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Ein bisschen Meer gefällig?

Deutschlands einziger Meeresgärtner mit Projekten in Berlin und auf Sylt

Die Sylter Meergärtnerei liegt im Keitumer Alten Bahnhof aus dem Jahr 1918. Foto Jacqueline Lorenz
Die Sylter Meergärtnerei liegt im Keitumer Alten Bahnhof aus dem Jahr 1918. Foto Jacqueline Lorenz
Erschienen in Lichterfelde West Journal Oktober/November 2020
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Andreas Frädrich ist gebürtiger Wilmersdorfer mit landwirtschaftlicher Familiengeschichte. Die Nordsee mit ihrer Sehnsuchtsinsel Sylt hatte es ihm schon früh angetan. Nun hat der Berliner Landschaftsgärtner seinen Traum wahr gemacht und in diesem Sommer auf der Nordseeinsel im Alten Bahnhof von 1918 des einstigen Kapitänsdörfchens Keitum die erste Meeresgärtnerei Deutschlands in einer ehemaligen Töpferei eröffnet. Mit seinen auf Sylt gewachsenen Zitronen, Salzwiesenkräutern und Küstenwildgemüse will er eine regionale Lücke schließen und auf der oftmals überteuerten Nordseeinsel über seine regionalen Produkte gesunde Ernährung, Bodenständigkeit und Nachhaltigkeit bei Gästen wie Einheimischen in Erinnerung rufen.

Erfahrung im Anbau der ursprünglichen Produkte sammelte der Naturfreund und Vertreter der Urban-Farming-Szene bereits während der vergangenen 1 ½ Jahre auf der Berliner Anbaufläche der Dachterrasse im Goerzwerk an der Lichterfelder Goerzallee, wo in Berliner luftiger Höhe in Treibelsand angebaut und mit Seetang gedüngt, friesischer Meerkohl und Queller erstaunlich gut gedeihen. – Doch fehlen auch in der Hauptstadt dem Gärtner in Tagen der Pandemie die Veranstaltungs- und Vermarktungsmöglichkeiten, auf denen er seine Kräuter und Gemüse anbieten kann.

So pendelt der Meeresgärtner derzeit wöchentlich mit der Bahn zwischen seinen Pflanzen in Berlin und auf Sylt hin und her, mit augenblicklichem Hauptaugenmerk auf seinem neuen, rund 2.000 Quadratmeter großen Sylter Binnenbetrieb, an dem er am Ausbau seines Hofladens arbeitet, und in dem Besucher und Käufer von Donnerstag bis Sonntag Einlass und ein knackfrisches, regionales Angebot finden.

Ihm noch unbekannte Pflanzen und Gemüse dem Kunden näherzubringen, ist dem Landschaftsgärtner dabei Herzensangelegenheit, so dass man den Hofladen optimal beraten wieder verlässt.

Mit Sylter Zitronen handeln,

ist nicht die schlechteste Idee: Schon unter Entdecker James Cook wusste man im 18. Jahrhundert in der Seefahrt um ihre Skorbut-verhindernde, Vitamin C-spendende Wirkung. Zitronenvorräte an Bord wurden angelegt, die auf langen Seereisen die Mannschaft vor faulenden Zähnen und Knochenschäden bewahren halfen.

Auf Deutschlands nördlichster Insel gibt Andreas Frädrich in seiner verwunschenen Meeresgärtnerei und –Plantage den gelben vitaminreichen Früchtchen nun die Chance, sich zur Inselfrucht des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. Das dem englischen Cornwall ähnliche Sylter Inselklima lässt die Früchte in Keitum an Frädrichs zahlreichen Kübel-Zitronenbäumen, die aus Valencia stammen, zu ausgesuchten saftigen und aromatischen Köstlichkeiten heranreifen. Im Gegensatz zur in den Verbrauchermärkten angebotenen Citrusfrucht-Massenware, kann sogar die vollkommen unbehandelte Schale des Sylter Naturproduktes mitverwendet werden. Selbst entwickelt hat der ideenreiche Landschaftsgärtner dazu einen nachhaltigen Sixpack, in dem sechs Sylter Zitronen Platz und Transportmöglichkeit als Mitbringsel von der Insel finden.

Vom Queller bis zum Salzwiesenkraut

Doch auch fast in Vergessenheit geratenen salztoleranten Gemüsen und Kräutern der Sylter Urbevölkerung will Andreas Frädrich mit seinem Angebot zu neuer Wertschätzung verhelfen: Da ist in Brackwasserkultur sein Sylter Queller, auch als Salicorne bekannt und liebevoll „Meeresspargel“ genannt, der in der Heimatküche nicht fehlen sollte. Das knackige Gemüse bringt sein Salz gleich mit und ist roh, leicht blanchiert oder in Butter geschwenkt ein mineralstoffreicher Gaumenschmaus, besonders zu Fisch- oder Lammgerichten. Im Wattenmeer ist er Juli/August reif, steht jedoch unter Naturschutz und darf nicht abgeerntet werden. Auch im Topf bietet ihn Frädrich an und erklärt: „Sonnig ausgepflanzt und regelmäßig mit Salzwasser gegossen, hat er gute Chancen, sich im eigenen Garten wohlzufühlen.“

Auch der friesische Meerkohl ist gekocht eine Vitamin C-reiche Delikatesse. Meerfenchel sagt man eine Anti-Aging-Wirkung nach, und Echter Lorbeer, den es auf Helgoland winterhart gibt, wächst nun auch in Frädrichs Keitumer Lorbeer-Wäldchen. – Und wem echte Sylter Austern zu teuer sind, der findet bei dem Meeresgärtner die geschmacklich ähnliche, nicht weniger gesunde, aber preiswertere Austernpflanze.

In kompostierbaren Hanftöpfen zum Schutz der Weltmeere vor noch mehr Plastik, können die Pflanzen für die Küche oder den heimischen Garten erworben werden; darunter auch essbare Salzwiesenkräuter wie Strandbeifuß, Salz-Alant oder Stranddreizack.

Klasse statt Masse

Wie sehr der passionierte Meeresgärtner seine Pflanzen liebt und die salztoleranten Überlebenskünstler respektiert, spürt man in jedem Satz, in dem er von ihnen erzählt. Keine Massenproduktion, sondern Qualität will er ernten, fast vergessenen Pflanzen ein Comeback bescheren.

Immer weiter, größer und mehr – auf der Insel Sylt ist längst erkannt, wie stark dies die Zukunft der beliebten Ferieninsel gefährdet. Leidenschaftliche Einrichtungen wie die Meeresgärtnerei sind da unverzichtbar, um den Reiz fast vergessener Inselspezialitäten zurückzuholen und unwiederbringliche Insel-Kultur zu bewahren. Dazu gehören auch jahreszeitlich typische, doch geschützte Inselfrüchte wie die aromatische Krähenbeere oder Heide-Heidelbeere, die der auf Nachhaltigkeit bedachte Gärtner anbietet. Bereicherten sie einst den eher karg gedeckten Tisch der armen Inselbevölkerung, gelten sie heute als ganz besondere regionale Spezialität und Rarität, die man sich respektvoll auf der Zunge zergehen lassen sollte.

Und wie sieht es mit der Spitzengastronomie aus, hat sie die hohe Qualität der Meeresgärtner-Produkte schon entdeckt? Andreas Fradrich antwortet: „Aufgrund der Krise beschäftigen die Gastronomen derzeit noch andere Probleme als mein regionales Angebot. Ich hatte eine feierliche Eröffnung der Meeresgärtnerei für diesen Sommer geplant, nun hoffe ich, dass man meine Pflanzen und den Hofladen auch so wahrnehmen und ihre Qualität schätzen wird“, wünscht er sich.

Ein Wunsch, der in Erfüllung gehen sollte: Denn in Zeiten, in denen (Ferien)wohnung und Daheim wieder eine höhere Bedeutung bekommen, bietet es sich an, gerade in der (Ferien)küche gesunde und bodenständige Produkte wiederzuentdecken oder auszuprobieren.

Und wer vielleicht schon heute ab und zu an Weihnachten denkt: Auch Leih-Tannenbäumchen hat der Meeresgärtner im Angebot, die nach dem Abputzen dann übers Jahr in Frädrichs Meeresgarten neue Kräfte sammeln dürfen.

Weitere Informationen zu Angeboten seiner Berliner und Sylter Projekte unter www.naturopolis.club und www.sylter-zitrone.de .

Jacqueline Lorenz

Titelbild

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