Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau September 2020
Marienfelde, grüner Ortsteil des Bezirks Tempelhof-Schöneberg im Süden Berlins, wird 800 Jahre. Mit Bauernhof, alter Feldsteinkirche und Hochhaussiedlung aus den 70er-Jahren hat sich die einstige Bauernsiedlung zum charmanten Erholungsvorort mit Großstadtanschluss entwickelt und ist die Heimat von rund 32.000 Einwohnern.
Mit seinem südlichen Nachbarn, dem Brandenburger Landkreis Teltow-Fläming, pflegt Marienfelde seit der Wiedervereinigung eine aktive Partnerschaft.
Marienfelde ist nicht zu verwechseln mit dem Ortsteil Mariendorf. Beide Ortsteile wurden durch den Tempelorden gegründet – Marienfelde um 1220, Mariendorf jedoch etwas später um 1230.
Erstmals urkundlich erwähnt wurde Marienfelde im Jahr 1344 anlässlich des Schulzengericht-Verkaufs „Mergeenvelde“.
Nach Auflösung des Templerordens wurde das Dorf 1318 dem Johanniterorden übertragen. 1435 ging Marienfelde gemeinsam mit Tempelhof, Mariendorf und Rixdorf in den Besitz des gemeinsamen Rates von Berlin und Cölln über. Bis 1831 blieb Marienfelde mit eigener Schmiede Stadt-Besitz. Danach folgten häufige Besitzerwechsel.
Adolf Kiepert kaufte das Rittergut 1844 und schuf einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb. Er führte das Gut bis 1872.
Weniger als 200 Bewohner zählte der Bauernort bis 1875. Nach Öffnung des Marienfelder Bahnhofs entwickelte sich der unspektakuläre Ort westlich der Bahnstrecke zur Villenkolonie Neu-Marienfelde.
1925 mit Bildung Groß-Berlins wurde Marienfelde Teil des Bezirks Berlin-Tempelhof.
Südlich der bereits vorhandenen Villenkolonie erfolgte der Ortsausbau mit weiteren Häusern. 1938 zählte Marienfelde über 10.000 Einwohner.
An Stelle der herrschaftlichen Villen Neu-Marienfeldes, die im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört wurden, traten im Laufe der 60er-Jahre Miets- und Einfamilienhäuser und machten aus der Gegend ein ruhiges Wohngebiet mit viel Grün und niedriger Bebauung. Alt- und Neu-Marienfelde rückten zusammen.
In den 70er-Jahren entstand die Großwohnsiedlung Waldsassener Straße, die mit Hochhäusern Großstadt-Feeling ins ländliche Marienfelde brachte. Gleichzeitig wurde das Industriegebiet Nahmitzer Damm/Motzener Straße entwickelt, das inzwischen eine Vielzahl an Industrie- und Gewerbebetrieben birgt.
Geschichtliche Bedeutung als Erinnerungsort des geteilten Deutschlands hat bis heute das ehemalige Notaufnahmelager Marienfelde. Als „Tor zum Westen“ war es zwischen 1953 und 1990 für 1,4 Millionen Menschen erste Station auf ihrem Weg in die Bundesrepublik Deutschland. Heute ist die Zeit im Museum an diesem geschichtsträchtigen Ort museumspädagogisch spannend dokumentiert.
Bis heute erhalten geblieben ist der historische Ortskern und bietet am Rande der Großstadt manch lauschiges Plätzchen für ungestörte Erholung, in direkter Nähe zu den Alpen, – den sogenannten Marienfelder Alpen, einer ehemaligen Müllhalde, die auch als Freizeitpark Marienfelde mit Skaterbahn und naturnahem Biotop bekannt ist.
Noch mehr Naturerlebnis verspricht die Naturschutzstation im Freizeitpark mit ihrem Naturranger. Landschaftspfleger Björn Lindener hat die Station auf dem Gelände der ehemaligen Bezirksgärtnerei mitbegründet. Auf Führungen können Naturfreunde viele schützenswerte Pflanzen und Tiere kennenlernen und besuchen.
Als Berlins ältestes Bauwerk gilt die um 1230 auf einem Begräbnisplatz erbaute Ev. Dorfkirche Marienfelde, die ganz besonderes Kleinod der gut erhaltenen Dorfanlage ist. Mit ihren 1,75 Meter dicken Mauer ist sie eine „ göttliche Trutzburg“, die den Menschen zu allen Zeiten Schutz bot und an heißen Tagen die Sommerhitze wohltuend aussperrt. Bauhistorisch spätromanisch, besitzt sie gotische Anbauten wie die Sakristei. Mehrmals umgebaut über die Jahrhunderte wurde der Kircheninnenraum. Die Kirche ist beliebter Treffpunkt zu Konzerten, denen die dänische Orgel aus dem Jahr 1994 mit 2004 hinzugefügtem Glockenspiel klangliche Fülle verleiht. Bis 1889 war der Kirchhof um die Kirche die Begräbnisstätte der Marienfelder, auf der noch heute Alfred Kieperts Grabstein steht. Danach wurde der neue Friedhof nördlich der Dorfaue eingeweiht.
An den Dorfanger schließt sich südöstlich der Gutspark mit dem einstigen Rittergut Marienfelde an. Schließt man die Augen, glaubt man Ökonomierat Adolf Kiepert mit Pferd und Wagen am ursprünglichen Bauernhaus vorbeifahren zu sehen. 1844 hatte er das Haus erworben und zum Gutshaus umbauen lassen. Er legte den Gutspark Marienfelde an, in dem der alte Baumbestand heute wispernd aus vergangenen Tagen erzählt.
Am Gutshaus, in dem sich nun das Institut für Risikobewertung befindet, schließt der prächtige Schmuckgarten an. Er lädt zur Pause auf der Bank am Brunnen, besticht mit Blumenbeeten und Skulpturen.
Ebenfalls einen Besuch wert ist – gleich am Dorfanger gelegen – der stadtbekannte Bauernhof von „Bauer Lehmann“, bei dem schon so mancher im Hofladen erstmals lila Kartoffeln und Eier aus dem Eierautomaten gekauft hat.
Wem nach so viel alten Bauwerken die Zunge am Gaumen klebt, der tut gut daran, im Herzen Marienfeldes im 1830 von Gastwirt Berger errichteten Gasthof „Zur grünen Linde“ einzukehren. Einst gab es einen handfesten Konkurrenzkampf zwischen dem Gasthof und dem am Ende des Angers gelegenen Dorfkrug. „Zur grünen Linde“ war da mit einer Übernachtungs- und Pferdeausspannmöglichkeit klar im Vorteil.
Das Kloster vom Guten Hirten im westlichen Ortsteil wird noch heute von sozialen Einrichtungen, die Klosterkirche von der katholischen Gemeinde genutzt.
Wer nun so viel über Marienfelde erfahren hat, muss abschließend auch noch die Marienfelder Sage von der Heilandsweide lesen:
Ein geheimnisvoller Mann, der wie der Heiland aussah, hütete einst auf dem Marienfelder Gut Horstenstein Pflanze und Tier. Mensch und Tier vermochte er zu heilen, unter seiner Hand gedieh alles prächtig. Als er eines Tages ein im Moor eingebrochenes Schaf retten wollte, versank er selbst, und nur sein Weidenstab blieb zurück. Daraus wuchs eine Silberweide empor, so prächtig, wie sie nie zuvor ein Mensch gesehen hatte.
– Dieser Baum, den es wirklich gab, wurde 1927 mit einem Stammdurchmesser von 6.5 Meter als dickster Baum Berlins zum Naturdenkmal erklärt. Bis 1956 stütze man den Baum mit Stahlbändern, dann musste er 200-jährig gefällt werden. Sein ebenfalls prachtvoller Ableger schaffte es immerhin bis zum Jahr 2012, dann fällte ihn ein Blitzschlag. An seine Stelle setzte man einen Gedenkstein.
2018 endlich durfte – trotz eigentlichen Verbots von Weidenbäumen als Straßenbäume wegen erhöhter Umsturzgefahr – wieder ein Weidenbaum an diese Stelle in der kleinen, neben der Marienfelder Allee gelegenen Straße „An der Heilandsweide“ gesetzt und die Geschichte zu einem guten Ende gebracht werden.
Jacqueline Lorenz
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