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Queeres Leben in Steglitz-Zehlendorf

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf diskutiert

Regenbogenflagge vor dem Rathaus Zehlendorf. Foto: BA SZ
Regenbogenflagge vor dem Rathaus Zehlendorf. Foto: BA SZ
Erschienen in Gazette Steglitz und Zehlendorf Juli 2025

Mit der Einführung der sogenannten dritten Option „divers“ im Jahr 2018 gehört Deutschland zu den wenigen Staaten weltweit, die die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern offiziell anerkennen. Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland damit eine Vorreiterrolle ein. Doch bei der Umsetzung z. B. des neuen Personenstandsgesetzes gibt es noch einige Schwierigkeiten, die von Verbänden bundesweit kritisiert werden. Wie sieht nun das quere Leben in Steglitz-Zehlendorf aus und welche Positionen vertreten die Fraktionen und Gruppen in der Bezirksverordnetenversammlung hierzu?

René Rögner-Francke, Bezirksverordnetenvorsteher

CDU-Fraktion

Die CDU gestaltet Politik für alle, geschlechts- und orientierungsunabhängig. Wir spalten die Bevölkerung nicht in Gruppen, sondern kümmern uns um das Wohl aller. Der nichtheterosexuelle Teil unserer Bevölkerung bedarf des Schutzes vor Zurücksetzung und neuerdings auch vermehrter Bedrohung, was wir zu gewährleisten haben. Es ist festgestellt worden, dass dieser Teil unserer Bevölkerung aufgrund von Ausgrenzung, Zurücksetzungen und Bedrohungen(!) häufiger unter Selbstverletzungen, Alkohol-/ Drogenabhängigkeit und suizidale Gedanken leidet als der übrige. Die Wahrscheinlichkeit an Depressionen zu erkranken ist gegenüber der Gesamtbevölkerung um den Faktor 1,5 – 2,5-erhöht, auch ist diese bei stressbedingten Krankheiten deutlich erhöht. Unser Bezirk Steglitz-Zehlendorf hat stets und allerorts frei von Zurücksetzung und Ausgrenzung und erst recht von Gewalt gegen jeden Teil der Bevölkerung zu sein. Nur der Staat darf Gewalt ausüben, um die Freiheit jedes Einzelnen vor Gewalt zu schützen. Eine Ab- und Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen lassen wir nicht zu, jeder mag nach seiner Facon seelig werden. Wir wählen die Freiheit!

Torsten Hippe

B‘90/Grünen-Fraktion

Lange galt Steglitz-Zehlendorf als Schlusslicht bei queeren Angeboten – das berichtete schon 2018 der Tagesspiegel. Doch es tut sich etwas: 2022 hat prideART das frühere Frauengefängnis in der Soehtstraße 7 in einen queeren Kulturort verwandelt – einen lebendigen Raum für Kunst, Präsenz und Austausch. Auch Nora und Charlie engagieren sich für mehr queeres Leben im Bezirk. Sie organisieren den Queeren Runden Tisch (monatlich dienstags, 16–18 Uhr) und das Queer Café (alle zwei Wochen mittwochs) als offene Treffpunkte. Infos finden sich online unter „Queer in Steglitz-Zehlendorf“. Für Jugendliche gibt es seit dem Frühjahr neue Angebote: outreach am Rathaus Steglitz (1. & 3. Dienstag) und queerspace am S-Bahnhof Zehlendorf (1., 2. & 4. Donnerstag). Diese Projekte sind ein Anfang: Sie schaffen Strukturen, stärken Sichtbarkeit und laden zur Teilhabe und Toleranz ein. Steglitz-Zehlendorf wächst – als Teil einer bunten, queerfreundlichen Regenbogenhauptstadt. Wir wollen diesen Prozess als Grüne voranbringen und mitgestalten. Denn eine vielfältige Gesellschaft schafft mehr Freiheit – für alle.

Birgit Vasiliades

SPD-Fraktion

Unser Bezirk wird oft vernachlässigt, wenn es um das Thema „Queeres Leben“ geht. Doch er ist bunt und vielfältig. Wir freuen uns über den Zuwachs an Angeboten für queere Menschen in den letzten Jahren. Neben einem queeren Kunstkollektiv und Stammtischen, gibt es queere Jugendgruppen und -projekte und eine Anti-Gewalt-Beratung. Zur besseren Vernetzung und Sichtbarmachung von queerem Leben im Bezirk hat sich zudem ein Runder Tisch gegründet. Gerade in den Außenbezirken ist der Ausbau queerer Infrastruktur wichtig, denn es braucht wohnortnahe Angebote und Anlaufstellen. Das gilt für alle Altersstufen, denn queeres Leben ist generationenübergreifend! Für uns als SPD steht fest: Queere Menschen sollten nicht in andere Bezirke fahren müssen, um Hilfe und Anschluss zu finden. Queere Infrastruktur muss erhalten und geschützt werden, vor Kürzungen, aber auch vor vermehrten Übergriffen auf die queere Community. Hier muss der Bezirk rechtzeitig handeln und unterstützen. Gleichzeitig mangelt es immer noch an Vielfalt und Anzahl der Angebote. Das muss sich ändern. Als SPD-Fraktion stehen wir solidarisch an der Seite der Community.

Ellinor Trenczek

FDP-Fraktion

Toleranz gegenüber sexueller Vielfalt ist ein Wesensmerkmal einer freien Gesellschaft. Doch allen Fortschritten zum Trotz ist sie auch in Berlin noch lange keine Selbstverständlichkeit. Homophobe Übergriffe erreichen Höchststände, Toleranz und Sicherheit werden durch Rechtsextremismus auf der einen und durch Islamismus und Salafismus auf der anderen Seite bedroht. Diese Entwicklung fordert uns auch im Bezirk. Zu lange spielte die Lebenswirklichkeit sexueller Minderheiten nur in den dafür bekannten Kiezen in der Innenstadt eine Rolle, während Angebote im Südwesten oft fehlten. Gut, dass sich das nun ändert: Verschiedene Jugendtreffs und Vernetzungsstellen haben sich inzwischen auch bei uns gebildet. Erst im Juni erfolgte der Startschuss für eine Beratungsstelle des Projekts MANEO, das Opfern von homophoben Übergriffen oder Anfeindungen vertrauensvolle Hilfe bietet. Damit verfügt Steglitz-Zehlendorf endlich über ein starkes Angebot der Opferhilfe, für das wir Freie Demokraten (FDP) uns in den letzten Monaten tatkräftig eingesetzt haben. Ein wichtiger Schritt, auf dem sich aufbauen lässt – denn es gibt noch viel zu tun.

Søren Grawert

AfD 

Queeres Leben – was soll daran eigentlich ein Thema sein? Wir leben doch heute in der liberalsten und fortschrittlichsten Gesellschaft, die es je gab. Jeder und jede kann seine/ihre Spielart von Sexualität ungehindert und ungestraft ausleben, vorausgesetzt alle Beteiligten sind volljährig und einverstanden. Abgesehen von einigen Moralaposteln stört sich auch kaum jemand daran. Und genau das könnte das Problem der queeren Community mit ihrem ständigen Heischen nach Aufmerksamkeit und „Sichtbarkeit“ sein: sie haben ihre Ziele erreicht und nun ignoriert man sie. „Aufmerksamkeit“ und „Sichtbarkeit“ sind verbunden mit der Forderung nach räumlichen Strukturen und Geld. Geld, das vom Steuerzahler kommen soll. Wofür? Und ja, es gibt auch Übergriffe und Drohungen, oft aus bestimmten Milieus. Die wird man aber nicht mit „Sichtbarkeit“, Regenbogenflaggen und „Pride Month“ erreichen. Da hilft auch kein queeres Zentrum im Bezirk. Kurzum: macht, was ihr wollt, wie ihr es wollt, einvernehmlich, und werdet glücklich dabei. Und akzeptiert, wenn andere das gar nicht so genau wissen wollen. Damit sollten doch alle eigentlich gut leben können.

Volker Graffstädt

Die Linke 

Es braucht mehr Farbe in Steglitz-Zehlendorf. Vielfalt kann nur dort wachsen, wo Räume entstehen, in denen Menschen einfach so leben dürfen, wie sie sind. In anderen Bezirken gehört queeres Leben längst zum Alltag und ist sichtbarer. In Steglitz-Zehlendorf hingegen fehlen noch immer konkrete Angebote. Die Linke fordert deshalb seit vielen Jahren, dass queere Strukturen nicht bloß symbolisch gefördert werden, zum Beispiel mit einer Regenbogenflagge im Pride Month vor dem Rathaus Zehlendorf, sondern dauerhaft. Es braucht Begegnungsorte, an denen queere Menschen sich willkommen fühlen. Es braucht verlässliche Beratung für Betroffene von Diskriminierung. Es braucht Fortbildungen für Lehrkräfte und pädagogisches Personal. Und es braucht endlich eine*n Queer-Beauftragte*n, der oder die Netzwerke aufbaut und stärkt, Bedarfe sichtbar macht und politische Veränderungen anstößt. In anderen Bezirken ist das längst Realität. In Steglitz-Zehlendorf wäre theoretisch eine Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung vorhanden. Grüne, SPD und FDP müssten nur wollen. Die Linke stimmt einer neuen Stelle für queere Menschen garantiert zu.

Dennis Egginger-Gonzalez

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