Erschienen in Gazette Zehlendorf Januar 2020
Es lohnt sich, mehr als einmal hinzusehen. Manches, was vom Besucher wenig beachtet wird, hat eine reiche Geschichte. Der Heimatverein Zehlendorf, Nachfolger des Ortsvereins von 1886, zeigt in seinem Museum vieles aus der Geschichte des Dorfes und der späteren Landgemeinde Zehlendorf. Das Heimatmuseum ist im Schulhaus von 1828 untergebracht, das gemeinsam mit der 1768 erbauten Alten Dorfkirche und der Friedenseiche, die 1871 gepflanzt wurde, den Historischen Winkel bildet.
Als „Exponat des Monats“ stellen wir in den nächsten Ausgaben der GAZETTE Besonderheiten aus der Dauerausstellung des Heimatmuseums vor. Das Heimatmuseum Zehlendorf befindet sich an der Clayallee 355. Geöffnet ist montags und donnerstags von 10 bis 18 Uhr, dienstags und freitags von 10 bis 14 Uhr sowie jeden 1. Sonntag im Monat von 11 bis 15 Uhr.
www.heimatmuseum-zehlendorf.de
In der Ausstellung des Heimatmuseums Zehlendorf befindet sich ein besonderer Stuhl, der nicht nur wegen seiner eigenartigen Form eine Rarität darstellt. Es handelt sich um einen sogenannten Zopfstuhl aus dem 18. Jahrhundert.
Eine Recherche im Archiv des Heimatmuseums ergab, dass es sich um ein in den 1950er-Jahren dem Museum gestiftetes Familienerbstück handelt, das wohl aus dem Nachlass des 1934 im Zehlendorfer Scharfestift verstorbenen Volkskundlers, Landschaftsmalers und Schriftstellers Willibald von Schulenburg (1847-1934) stammt. Er war Sohn des königlichen Jagdzeugmeisters von Schulenburg im Jagdschloss Grunewald und ist dort aufgewachsen. Es ist daher recht wahrscheinlich, dass sich der Stuhl im Besitz Schulenburgs befand und nach dessen Tod neben Gemälden und Manuskripten im Scharfestift verblieb. Er sei jedenfalls in einem sehr desolaten Zustand in das damalige Heimatarchiv im Keller des Scharfestifts aufgenommen worden und musste zunächst restauriert werden.
Wie dem auch sei: Es handelt sich bei diesem „Drehstuhl mit Armstützen ohne Rückenlehne“ um ein Objekt, das frappierende Ähnlichkeit mit dem von König Friedrich Wilhelm I. bevorzugten Sitzmöbel aufweist. Das bekannte Gemälde mit der Darstellung des Tabakkollegiums im Schloss Königs Wusterhausen zeigt den König auf einem nahezu identischen Stuhl. In der Sammlung des Schlosses befinden sich noch heute zwei dunkel gebeizte Exemplare dieser Art. Die Bezeichnung Zopfstuhl verweist auf den seit Friedrich Wilhelm I. üblichen langen Soldatenzopf, bei dem eine hohe Rückenlehne gestört hätte. Zur Uniformierung der Armee gehörten die streng reglementierten Frisuren, bei denen die Haare straff nach hinten gekämmt und eng mit schwarzem Band umwickelt zu einem Zopf gebunden wurden, der bis zur Taille reichte.
Auch Friedrich Wilhelm I. trug Zopf und schätzte die Funktionalität und die bequeme Breite dieses Drehstuhls. Außerdem schonte ein solcher Stuhl die Uniform, deren Rockschöße beim Sitzen frei herunterhängen. Der Zehlendorfer Zopfstuhl ist also in jedem Fall ein außergewöhnliches Relikt aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. und wurde vielleicht von ihm selbst benutzt.
Bernd Küster,
Zehlendorfer Heimatbrief
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