Gazette Verbrauchermagazin

Wie setzen wir den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz um?

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf diskutiert

Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf Juli 2018

Das Recht auf einen Kitaplatz ist gesetzlich verankert. Die praktische Umsetzung gestaltet sich jedoch schwierig, auch in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Die Fraktionen in der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf nehmen in den folgenden Beiträgen zu diesem Thema Stellung.

SPD-Fraktion

Es gibt wahrscheinlich nichts Schöneres im Leben von Eltern als die Geburt des eigenen Kindes. Doch inzwischen fangen die Sorgen um einen geeigneten Betreuungsplatz für den Nachwuchs bereits während der Schwangerschaft an. Obwohl es einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem 1. Geburtstag gibt, suchen viele Eltern verzweifelt nach einem Betreuungsplatz. Der Ausbau von Kitaplätzen muss daher auch im Bezirk Priorität haben. Darüber hinaus sind wir als SPD-Fraktion der Auffassung, dass auch Investoren in die Pflicht genommen werden müssen, neue Kitaplätze zu schaffen. Es bedarf kreativer Lösungen, wo Kitaplätze entstehen können, egal ob beim Lückenschluss oder auf ungenutzten Dächern. Neben dem Ausbau von Kitaplätzen bedarf es aber einer finanziellen Aufwertung des Erzieherberufes und der Anpassung der Erzieherausbildung an moderne Gegebenheiten. Eine Erleichterung wäre z. B. eine gemeinsame Suchplattform. Nur ein Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren führt dazu, dass wir allen Kindern einen Betreuungsplatz anbieten können.

Ann-Kathrin Biewener

CDU-Fraktion

Der Anspruch auf einen Kitaplatz zeigt was passiert, wenn eine gute Sache an sich nicht konsequent vorausschauend geplant wird. Solange es keinen Anspruch auf einen Kitaplatz gab, haben die Verantwortlichen die unzureichende Versorgung nur bedauert. Jetzt wo die Eltern einen Rechtsanspruch haben, gibt es einen hektischen Aktionismus. Von der zuständigen Senatsverwaltung (SPD) erhalten die Bezirke keine Unterstützung. Es ist gut und richtig, dass neue Kitaplätze entstehen. Um den Anspruch auf einen Kitaplatz in Zukunft umsetzen zu können, werden wir Flächen doppelt nutzen müssen. Warum nicht prüfen wo ein Grundstück groß genug ist, dass eine Kita auf einem Spielplatz entstehen – und die Außenfläche trotzdem als Abenteuerspielplatz am Nachmittag genutzt werden kann. Freien Trägern muss Unterstützung angeboten werden. Hier ist es sinnvoll, in gute Beratung zu investieren und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Der Bezirk muss seinen Einfluss in den Eigenbetrieben geltend machen und sich dem Ansinnen der Senatorin entgegenstellen, die Kitagruppen einfach zu vergrößern oder Fachpersonal durch Aushilfskräfte zu ersetzen. Kitas sind Bildungseinrichtungen und keine Aufbewahrungsanstalten.

Susanne Klose

B‘90/Grünen-Fraktion

Die rechtliche Durchsetzung des Anspruchs auf einen Kitaplatz stößt in der Praxis derzeit leider auf erhebliche Schwierigkeiten. Denn in Berlin fehlen aktuell 5.000 Kitaplätze, bis 2021 brauchen wir berlinweit 25.000 neue Plätze. Auch in Charlottenburg-Wilmersdorf fehlen Plätze. Das ist ein echter Notstand. Eltern gehen zu Recht auf die Straße und ziehen vor Gericht. Dabei geht es nicht nur um Kitaneubau, sondern vor allem um den Fachkräftemangel. Was nutzen uns die schönsten neuen Kitas, wenn nicht genug Erzieher*innen da sind. Hier liegt das zentrale Problem! Die Senatsverwaltung überlegt wegen des katastrophalen Personalmangels allerlei Notmaßnahmen, im Extremfall sogar, Gruppen zu vergrößern oder zusammenzulegen, um der Lage zu entschärfen. Da sagen wir als Grüne ganz klar: nein! Wir wollen keine Abstriche an der Qualität. Wir wollen nicht, dass der mühsam verbesserte Erzieher*innenschlüssel ad absurdum geführt wird, indem wir jetzt als Notmaßnahme Kitagruppen vergrößern. Wir Grüne fordern, das Erzieher*innengehalt deutlich anzuheben. Wir müssen langfristig den Erzieher*innenberuf aufwerten, nur so werden wir ausreichend gute Fachkräfte bekommen. Und nur so wird die Qualität, die wir als Grüne für die Kitas wollen, eine Chance haben.

Dr. Petra Vandrey

FDP-Fraktion

Der gesetzliche Anspruch auf einen Kitaplatz ist ein Meilenstein in der bundesdeutschen Sozialpolitik. Viele Eltern haben sich darauf verlassen. So steigen die Geburtenzahlen, verstärkt durch den Zuzug von Arbeitskräften und vieler Flüchtlinge. Für sie alle ist der Kitabesuch von elementarer Bedeutung. Frühkindliche Bildung ist der Grundstein für Chancengerechtigkeit. Durch die mangelhafte vorausschauende Planung fehlen jetzt Plätze und Personal. Um die Bedarfslücken zu schließen, sollte man Praxiszeiten für Erzieher in der Ausbildung ausdehnen und vergüten, Quereinsteiger in einem Lehrgang vor ihrem Einsatz qualifizieren, nicht berufstätige Eltern einbeziehen und Honorarkräfte aus Musik, Kunst und Sport einsetzen. Dabei muss die bezirkliche Kitaaufsicht darauf achten, dass die Qualität erhalten bleibt. Der Mangel an Plätzen darf auch nicht dazu führen, dass Kinder, die den Sprachstandstest nicht schaffen, keine Kita besuchen. Ebenso dringlich ist der Neubau der Kitas im „Schnellbau“-Verfahren und die Erweiterung von bestehenden im Bezirk. Dafür müssen Verwaltungs- und Bauvorschriften entschlackt werden. Nur durch die Einbindung der Freien Träger können wir genügend Kitaplätze schaffen und Wahlfreiheit für Eltern und ihre Kinder ermöglichen.

Stephanie Fest

AfD-Fraktion

Trotz wachsender Berliner Bevölkerungs- und Geburtenzahlen, anhaltenden Personal- und Trägermangels, später Einschulungen sowie zusätzlicher Anforderungen durch Inklusion bzw. Integration, hat der Senat den bedarfsunabhängigen und kostenfreien Anspruch auf einen Kitaplatz stufenweise ausgedehnt und den Bedarf von fünf auf sieben Stunden sowie den erforderlichen Personalaufwand erhöht. Alleine im Bezirk steigt mithin der rechnerische Bedarf bis 2020 um ca. 1800 Plätze, und es drohen Schadensersatzklagen. Ein erfolgversprechender Ansatz dies zu vermeiden, ist zunächst das Abfragen vorhandener Reserven bei bestehenden Trägern sowie flankierend die temporäre Unterbringung in modularen Bauten (Sömmeringstraße, Emser Straße). Generell bedarf es jedoch – analog zum Schulausbau – nachhaltig baulicher (Wallenbergstraße), personeller und finanzieller Maßnahmen (ggf. Sonderzuweisungen analog SIWANA), um den Zielvorstellungen des Senats sicher zu entsprechen. Falls nötig könnte der Senat aber auch zur Bedarfsstaffelung bzw. Kostenbeteiligung zurückkehren, um die Bezirke und den Steuerzahler zu entlasten. Eine zentrale Warteliste für Kitaplätze ist generell wünschenswert, um die Verteilung für alle effizienter zu gestalten.

Dr. Michael Seyfert

Linksfraktion

Ein Platz in einer Kindertagesstätte ist die Grundvoraussetzung für die gute Entwicklung von Kindern – die Erzieherinnen und Erzieher in unseren Kitas leisten eine herausfordernde und wichtige Arbeit, die eine gute Vergütung absolut verdient! Leider fehlen dem Bezirk Tausende Kitaplätze. Was es braucht, sind verschiedene Maßnahmen: Wenn Private bauen, müssen sich diese am wachsenden Bedarf sozialer Infrastruktur, wie Kindertagesstätten, beteiligen. Dafür leisten sie Ausgleichszahlungen, die vom Bezirksamt auch konsequent umgesetzt werden müssen. Der Bezirk muss bezirkseigene Liegenschaften in die Planung miteinbeziehen und prüfen, wo neue Kitastandorte möglich sind. Außerdem muss der Fachkräftemangel beseitigt werden – es braucht mehr Ausbildungsplätze. Und eine bessere Vergütung! Hier muss sich Senatorin Scheeres bewegen. Darüber hinaus müssen mehr Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger aus anderen sozialen Berufen eingesetzt werden. Ein weiteres Problem sind die steigenden Mietpreise. Hier braucht es auf der Bundesebene eine Änderung des Baugesetzbuches, die einen Schutz von Gewerberäumen, wie Kitas, schafft.

Niklas Schenker

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