Erschienen in Gazette Zehlendorf März 2020
Es lohnt sich, mehr als einmal hinzusehen. Manches, was vom Besucher wenig beachtet wird, hat eine reiche Geschichte. Als „Exponat des Monats“ stellen wir Besonderheiten aus der Dauerausstellung vor.
Das Heimatmuseum Zehlendorf im historischen Winkel an der Clayallee 355 hat zu folgenden Zeiten geöffnet: montags und donnerstags von 10 bis 18 Uhr, dienstags und freitags von 10 bis 14 Uhr sowie jeden 1. Sonntag im Monat von 11 bis 15 Uhr. www.heimatmuseum-zehlendorf.de
Eine Glocke aus Zehlendorf? Die Aufschrift auf der einstigen Schulglocke beseitigt jeden Zweifel: „Gegossen im Jahre des Schulneubaus 1892 von Gustav Collier in Zehlendorf“. Jetzt hängt sie neben der Eingangstür zum Heimatmuseum und ermuntert manche Besucher, einmal ganz vorsichtig den Klöppel anzuschlagen. Schon klingt es laut und hell durch die Museumsräume. Aus einer Kalkulation für eine andere, etwa gleich große Glocke wissen die Museumsleute, dass eine Glocke dieser Größe damals rund 1.000 (Reichs-)Mark gekostet hat.
Die Gießerei von Gustav Collier lag, wo auch sonst, in der Glockenstraße, eine Nebenstraße der Beerenstraße, gleich hinter dem Gemeindewäldchen. Collier, der aus einer Hugenottenfamilie stammende Glockengießermeister, zog 1875 aus Wedding, Prinzen-Allee 66, nach Zehlendorf um. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 wurden in der Gießerei in Zehlendorf über dreitausend Glocken hergestellt. Die metallenen Klangformen waren ehemals ein Gebrauchsgegenstand und wurden überall dort eingesetzt, wo es etwas zu bimmeln gab: in Schulen, auf Schiffen, in größeren Betrieben und auf Gutshöfen, nicht nur in Kirchen.
Die im Heimatmuseum ausgestellte Schulglocke hat ursprünglich nicht in Zehlendorf geläutet. Einen Schulneubau hat es 1892 hier nicht gegeben. Viele der Zehlendorfer Glocken haben weite Wege in die Ferne zurückgelegt: Eine 1888 bei Collier gefertigte Glocke hat der Entwicklungshelfer Ernst-Ulrich Lentz 1967 am Malawie-See in Ostafrika entdeckt. Die Museumsglocke ist 1983 bei einem Antiquitätenhändler in Frankfurt/Main aufgetaucht. Ein ehemaliger Berliner fragte beim Bezirksamt Zehlendorf an, ob Interesse an einem Ankauf bestehe. Mit einem „Nein, danke!“ wurde er beschieden.
Aber – wie so oft – packte der Heimatverein zu. Trotz nur mäßig gefüllter Vereinskasse machte sich Vereinsmitglied Jürgen Thonert dank Spenden und einem Darlehen von 3.000 D-Mark im Januar 1984 mit einem Auto auf den Weg in die hessische Metropole – und holte die Glocke heim nach Zehlendorf. Und da hängt sie nun.
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