Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Juni 2020
„Alle Schüler, die nach Wochen daheim wieder das Schulhaus betreten durften, hatten ein Lächeln im Gesicht“, beschreibt Schulleiter Michael Rudolph seine Eindrücke nach der strengen Corona-Zwangspause, die dem Schulalltag verordnet worden war. Zehntklässler, die kurz vor dem Schulabschluss stehen und 25 Prozent der Gesamtschülerzahl ausmachen, hatten die Friedrich-Bergius-Schule in Friedenau Anfang Mai als erste wieder betreten dürfen. Gut organisiert von Konrektorin Andrea Schellenberg und dem verlässlichen Team hinter Rudolph, fanden sie ihre integrierte Sekundarschule so vor, wie man es sich für alle Schüler wünscht: Mit blitzblanken Böden, die jedes standfeste Covid-19-Virus ins Schleudern bringen, gewienerten Waschbecken, Papierhandtüchern, Seife und soliden, bereits vor längerer Zeit besorgten Desinfektions-Säulen auf den Fluren, die in keinen noch so großen Rucksack passen. Rudolph & Co. – vom Hausmeister bis zum erfahrenen Pädagogen – haben wieder einmal trotz „rauer See“ an alles gedacht, zum Wohle der Schüler und des Lernens.
Über vier Schuleingänge ist der Schülerverkehr nun so geregelt, dass sich die in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik wieder vor Ort beschulten 100 Schüler nicht in die Quere kommen und die Abstandsregeln gewahrt bleiben. Wege zu den jeweiligen, ebenfalls regelgerecht vorbereiteten Klassenzimmern sind durch Klebeband unmissverständlich markiert, helfen unnötige Begegnungen im Treppenhaus zu vermeiden. Jede Klasse wird in zwei Gruppen unterrichtet.
Der Schulhof ist als wichtiger Pausen- und Aufenthaltsort sinnvoll aufgeteilt, so dass jede Klassengruppe ausreichend Aktionsraum findet.
„Wichtig ist uns, die Schüler auch in diesen Tagen hin zu berufsfähigen Menschen auszubilden, wobei jeder Einzelne als eigene Person gewertet wird“, betont Schulleiter Rudolph. Dieses Ziel zu erreichen und aus der aktuell schwierigen Situation keine Nachteile für die Benotung der Schüler erwachsen zu lassen, liegen Schulleiter und Kollegium besonders am Herzen. Denn für Schüler und Lehrer ist die augenblickliche Schulsituation alles andere als leicht, da Planungssicherheit für einen geregelter Schulalltag nahezu fehlt. Doch meistert das Schulteam der Friedrich-Bergius-Schule auch diese Herausforderung mit Erfahrung und Nervenstärke, wie sie Schulleiter Michael Rudolph als „Fels in der Brandung“ seit Jahren im Haus zu verbreiten weiß. – Stille Helden, die stellvertretend für alle im Bildungsbereich Tätigen stehen. Sie richtig wertzuschätzen, wissen manche Eltern erst jetzt, die sich nach wenigen Wochen Betreuung ihrer eigenen Kinder bereits überfordert fühlen und nun verstehen, was von Lehrern eigentlich verlangt wird. – Haben sie doch tagtäglich weitaus mehr Kindern auch noch etwas beizubringen.
Nicht vergessen werden darf, dass die gegenwärtige Situation auch für Pädagogen und Sozialarbeiter Neuland ist. Wie die Schüler interessiert halten und zum Lernen motivieren? „Denn der Mensch ist von Natur aus faul. Er braucht Lob, Tadel und auch mal ein Anschieben“, gibt Rudolph zu bedenken. Da ist Einfallsreichtum gefragt, müssen Lehrer viel Sozial- und Überzeugungsarbeit leisten, um am Schüler zu bleiben und die Zügel in der Hand zu behalten, wenn es darum geht , gestellte Schulaufgaben innerhalb einer bestimmten Zeit zu erledigen und an die Schule Rückmeldung zu geben. Doch es klappt erstaunlich gut.
Die Friedrich-Bergius-Schule setzt bei der häusliche Beschulung der noch nicht in den Regel-Schulbetrieb zurückgekehrten jüngeren Jahrgänge nicht ausschließlich auf digitale Beschulung, sondern wird auch analog aktiv. „Denn nicht alle Schüler haben einen PC oder Drucker zur Verfügung – ganz zu schweigen von einer ruhigen Arbeitsatmosphäre“, erklärt Michael Rudolph, der die Eltern zu Corona-Beginn per Brief ermutigend angesprochen hatte. Er ist dabei, das Schulbuch-Kontingent aufzustocken, damit mehr Bücher mit nach Hause gegeben werden können. Lehrer – lediglich 21 Mitarbeiter des Kollegiums sind derzeit aufgrund der Altersstruktur im Haus direkt eingesetzt – sind für ihre Klassen über E-Mail und über Smartphone erreichbar, das inzwischen fast jeder Schüler besitzt. Und dann ist da auch der Schulbriefkasten, über den Rückmeldungen und Bitten übermittelt werden können. So besteht für Schüler, die daheim nicht die nötige Ruhe zum idealen Lernen finden, die Möglichkeit, nach Absprache ihre Lern-Aufgaben in der Friedrich-Bergius-Schule unter Aufsicht von Sozialpädagogen zu erfüllen.
Und auch die von Zuhause arbeiteten Lehrer haben via Schlüssel die Möglichkeit, die Schule außerhalb der Schulzeiten aufzusuchen.
Homeschooling, DIE Schulform für die Zukunft? Davon ist Rudolph nicht überzeugt: „Erfolgreiches Lernen hat viel mit persönlichem Kontakt zu tun. Außerdem ist die soziale Komponente und der Austausch der Schüler untereinander und mit dem Lehrer wichtig.“ Dafür gibt es bei Homeschooling eben keinen Ersatz.
Zeigen die Friedrich-Bergius-Schüler in der Schule gute Disziplin in Sachen Abstands- und Kontaktregeln, sorgt sich der Schulleiter doch um ihr Verhalten außerhalb des Schulgeländes, wo diese Regeln zu leicht vergessen werden. Kopfzerbrechen bereitet Michael Rudolph auch der Beginn des neuen Schuljahres, zu dem wieder neue operative Entscheidungen anstehen dürften: Wie kann seine Schule dann die Neuzugänge des 7. Jahrganges vernünftig empfangen, damit sie sich angekommen und gut aufgenommen fühlen? „Denn das prägt sie für die weiteren Schuljahre“, weiß er nur zu gut. Gleichzeitig ist er stolz, dass auch für das kommende Schuljahr wieder 102 Schüler aus eigener Initiative die Friedrich-Bergius-Schule als Lernort gewählt haben, und das bereits das 11. Jahr in Folge. Er beurteilt dieses erfreuliche Ergebnis als Zeichen der Wertschätzung durch die Eltern. Einmalig für den Bezirk Tempelhof-Schöneberg und ganz Berlin. Eine Tatsache, von der andere Schulen nur träumen können, die Jahr für Jahr Schüler zugeteilt bekommen, da bei ihnen Plätze unbesetzt blieben.
Vom Lebensalter her könnte Michael Rudolph Corona-bedingt und überhaupt daheim bleiben und an seinem Buch weiterschreiben – undenkbar für ihn und die, die ihn kennen. „Der Kapitän steht auf der Brücke“, ist seine Devise auch nach über 42 Dienstjahren, die gerade von der Senatsverwaltung um ein weiteres Jahr verlängert worden sind; zur Freude von ihm und der gesamten Schule, die seine Erfahrung und durchdachte Vorgehensweise nicht missen möchte. Rudolph sieht seine Aufgabe so: „Ich unterstütze lediglich meine Kollegen in ihrer Arbeit, helfe ihnen dabei und lasse sie nicht allein.“ – Wie Konrektorin Andrea Schellenberg, die er unterstützt, wenn sie wieder einmal in diesen Tagen Entscheidungen treffen muss, die nirgends stehen, um Schule am Laufen zu halten. Dabei versucht Rudolph stets, Probleme erst einmal durch die Nutzung vorhandener Ressourcen zu lösen. Ein Weg der häufig Erfolg bringt.
In der Krise sieht Michael Rudolph auch eine Chance: Vieles sei den Nachkriegsgenerationen, die kaum Not und Sorge kennengelernt haben, ganz selbstverständlich geworden. Jetzt konzentriere man sich wieder mehr auf Werte wie Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme, lerne den Menschen mit seiner jeweiligen Aufgabe besser wertzuschätzen, egal ob Krankenpfleger, Regal-Bestücker im Supermarkt oder Straßenreiniger. – Notwendige Grundlagen für ein geregeltes und entspanntes Miteinander. Um diesem auch im Schulalltag beste Voraussetzungen zu schaffen, ist Schulleiter Rudolph ab vier Uhr morgens in der Friedrich-Bergius-Schule allein auf weiten Fluren anzutreffen: Dann setzt er sich in der Ruhe vor dem Sturm mit kleinen und größeren Schulproblemen auseinander, fegt auch die Schultreppe, kocht Kaffee und Tee und räumt die Spülmaschine aus. – Damit Lehrer und Schüler wenige Stunden später in einen gut vorbereiteten und hektikfreien Schultag starten können – und das auch in Zeiten des Krisen-Wahnsinns.
Jacqueline Lorenz
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