Gazette Verbrauchermagazin

Hilde Benjamin in Bezirksbroschüren

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf diskutiert

Erschienen in Gazette Steglitz und Zehlendorf Juli 2018
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Im Mai erschien eine Broschüre mit dem Titel „Starke Frauen in Steglitz-Zehlendorf 1945 – 1990“. Diese Broschüre wurde von einem Verein mit Unterstützung des Jobcenters und des Bezirksamtes erstellt. Unter den 23 dargestellten Frauen befand sich auch Hilde Benjamin, die als Richterin des obersten Gerichts und spätere Justizministerin in der DDR an Schauprozessen, harten Zuchthausstrafen und Todesurteilen beteiligt war. Dieser Vorgang führte zu heftigen Reaktionen auch in der BVV. Die Fraktionen nehmen im Folgenden zu diesem Thema Stellung.

CDU-Fraktion

Hilde Benjamin hat als Richterin aus geringfügigem Anlass zwei Todesurteile verhängt, in der DDR stalinistische Schauprozesse in ihrer Funktion als „Justizministerin“ inszenieren lassen und war Angehörige des DDR-Regimes, das auch vor Mord an Gegnern nicht zurückschreckte. Sie hat das Recht und Macht zum Kampf gegen Gerechtigkeit und Freiheit der Person missbraucht. Eine solche Person als „starke Frau“ zu ehren, lässt Zweifel darüber aufkommen, ob der dies aussprechende Stadtrat der SPD einen demokratischen Rechtsstaat repräsentieren kann. Vor dem Hintergrund der großen demokratischen Tradition der SPD wirkt es zumindest irritierend, wenn deren aktueller Stadtrat so handelt und die SPD Steglitz-Zehlendorf darüber hinaus eine Stadtratskandidaten zur Wahl stellt, die nur durch die CDU verhindert werden konnte, die wie Hilde Benjamin Mitglied der „Roten Hilfe“ war, einer Organisation, die Straftäter gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland unterstützt und vom Verfassungsschutz mit Recht beobachtet wird. Wir geben Mörderinnen keine Ehre.

Torsten Hippe

SPD-Fraktion

Der Skandal ist erfunden. Es gibt keine Bezirksbroschüre. Es gibt auch keine „Ehrung“ der erbarmungslosen DDR-Richterin Hilde Benjamin. Ein Verein, finanziert vom Jobcenter, gibt eine Broschüre über Frauen aus Steglitz-Zehlendorf in der Nachkriegszeit heraus. 23 Kurzporträts ganz unterschiedlicher Frauen. Das Bezirksamt – noch unter CDU-Bürgermeister Kopp – unterstützt das Projekt. Aber es hat keinen Einfluss auf die Texte. SPD-Stadtrat Karnetzki schreibt ein Vorwort und lobt die Broschüre als ein Spiegelbild für die Zeit. Frauen sind nicht nur „gut“. Das ist eigentlich banal. Es gab aber schon einmal eine Broschüre über Frauen in Steglitz. 1990, damals wirklich herausgegeben und finanziert vom Bezirksamt. Das Grußwort schrieb der Steglitzer CDU-Bürgermeister Friedrich. Er freute sich darin, dass es mit dem Buch gelungen sei, „das Wirken von Frauen und ihre vielfältigen Leistungen zu würdigen.“ Auch dort schon – ein Beitrag über Hilde Benjamin. Die Empörung von CDU und FDP blieb damals aus. Das zeigt, wie scheinheilig ihre heutigen Angriffe gegen den SPD-Stadtrat sind.

Volker Semler

B‘90/Grünen-Fraktion

Die Geschichte unseres Bezirks und unserer Gesellschaft ist vielfältig. An ihr haben – entgegen althergebrachter Geschichtsbilder – auch Frauen in entscheidenden Positionen mitgewirkt. Daran sollte in diesem Jahr zum nunmehr dritten Mal eine Broschüre erinnern, die Lebenswege Steglitz-Zehlendorfer Frauen darstellt. Auch Hilde Benjamin, die eine Zeit in Steglitz-Zehlendorf lebte, hat die deutsche Geschichte geprägt, daran besteht kein Zweifel. Und doch: die Broschüre mit dem Titel „Starke Frauen“ sollte jene ehren, die sich positiv um unsere Gesellschaft verdient gemacht haben. Und eine Richterin, die ideologische Justiz im DDR-Regime vertrat, passt in diese Reihe nicht. Wir Grüne werden uns weiter einsetzen für eine Erinnerungskultur, die im Sinne der Gleichstellung an jene Frauen erinnert, die bisher viel zu oft ob ihres Geschlechts im Hintergrund standen. Diese Arbeit endet nicht auf den Seiten von Broschüren. Wir werden in den kommenden Jahren Frauen im Straßenbild sichtbarer machen, etwa durch Straßenbenennungen. Und im kommenden Frühjahr erhält Steglitz-Zehlendorf seine erste Gedenktafel, die exklusiv einer Frau gewidmet ist: der Wissenschaftlerin und Frauenrechtlerin Clara Immerwahr.

Carsten Berger

AfD-Fraktion

Ehrung von Hilde Benjamin – die „blutige Hilde“, DDR-Richterin und -Ministerin. Ein eklatanter Fehler nennt es Michael Karnetzki (SPD), der das Vorwort schrieb: „Die hier vorgestellten Frauen aus unserem Bezirk haben gelernt, sich durchzusetzen.“ Und weiter: „Ein sehr gelungenes Werk.“ Ein Fehler oder ein weiterer Versuch Verbrechen einer linken und linksextremistischen Gesellschaft zu relativieren? Die Aufregung um das Thema ist völlig gerechtfertigt und aktueller denn je. Erst kürzlich setzten sich auf dem Parteitag der Berliner SPD die Extremisten durch: Hausbesetzer wurden ausdrücklich für ihren „zivilen Ungehorsam“ gelobt. Gegen die Polizei wurde im Antragstext gehetzt, die besetzten Gebäude „mit unverhältnismäßiger Gewalt“ geräumt zu haben. Doch diese Passage entfernte man kurz vor der Abstimmung wieder. Die B.Z. berichtet. Mitunterzeichnerin des Antrags war Rechtsanwältin Franziska Drosel, bekennende Linksextremistin und gescheiterte Stadtratskandidatin. Sie ist stellvertretenden Vorsitzende der SPD Steglitz-Zehlendorf. Hoffnungsträgerin. Eine starke Frau, die sich noch durchsetzen wird? Wo werden wir noch von ihr lesen?

Peer Lars Döhnert

FDP-Fraktion

FDP verhindert Ehrung von „Bluthilde“. Die FDP-Verordnete im Frauenausschuss schaute nicht schlecht, als sie in der Bezirksamtsbroschüre „Starke Frauen in Steglitz-Zehlendorf 1945-1990“ Hilde Benjamin anlächelte. Das Bild trug die Unterschrift „Eigennutz lag ihr ebenso fern wie berechnender Zynismus. Was auch immer sie getan hat, hat sie aus der tiefen Überzeugung heraus getan“. Hilde Benjamin verantwortete DDR-Schauprozesse und verurteilte Andersdenkende zu über 500 Jahren Gefängnis, außerdem schickte sie zwei Menschen in den Tod. Zusammen mit Hubertus Knabe von der Gedenkstätte Hohenschönhausen haben wir den Skandal aufdeckt und dafür gesorgt, dass die Mitherausgeberschaft des Bezirksamtes zurückgezogen, die Broschüre vernichtet und das Wirken Benjamins durch die Bezirksverordnetenversammlung vollumfänglich missbilligt wurde. Der eigentliche Skandal ist, dass Bezirksbürgermeisterin Richter-Kotowski (CDU) nichts von der Broschüre gewusst haben will, obwohl ihre Pressestelle die Veröffentlichung bewarb. Eine Verwaltung, die bereits mit dem Herstellungsprozess einer solchen Broschüre überfordert ist, schafft kein Vertrauen.

Kay Ehrhardt

Linksfraktion

H. Benjamin wurde 1902 geboren. In der Fichtenbergschule machte sie Abitur und studierte als eine der ersten Frauen Jura. Sie trat der SPD, dann der KPD bei und eröffnete eine Kanzlei im Wedding. Ihr Ehemann, der Jude Georg B., wurde 1933 in „Schutzhaft“ genommen. Er starb 1942 im KZ. Seine Frau erhielt Berufsverbot und wurde dienstverpflichtet. Der Sohn der Eheleute wurde wegen seiner Abstammung unterdrückt. 1945 wurde H. Benjamin von den Sowjets als Staatsanwältin in Lichterfelde eingesetzt, dann aber als Kommunistin durch die Amerikaner entlassen. Sie wechselte in die SBZ und wurde Mitglied der SED. Als Abgeordnete der Volkskammer machte sie sich einen Namen als Frauenrechtlerin. Von 1949 bis 1953 war sie Vizepräsidentin des Obersten Gerichts. Sie verurteilte NS-Täter und DDR-Gegner zu drakonischen Strafen. U. a. durch zwei Todesurteile zerstörte sie das Leben vieler Menschen. Im Westen wurden sie dafür gehasst – obwohl es auch in Frankreich und England die Todesstrafe gab und in den USA noch gibt. Hilde Benjamin wurde erste Justizministerin Deutschlands, dann Prof. in Potsdam. Sie starb 1989. War sie eine starke Frau?

Gerald Bader

Titelbild

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