Erschienen in Lankwitz Journal Juni/Juli 2020
Otto Lilienthal stand startbereit auf dem Gollenberg und prüfte noch einmal den Wind. Mit seinem Gleiter wollte er die Lüfte erkunden - Menschen sollten, Vögeln gleich durch die Lüfte segeln. Die Bedingungen an diesem Augusttag waren ideal. Ein leichter Wind wehte im entgegen und beim Start spürte er das kraftvolle Abheben seines Fluggeräts. Doch eine plötzliche Böe erfasste den Gleiter und ließ ihn in die Höhe schießen - unkontrollierbar für seinen Piloten. Aus 15 Metern Höhe stürzten Pilot und Fluggerät fast senkrecht in die Tiefe. Flugpionier Otto Lilienthal wurde so schnell wie möglich in ein Berliner Krankenhaus transportiert, starb jedoch am 10. August 1896 an den Verletzungen, die er sich beim Absturz zugezogen hatte. Seine Leidenschaft für das Fliegen und seine Pionierarbeit auf diesem Gebiet – die ihn letztendlich das Leben kostete – sind bekannt. Weit weniger bekannt sind seine Maschinenfabrik in Mitte, Otto Lilienthal als Mäzen eines Theaters und als Autor eines Theaterstücks, in dem er auch Teile seiner Biografie verarbeitet.
Der Flugpionier arbeitete ab 1872 als Konstruktionsingenieur in der Maschinenfabrik Hoppe in Berlin. Aus dieser Zeit stammt sein erstes Patent. Obwohl das Patent von seinem Bruder Gustav angemeldet wurde, gilt Otto Lilienthal als der maßgebliche Erfinder. Er entwarf die erste Handschrämmaschine für den Bergbau. An der Ausführung war auch Heinrich Seidel beteiligt, der später Schriftsteller wurde. Eine Weiterentwicklung in Richtung Kettensäge endete bereits im Versuchsstadium. Weitere Patente der Brüder folgten. Von der gefahrlosen Dampfmaschine über Kinderspielzeug bis zu Tragflächen und Flugzeugen reichten sie fast 50 Erfindungen beim Patentamt ein.
Auch der Vorfahre der beliebten Baukästen geht auf das Konto von Gustav und Otto Lilienthal. Sie entwickelten den „Anker-Baukasten“. Exemplare davon sind noch im Heimatmuseum Zehlendorf und im Steglitz Museum zu sehen. Der Baukasten wurde ein Verkaufsschlager – allerdings nicht mehr für die Brüder Lilienthal. Sie waren keine Marketingstrategen. Das vermeintlich erfolglose Konzept wurde an den Unternehmer Friedrich Adolf Richter verkauft, der daraus eine Erfolgsgeschichte machte.
Im Jahr 1883 gründete Otto Lilienthal in Berlin-Mitte seine eigene Maschinenfabrik für Dampfkessel und Dampfmaschinen. Im gleichen Jahr reichte er sein Patent für die „gefahrlose Dampfmaschine“ ein. Als Arbeitgeber zeigte er sich fortschrittlich. Bereits 1890 führte er eine Gewinnbeteiligung für die Arbeiter in der Fabrik ein. An der Köpenicker Straße 111 – 113 erinnerte bis 2017 eine Stele an die Maschinenfabrik. Sie musste einem Neubauprojekt weichen.
1892 engagierte sich Otto Lilienthal im Ostend-Theater, das von Max Samst geleitet wurde. Samst schuldete Lilienthal die Bezahlung einer Dampfmaschine für die Theaterheizung. Es gelang dem Theaterleiter, Lilienthal als Mäzen zu gewinnen. Otto Lilienthal vertrat die Ansicht, jeder Arbeiter müsse sich einen Theaterbesuch leisten können. So kostete ein Besuch in dem nun „Nationaltheater“ genannten Haus nur zehn Pfennige. Auch Otto Lilienthal selbst trat hier als Schauspieler auf. Und schrieb das Stück „Moderne Raubritter – Bilder aus dem Berliner Leben“. Nach dem Tod Lilienthals musste das Projekt aus Geldnot aufgegeben werden.
Bereits 1887 war Otto Lilienthal mit seiner Frau Agnes und den Kindern in die Kolonie Groß-Lichterfelde gezogen. Das Haus, das heute nicht mehr steht, wurde von seinem Bruder Gustav entworfen. In der Umgebung seines Hauses fand er mehrere Orte, an denen er seine Flugversuche startete. Der bekannteste ist wohl der Fliegeberg im heutigen Lilienthalpark in Lichterfelde Ost. Nachdem der Fliegerpionier auf dem Gollenberg im Havelland tödlich verunglückte, wurde er auf dem Friedhof Lankwitz begraben, heute ist seine Grabstätte ein Ehrengrab der Stadt Berlin. Auf seinem Grabstein sind die Worte „Opfer müssen gebracht werden“ verewigt. 1914 wurde das Denkmal nahe der Bäkestraße als erstes Lilienthal-Denkmal errichtet.
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