Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau August 2020
Bei der Neuanlage von Wohngebieten für betuchte Berliner am Anfang des vorigen Jahrhunderts waren die schön angelegten Plätze wichtige Bestandteile, um die wohlhabenden Neubürger anzulocken. Die sorgfältig angelegten Areale, zu denen auch der Bayerische und der Prager Platz gehören, lockerten die dichte Bebauung auf, schufen schöne optische Reize und waren Treffpunkt und Erholungsort zugleich.
Dem von Fritz Encke unter dem Motto „Ruhe“ entworfenen Viktoria-Luise-Platz kam schon bald eine weitere Aufgabe zu: Die junge Stadt Schöneberg bekam als erste Gemeinde in Deutschland eine eigene U-Bahn. Die Strecke führte damals wie heute vom „Stadtpark“ – heute „Rathaus Schöneberg“ – zum Nollendorfplatz. Der U-Bahnhof Viktoria-Luise- Platz, anfangs als Viktoria-Luisen-Platz tituliert, wurde am 1. Dezember 1910 eröffnet. Der südwestliche Zugang zur U-Bahn, der sich optisch perfekt an den Platz anpasst, ist mit einer Pergola aus über 200 Muschelblöcken geschmückt.
Rund um den Platz, an dem auch die Namensgeberin, Prinzessin Viktoria Luise eine Zeitlang gewohnt haben soll, sind viele elegante und reich geschmückte Häuser aus der Gründerzeit erhalten geblieben. Wandbilder, außergewöhnliche Stuckornamente, aber auch Baustile, die an hochherrschaftliche Landhäuser erinnern, sind die perfekte Ergänzung zu dem gepflegten Platz. Im Gegensatz zu anderen Gegenden der Stadt, in denen die Vermögenden in den Vorderhäusern und ärmere Berliner in den Hinterhäusern lebten, waren am Viktoria-Luise-Platz Verwaltungsgebäude und Schulen in den Hinterhöfen gebaut worden. So blieben die bessergestellten Bewohner „unter sich“.
Kreativität hat einen Namen – am Viktoria-Luise-Platz ist der Lette-Verein zu Hause. Ursprünglich sollte er dafür sorgen, dass unverheiratete Frauen und Mädchen einen Beruf erlernen und sich selbst versorgen konnten. So fielen sie ihren Familien und der Gemeinschaft nicht zur Last. Das war im Jahr 1866. Der Gründer Wilhelm Adolf Lette wollte weitere Berufsfelder für Frauen öffnen, eine Emanzipation lehnte er jedoch ab. Beim Lette-Verein wuchsen anfangs ausschließlich Fachfrauen heran – Männer wurden erst ab 1910 zur Ausbildung aufgenommen. Heute werden junge Menschen in vielen Berufen ausgebildet – von Ernährung und Versorgung bis zu Chemie-Biologie, Medieninformatik, Modedesign und vielen weiteren. Das schöne Haus am Viktoria-Luise-Platz 6 wurde von 1901 bis 1902 erbaut. Ursprünglich gruppierten sich um das Haupthaus mehrere Höfe, die wiederum von Gebäuden umgeben waren. Aus der Luft erweckte das Ensemble den Eindruck einer Bienenwabe. Mittlerweile hat sich das Bild durch Erweiterungen der Bauten jedoch verändert. Der heute noch bestehende Altbau ist ein Entwurf des Architekten Alfred Messel. Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Wertheim-Warenhaus am Leipziger Platz galt als sein Hauptwerk, aber auch beim Wohnungs- und Villenbau war er ein gefragter Fachmann.
Seine Glanzzeiten erlebte der Viktoria-Luise-Platz in den 1920er-Jahren. Die Gegend um den Platz war ein bevorzugter Wohnort von betuchten russischen Emigranten, aber auch Künstlern und Wissenschaftlern. So wohnte Billy Wilder, der spätere bekannte Filmregisseur, als junger Mann von 1927 bis 1928 am Viktoria-Luise-Platz 11. Im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bomben den Platz. Anschließend wurde der Schmuckplatz lediglich notdürftig wieder hergerichtet. Trist und unattraktiv lag er da – bis zu seiner nächsten Neugestaltung in den Jahren 1978 bis 1980. Diesmal konnten die Anwohner über ihren „Vicky“ mitbestimmen und so flossen viele gute Ideen mit ein. Heute zählt der attraktive Platz wieder zu den schönsten Plätzen Berlins. Ein Besuch lohnt sich – ganz besonders in der warmen Jahreszeit, wenn der große Springbrunnen für ein weiteres Highlight sorgt.
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