Erschienen in Gazette Zehlendorf März 2020
Die mit Spannung erwartete, und als eine der Ersten anlässlich 100 Jahre Groß-Berlin konzipierte Ausstellung „NEU, GROSS, GRÜN“ ist eröffnet.
Das Kulturamt des Bezirk Steglitz-Zehlendorf hat sich unter der Leitung von Dr. Brigitte Hausmann feinfühlig der Jubiläums-Geschichte Berlins angenommen und erzählt von 100 Jahren Architekturmoderne im Bezirk. Erreicht werden damit ebenso Fachkreise wie an ihrem Bezirk interessierte Bürger, – sowohl mit dem ersten, im Gutshaus Steglitz angesiedelten Ausstellungsteil als auch mit dem zweiten Teil, der den Medienbereich des 21. Jahrhunderts mit einbezieht (siehe auch Gazette 2/20) und in der Schwartzschen Villa Raum gefunden hat. – Dem Ort, der in diesem Jahr auch im Rahmen eines zweiten und dritten Jubiläums von sich reden machen dürfte:
So feiert der Kulturbereich der Schwartzschen Villa im September sein 25-jähriges Bestehen. Und das Villen-Café ist schließlich für das dritte Jubiläum verantwortlich: Ihr 30-jähriges Bestehen feierte gerade die Mosaik-Services-Integrationsgesellschaft mbH, die durch das Engagement zum Tariflohn arbeitender Menschen mit Behinderungen das Café über die Jahre zum beliebten Treff- und Erholungsort für Kulturfreunde und andere hat werden lassen.
Spannend für Jung und Alt erzählt die vom Bezirk Steglitz-Zehlendorf und dem Kulturamt initiierte, finanziell von der Lottostiftung und mit Leihgaben von weiteren Museen unterstützte Ausstellung „NEU, GROSS, GRÜN“ im Rahmen des berlinweiten Kooperationsprojektes „Großes B – dreizehn mal Stadt“ Architektur- und Stadtgeschichte des Berliner Südwesten, die bis heute viel bestaunte und bewunderte Bauten der neuen schnörkellosen Sachlichkeit hervorgebracht hat.
Dr. Brigitte Hausmann und drei Kuratorinnen von team (BEST) – Kunsthistorikerin Dr. phil. Nicola Bröckner, Architektin Dr. Ing. Celina Kress und Kunsthistorikerin Dr. phil. Simone Oelker – erinnern anhand von 12 herausragenden Bezirks-Bauten an diese „Zeit des Experimentierens“, von der Bezirksbürgermeisterin und Schirmherrin Cerstin Richter-Kotowski bei der Ausstellungs-Eröffnung mit einem Augenzwinkern sagte: „Faszinierend, welch bedeutende Vorreiterrolle der Berliner Südwesten in den 20er-Jahren in Sachen Innovation übernommen hat – vielleicht schaffen wir das heute wieder?“
Im Gutshaus Steglitz faszinieren Fotos dieser Bauten, Pläne, Plakate und Reliquien wie Denkschriften Ernst Reuters aus seiner Zeit als Berliner Stadtrat sowie Bücher zum Nachschlagen. Nach den sechs Schlüsselbegriffen NEU, GROSS, GRÜN, GEMEINSCHAFT, BEWEGT und ARBEIT sind die Exponate farblich markiert und zugeordnet.
Für NEU stehen die Versuchssiedlung Schorlemerallee Dahlem, die mit Stahlgerippe und Eisenbeton punktet, und das Hirsch-Kupferhaus Dahlem, ein Fertighaus mit Außen-Kupferhaut. Und dann ist da die bereits mit Fernwärme beheizte, schornsteinlose „Rauchlose Siedlung Steglitz“, die 1931 als „moderne, aber unrentable Wohnsiedlung“ bezeichnet wurde und in der Ausstellung für GROSS steht, ebenso wie die Waldsiedlung Onkel Toms Hütte. Im Vorfeld ihrer Errichtung wurde um die „Waldvernichtung für die Satellitenstadt“ erhebliche Kritik der Bürger laut.
Die Festschrift zum Fischtalfest aus dem Jahr 1932 bringt den Fischtalpark Zehlendorf und den „Dächerstreit“ ins Gespräch. Er zählt ebeno zum Schlüsselwort GRÜN wie das Stadion Lichterfelde, an das u. a. mit alten Sportschuhen erinnert wird. Selbstverständlich ist, dass unter GEMEINSCHAFT das 1930 eröffnete Strandbad Wannsee ebenso wenig als frühes Spaßbad fehlen darf wie der kantige Bau des Steglitzer Titania-Palast, der mit seiner Lichtorgel nach seiner Eröffnung 1928 zum vielbesuchten Wahrzeichen Berlins wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielten in seinen Räumen sogar die Berliner Philharmoniker. Ein Gästebuch erinnert in der Ausstellung an die Glamour-Tage des einstigen Lichtspiel-Hauses.
Den Besucher BEWEGT dann auch so manch Abbildung der Richard-Neutra-Häuser Zehlendorfs, in denen sogar als technische Neuheit eine Drehbühne für flexible Raumteilungs-Möglichkeiten sorgte; – und natürlich der U-Bahnhof Onkel-Toms-Hütte mit Ladenstraße, der an die weitgespannten Nahverkehrsangebote Groß-Berlins anknüpfte; heute – nicht zuletzt dank der bezirklichen Wirtschaftsförderung – ist die Ladenstraße zu neuem Leben wiedererweckt.
Zum Begriff ARBEIT darf die Elektro-Mechanik-Fabrik Abrahamsohn aus der Lankwitzer Nicolaistraße 7 nicht fehlen, die mit ihren grüngelben Keramik-Fliesen als besonderes Prachtstück galt und im Jahr 2000 vom aktuellen Eigentümer umfassend restauriert wurde. Arbeit gab es auch im Gleichrichterwerk Zehlendorf, das zur Umwandlung des Drehstroms in Gleichstrom 1929 errichtet wurde. Heute umfasst der einstige Industriebau zwei Doppelhaus-Wohnhälften.
Im Lesekabinett des Gutshaus Steglitz liegen für den Ausstellungsbesucher außerdem Fachbücher zum Nachschlagen bereit. Raummodell und Berlinkarten geben Auskunft über Standorte der Bauten.
Im zweiten Teil der Ausstellung, die sich in der Schwartzschen Villa befindet, geht es um die multiperspektivische Gegenwarts-Betrachtung der baulichen Belege. Dabei kommen die Medien des 21. Jahrhunderts ins Spiel, werden Verbindungen zwischen Architektur, Menschen sowie ihren Lebenswelten betrachtet und kommen in Interviews Akteure, Architekten und Bewohner zu Wort. Im kleinen Filmkabinett der Villa werden themenbezogene Filmsequenzen der 1920er- bis 1970er-Jahre aus Filmen gezeigt, wie aus dem 20er-Jahre Stummfilm „Menschen am Sonntag“, der auch zur Finissage der Ausstellung am 28. Juni 2020 in der Schwartzschen Villa gezeigt werden wird, oder „Junge Menschen in Erholung“.
Ein weit gefächertes Rahmenprogramm mit Kuratorenführungen und Vorträgen renommierter Fachleute begleiten die Ausstellung, zu welcher der von Dr. Brigitte Hausmann herausgegebene und im Gebr. Mann Verlag erschienene Katalog absolutes MUSS ist – auch als Fachbegleiter, wenn es darum geht, die Bauten in einem ebenso lehr- wie abwechslungsreichen Spaziergang selbst zu erkunden.
Weitere Infos unter www.kultur-steglitz-zehlendorf.de
Schon heute vormerken: Am 5. September 2020 wird in der Schwartzschen Villa ihr 30. Geburtstag als Kulturstätte gefeiert. Dabei hat sie deutlich mehr Jahre auf dem Dach:
1898 weihte der Bankier im Ruhestand Carl Schwartz die Villa als Sommersitz für seine Familie ein. Nach seinem Tod wurde das Haus 1915 umgebaut, ins Erdgeschoss zog seine Tochter Gabriele mit Haushälterin.
Im ersten Obergeschoss lebte seine zweite Tochter Charlotte mit Mann.
Nachdem als letzte Bewohnerin die Haushälterin verstorben war und das Haus nun leer stand, zog nach dem Zweiten Weltkrieg im ersten Stock ein Waisenheim als Zwischenstation ein, bevor die Kinder nach 1947 nach Lichterfelde verlegt wurden.
In den von der „Schloßpark-Gesellschaft“ gemieteten Räumen der Villa richtete diese ein Lager der Firma Butter-Beck ein, trotz Protest des Bezirkswohnungsamtes wegen Zweckentfremdung.
1961 erwarb das Land Berlin die Villa von den Erben, um auf dem Grundstück einen Erweiterungsbau des Rathauses bzw. ein Haus für Erwachsenenbildung oder Hallenbad zu errichten.
Ab 1981 setzte sich die „Kulturinitiative Lankwitz“ für den Erhalt und Ausbau der Villa zum Kulturzentrum ein.
1983 wurde das Haus unter Denkmalschutz gestellt, und es gründete sich die dem grün-linken Spektrum zugehörige Bürgerinitiative „Trägerverein Kulturhaus Schwartzsche Villa“. Sie entwickelte ein erstes Nutzungskonzept. Das Haus in freie Trägerschaft zu überführen, waren nicht durchführbar, so dass erst nach mehreren Jahren die Bausumme von 10 Millionen DM für ein Kulturzentrum durch das Berliner Abgeordnetenhaus bewilligt wurde.
Genau 97 Jahre nach Einweihung des Hauses als Sommersitz konnte im Jahr 1992 die Villa eine zweite Grundsteinlegung erleben.
Die Schwartzsche Villa wurde im Jahr 1995 als Kulturhaus eröffnet. 2017 übernahm Dr. Brigitte Hausmann die Leitung des Kunstamtes und der Villa von Doris Fürstenberg. Mit viel Dynamik präsentiert sie seitdem ein spannendes, gesellschaftspolitisch und anthropologisch ausgerichtetes Kulturprogramm, das Raum im Atelier, in der Galerie, in Großem und Kleinem Salon, im Kaminzimmer, in der Druckwerkstatt, dem Fotolabor und auf der Probebühne der Villa sowie neuerdings auch im Gutshaus Steglitz findet.
In der Schwartzschen Villa ist das Café, in dem Menschen mit Behinderung arbeiten, im trubeligen Steglitz längst lieb gewordene Erholungsoase geworden, wo Kaffee, Kuchen und leckere Speisen zur Auszeit laden.
Seit Beginn des Kulturbetriebes der Villa dabei ist die Mosaik-Services-Integrationsgesellschaft mbH, die seit genau 30 Jahren zum Mosaik-Unternehmensverbund zählt und mit ihren Mitarbeitern verlässlicher Partner der Kultureinrichtung ist.
Jacqueline Lorenz
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