Bäumchen der Familie ihre Obhut, indem es zu einer fast 20 Meter hohen Schönheit heranwuchs. Als diese aber nun die darunterliegenden Wasser- und Ölzisternen mit ihren Wurzeln zu sprengen drohte, war Handeln angesagt. „Drei Jahre lang habe ich den Baum den Schaustellern angeboten, nun hat es endlich geklappt“, freuen sich Mario Niendorf und seine Frau Regina über ihre grüne Spende. Einer Genehmigung zur Fällung bedurfte es in Berlin nicht, anders als in Brandenburg.
Vom Garten- zum Weihnachtsbaum
Doch bevor der Baum auf dem Breitscheidplatz in vollem Weihnachtsglanz erstrahlen konnte, gab es viel zu tun: So war schon der halbe Stephaniweg am Morgen des 5. November früh auf den Beinen, um der bedeutsamen Fällung der etwa zwei Tonnen schweren Douglasie beizuwohnen.
Sogar die kleinen Mäuse aus der Kita Petrusheim hatten sich auf den Weg gemacht, und auch aus Steglitz war man extra gekommen, so wie das Rentnerehepaar Heidi und Michael, das sich dieses besondere Ereignis in ihrem Bezirk nicht entgehen lassen wollte. „Wir haben ein Herz für besondere Bäume“, erklärt da Heidi und erzählt nebenbei von ihrem uralten Weihnachtsbaumständer mit Holzengeln, den sie vor Jahren vom Sperrmüll an der Rheinstraße gerettet hat, und der nun zu jedem Weihnachtsfest im Einsatz ist. Und sie erzählt von dem auf dem Steglitzer Althoffplatz stehenden alten Maulbeerbaum, dessen knorrige Vertreter auch noch auf dem Friedhof an der kleinen Dorfkirche in Zehlendorf Mitte zu finden sind, und denen sie regelmäßig Besuche abstattet.
Bevor die Douglasie aber an diesem Vormittag nun vor aller Augen vom Lastenkran auf den großen Schwertransporter geladen werden kann, haben Baumkletterer Lars Müller und sein Tischlerkollege sowie der Abteilungsleiter der Transportfirma, Robert Schär, mit ihrem Team alle Hände voll zu tun, den Baum gut zu sichern, damit er seinen „Höhenflug“ auf die Ladefläche heil übersteht.
– Eine kleine Hürde gibt es für Müller, der mit diesem eingespielten Team die Weihnachtsbäume für den Breitscheidplatz seit Jahren von der Fällung bis zum Aufstellen begleitet, dann doch noch bei seinem aktuell 13. Baum: Die Douglasie hat zwei Spitzen, ist dazwischen bereits gerissen. Eigentlich soll die Krankette an der Spitze befestigt werden. Doch das ist Müller in diesem Fall zu instabil. „Also sichere ich etwas weiter unten“, erklärt der Fachmann. Gesagt, getan. Etwas später schwebt der Baum über den Köpfen der Schaulustigen und wird auf die Ladefläche „eingeparkt“. Viele Hände sind dazu nötig, alle arbeiten reibungslos. „Wir transportieren häufig Brückenteile, aber auch Kunstwerke. Das schwerste war die Plastik ‚Berlin Block vor Charlie Chaplin‘, ein 70 Tonnen schwerer massiver Stahlwürfel“, erzählt Robert Schär vom Transportunternehmen. Die Fahrt des Baumes zum Breitscheidplatz erfolgt als Großraumtransport dann in später „Nacht- und Nebelaktion“.
Zeit genug für Familie Niendorf, sich von ihrem Hausbaum gebührend zu verabschieden. „Er wird uns schon fehlen“, sagt Regina mit Blick auf die Stelle, wo er zuvor stand, und eine Nachbarin nickt zustimmend. Jetzt sitzt der steinerne Hofhund dort, ein kleiner Trost. Doch dass es nun weniger weihnachtlich im Hause Niendorf zugehen könnte, ist nicht zu befürchten. Ihr Haus ist in der ganzen Gegend bekannt für sein liebevolles Weihnachtsgesicht: Mit Rentieren, Weihnachtsmann und bunt geschmückten Fenstern ist es alle Jahre wieder beliebtes Spazierziel für nicht nur Kita-Kinder. „Vielleicht schauen wir in der Adventszeit auch wieder vorbei“, meint Heidi. Auf jeden Fall wollen sie und ihr Mann die Douglasie in ihrem leuchtendem Festtagskleid später am Kudamm besuchen.
Dort ist sie inzwischen unversehrt angekommen und von Michael Roden, 1. Vorsitzender des Schaustellerverbandes Berlin e. V., in Empfang genommen worden. Lichtmeister Andreas Boehlke hat das Prachtstück geschmückt und ihm so den weihnachtlichen Glanz verliehen. Bis ins neue Jahr ist die Douglasie nun Highlight des Weihnachtsmarktes an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Danach wird sie wohl gleich um die Ecke den Zoo-Elefanten in rüsselgerechten Stücken zum Neujahrs-Frühstück serviert werden.
Jacqueline Lorenz