Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf Februar 2020
Rad- und Autofahrende teilen sich die Straße, dazu kommen Elektroroller und natürlich der Lieferverkehr. Wie sieht der Straßenraum der Zukunft aus? In den folgenden Beiträgen nehmen die Fraktionen der BVV zu dem Thema Stellung.
Die SPD hat in Berlin seit 2000 die Verkehrswende vorangetrieben, weg von der autoorientierten Politik der Konservativen. Tempo 30, Busspuren sowie die erste deutsche Umweltzone wurden eingeführt und die Radverkehrsinfrastruktur erweitert. Der Radverkehr konnte von 7 auf 15 Prozent gesteigert werden. Der aktuelle Fachkräftemangel erschwert es derzeit aber, u. a. neue Radwege zu bauen.
Wir Sozialdemokrat*innen waren 2019 die treibende Kraft bei der Erarbeitung des Mobilitätsgesetzes. Damit soll der fließende und ruhende Verkehr verringert, die Sicherheit erhöht und die Aufenthalts- und Lebensqualität in der Stadt verbessert werden. Nun wird auf unsere Initiative das Mobilitätsgesetz um eine Fußgängerstrategie erweitert, da es uns wichtig ist, auch die Mobilität und Sicherheit der Fußgänger*innen zu verbessern.
Für die Bezirke wird es eine wichtige Aufgabe sein, Wohngebiete vom umfangreichen Durchgangsverkehr und den damit verbundenen Lärm- und Abgasen zu schützen. Wichtige Instrumente sind dabei die Parkraumbewirtschaftung und die bauliche Umgestaltung hin zu verkehrsberuhigten Gebieten.
Dr. Jürgen Murach
„Die Straße gehört dem Volke.“ – R. Thoma, Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik und der jungen Bundesrepublik hat 1930 die Antwort auf diese Frage gegeben. Er bezeichnete seinerzeit, das Recht, sich auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu versammeln.
Diese Aussage stand natürlich nicht im Zusammenhang mit verkehrs- und klimapolitischen Fragen, dennoch kann etwas Rückbesinnung nicht schaden. Gemeint war sie als Aufruf, die neuentwickelten demokratischen Spielregeln nicht zu verletzen und Bürgern die Gelegenheit einzuräumen, das politische Leben mitzubestimmen.
Betrachtet man die heutige Diskussion um eine Gemeinwohl dienende Verkehrs- und Klimapolitik, darf man fragen, ob alle Diskutanten noch willens und in der Lage sind, faktenorientiert und sachlich miteinander umzugehen. Vielfach scheint es, als müsse jedes noch so künstlich herbeigeredete Schreckensszenario herhalten, ganze Bevölkerungsgruppen zu verteufeln und zu bevormunden sowie unsere Wirtschaft zu Lasten von Arbeitsplätzen in Frage zu stellen. Die zunehmende gegenseitige Aggressivität in nahezu allen gesellschaftspolitischen Fragen ist durchaus geeignet, zu spalten, ohne auch nur eines der erwünschten Ziele zu erreichen und dabei das gesellschaftliche Klima nachhaltig zu vergiften.
Gerald Mattern
Die Diskussion über die Aufteilung des Straßenraums bewegt sich weiter. In Charlottenburg-Wilmersdorf hat sich ein Bündnis „Menschengerechte Stadt“ aus Initiativen gebildet, das wie Changing Cities auf Landesebene die autogerechte Stadt überwinden will. Der öffentliche Raum soll nach den Bedürfnissen der Menschen neu gestaltet werden. Dieses Ziel unterstützen wir. Die Berliner*innen sind in den vergangenen Jahren mehr zu Fuß, mit dem Fahrrad und Bahn und Bus unterwegs gewesen(vgl. „Mobilität in der Stadt“, Berlin 2017, S. 15). Dennoch stehen für Autos fast 60 Prozent der Straßenfläche zur Verfügung (s. Wem gehört die Stadt? Der Flächen-Gerechtigkeits-Report, Berlin 2014, S. 7). Das ist keine gerechte Aufteilung der Flächen. Wir wollen das ändern, damit vor allem die „schwächeren“ Verkehrsteilnehmer*innen sicher zu Fuß und mit dem Rad an ihr Ziel gelangen. Auch vor dem Hintergrund der Klimakrise wollen wir die umweltfreundlichen Verkehrsmittel fördern. Die aktuellen Zahlen zeigen, der CO2-Ausstoß ist in Deutschland insgesamt zwar gesunken, der des Verkehrs aber weiter gestiegen. Wir können die Pariser Klimaziele nur erreichen, wenn wir auch die Mobilität ändern. Unser Ziel ist eine lebenswertere Stadt für alle.
Alexander Kaas Elias
Mit gut 892 km2 Fläche gehört Berlin zu den größten Hauptstädten Europas. Entfernungen sind teils sehr groß, die Anforderungen der Bürger an die eigene Mobilität daher individuell. Zuverlässigkeit, Sicherheit und ein schnelles Vorankommen im Verkehr sind die Herausforderungen unserer Zeit und allen gleichermaßen wichtig. Die Frage sollte daher nicht auf Spaltung bedacht lauten: „Wem gehört die Straße?“, sondern vielmehr: „Wie kann jeder sicher und gut die Straßen und Wege in unserer Stadt nutzen?“. Wir wollen den Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel durch Angebote fördern, nicht durch Verbote. Im Zeitalter der Digitalisierung haben wir neue Möglichkeiten, Umweltbelastungen zu reduzieren und den Verkehr besser zu lenken. In Charlottenburg-Wilmersdorf fordern wir daher konkret ein digitales Parkleitsystem und unterirdische Quartiersgaragen für Anwohner, damit die umweltbelastende Suche nach dem Parkplatz reduziert wird. Straßen müssen so umgestaltet werden, dass sie von Fußgängern, Radfahrern, den öffentlichen Verkehrsmitteln und Autofahrern gleichermaßen genutzt werden können. Am Beispiel der Kantstraße sehen wir jedoch, dass die bloße Reduzierung der Geschwindigkeit auf Tempo 30 kein Mehrgewinn für die Umwelt oder irgendeinen Verkehrsteilnehmer ist.
Felix Recke
Straße ist öffentlicher Raum und damit Allgemeingut. Fußgänger, Radfahrer, ÖPNV und motorisierter Verkehr teilen sich das inzwischen knappe Gut Verkehrsraum. Es kommt darauf an, diesen gerecht und intelligent unter den Verkehrsteilnehmern aufzuteilen.
Mit einer einseitigen Verteufelung des motorisierten Verkehrs zeigt man, dass man nicht begriffen hat, worauf es ankommt. Wichtig ist der Bau von Fahrradwegen, ein Aufmalen von bunten Flächen für Radfahrer auf Kosten des Verkehrsraumes für den motorisierten Verkehr unter dem bombastischen Namen „Protected Bikelines“ ist wenig zielführend. Gerne wird vergessen, dass der motorisierte Verkehr das Rückgrat unserer Wirtschaftskraft darstellt. Es sind Pendler sowie der Liefer- und Handwerkerverkehr, für die das Kfz ein Arbeitsmittel darstellt. Wir alle profitieren von ihrer Leistung. Die wachsende Bevölkerungszahl führt auch zur Zunahme der zugelassenen Kfz um jährlich 15.000.
Ein komfortabler und preiswerter ÖPNV kann und muss den Verkehrsraum entlasten; vor allem der Ausbau des Schienenverkehrs mit eigenen Trassen, wie bei U-Bahn und S-Bahn gegeben, ist voranzutreiben. Grüne Umverteilungs- oder Verbotspolitik ist kontraproduktiv und gehört auf den ideologischen Abfallhaufen. Denken statt Verbieten!
Hans Asbeck
Freitagnachmittag: Wie immer gibt es den üblichen Verkehrsstau auf dem Kaiserdamm und die umliegenden Kieze versinken in Autoabgasen, Lärm und Schadstoffbelastung. Aber wollen wir das noch weiter einfach so hinnehmen?! Dabei gibt es viele Ansatzpunkte zur Verkehrswende in unserem Bezirk, wie auch die LINKE sie fordert. So soll das Radwegesystem des Bezirkes weiter ausgebaut und schon bestehende Radstreifen saniert werden. Dabei soll der Fokus besonders auf geschützte Radstreifen gelegt werden. Für Fußgänger*innen sollen die Möglichkeiten der Querung von Fahrbahnen und Radwegen durch verlängerte Grünphasen bei Ampeln und flächendeckend abgesenkte Bordsteine an Kreuzungen verbessert werden. In den Kiezen sollte es mehr verkehrsberuhigte Zonen und Grünflächen geben, damit die Anwohner*innen vor dem massiven Durchgangsverkehr geschützt und damit die Lebensqualität durch sauberere Luft und Lärmminderung erhöht wird. Schlussendlich muss die Attraktivität des Öffentlichen Nahverkehrs durch bessere Taktung und Vernetzung der einzelnen Angebote und durch für alle Nutzer*innen erschwingliche Fahrpreise, möglichst aber durch ein kostenloses Angebot, verbessert werden. Es muss insgesamt wieder mehr ein Miteinander statt ein Gegeneinander im Straßenverkehr geben.
Sebastian Dieke
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