Gazette Verbrauchermagazin

Wie kann die Bezirkspolitik für attraktivere Einkaufsstraßen im Bezirk sorgen?

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf diskutiert

Shopping in der Wilmersdorfer Straße.
Shopping in der Wilmersdorfer Straße.
Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf September 2020
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Wie können Einkaufsstraßen so gestaltet werden, dass Shoppen vor Ort attraktiver ist als der Onlinehandel? In den folgenden Beiträgen nehmen die Fraktionen der BVV zu dem Thema Stellung.

SPD-Fraktion

Die Corona-Krise hat die Probleme der Einkaufsstraßen verschärft und gezeigt, dass sie attraktiver werden und sich für mehr Menschen öffnen müssen. Dazu sollten in einem offenen Dialog mit allen Akteuren Entwicklungskonzepte erstellt werden.

Wir sind der Meinung, dass Einkaufsstraßen zum Verweilen einladen müssen: Mit einem ansprechenden Geschäftsmix, einem guten Einkaufserlebnis, Begrünung, Zonen mit Sitzgelegenheiten zum Verweilen und einer guten Beleuchtung. Menschen müssen sich wohlfühlen. Als SPD-Fraktion wollen wir dazu auch eine Reduzierung des fließenden Verkehrs erreichen. Damit erhöhen wir die Sicherheit, verbessern die Luftqualität, reduzieren Lärm und steigern somit die Aufenthaltsqualität. Ergänzt um Parkraummanagement sowie einem Konzept für Ladezonen.

Um zusätzlich täglich mehr Menschen in die Einkaufsstraßen zu ziehen, könnte der Bezirk neue bezirkliche Institutionen (z.B. Bürgeramt, Bibliothek) dort ansiedeln. Digitale Instrumente sollten stärker genutzt werden. Zusätzlich sollte es in allen Einkaufsstraßen kostenloses WLAN geben.

Die Bezirke müssen in die Lage versetzt werden, mit eigenen bezirklichen Programmen zusätzlich zu bereits bestehenden Programmen auf Bundes- und Landesebene aktiv zu werden.

Alexander Sempf

CDU-Fraktion

Der größte Konkurrent der Einkaufsstraßen ist zweifelsohne der Online-Handel. Darauf reagieren die Händler genau richtig, indem sie auf die gemeinsame Schwäche der Online-Riesen zielen – nämlich nicht vor Ort vertreten sein, nah bei den Menschen. Mit innovativen Ideen, wie Weihnachtsbeleuchtungen, Straßenfesten und dem plastikfreien Rheingauviertel am Rüdi, nutzen die Standortgemeinschaften ihre Präsenzstärke. Sie beleben den Kiez! Die Bezirkspolitik kann bei diesen Projekten selbstverständlich helfen, doch das politische Engagement kann nur unterstützend wirken. Was die Bezirksverwaltung allerdings machen kann, ist Daten zu erheben und damit eine Entwicklung zu prognostizieren. Die Kieze sind nämlich im Wandel. Steigender internationaler Tourismus am Ku’damm, starker Zuzug junger Familien im Charlottenburger Zentrum und immer mehr ältere Menschen in Süd-Wilmersdorf. Durch eine wissenschaftliche Erhebung können Entwicklungen vorhergesagt werden und politische Maßnahmen getroffen werden, um Einkaufsstraßen zu stärken. Solche Erhebungen finden im Bereich Verkehr, Sport oder Schule statt. Wieso können wir strukturelle Analysen nicht auch in Einkaufsstraßen durchführen, um gezielt zu planen?!

Simon Hertel

B‘90/Grünen-Fraktion

Charlottenburg-Wilmersdorf ist geprägt vom Kurfürstendamm, der Wilmersdorfer Straße und vielen kleinen Geschäftsstraßen, um die sich aktive Händlergemeinschaften kümmern. Bei düsteren Aussichten für den Einzelhandel sind Bezirk und Handel gefordert, neue Strategien zu entwickeln. Schon vor Corona und der Online-Konkurrenz haben „Shopping-Malls“ und „Flagship-Stores“ Fachgeschäfte, Kultur und Cafés verdrängt. Die klassische „Einkaufsstraße“ hat ausgedient. Und seit Jahren fehlt im Bezirk ein umfassendes Zentrenkonzept mit konkreten Ansätzen für die Umgestaltung. So muss Wohnen auch in zentralen Lagen bezahlbar sein, weil nur bewohnte Straßen auch lebendige Straßen sind. Für kleine Läden, Handwerk und Gastronomie muss es Räume zu leistbaren Mieten geben. Mit Einrichtungen wie einer Bibliothek, die ins ehemalige Peek & Cloppenburg in der Wilmersdorfer Straße ziehen soll, kann der Bezirk direkt zur positiven Entwicklung beitragen. Und mit weniger Lärm und Luftverschmutzung, mehr Platz zum Flanieren, Entspannen und Spielen und besserer Erreichbarkeit per Rad oder den Öffentlichen steigt die Attraktivität erheblich. Einen wesentlichen Teil kann auch ein neues Logistikkonzept dazu beitragen, indem Lieferfahrzeuge durch Lastenräder ersetzt werden.

Christoph Wapler

FDP-Fraktion

Die Entwicklungen des Händlersterbens der letzten Jahre ist für die Nahversorgungsstandorte in unserem Bezirk bedrohlich. Zuletzt wurde die Problematik mit der öffentlichen Diskussion über die möglichen Schließungen von Karstadt untermauert. Der Standort Wilmersdorfer Straße wurde zwar für drei Jahre gerettet, aber damit wir in drei Jahren nicht vor derselben Problematik stehen, muss die kommunale Politik jetzt reagieren. Um in Zeiten des Strukturwandels und harten Standortwettbewerbs konkurrenzfähig zu sein, muss insgesamt eine Aufwertung der Einkaufsstraßen im Bezirk erfolgen. Zum einen muss die Aufenthaltsqualität gesteigert werden. Dazu gehört, dass mehr Platz für Straßencafés und Sitzgelegenheiten geschaffen und der Vermüllung scharf entgegengetreten wird. Außerdem müssen mehr Lieferzonen und Parkleitsysteme geschaffen werden, damit Staus und der Parksuchverkehr reduziert werden. Außerdem sollten komfortable Abstellmöglichkeiten für Fahrräder eingerichtet werden. Das Einkaufen muss für die Kunden so bequem wie möglich sein.

Weiterhin müssen attraktive Rahmenbedingungen für Investoren ausgestaltet und die Qualität der Märkte erhöht werden. Eine gute öffentliche Infrastruktur wie bspw. durch das Bürgeramt in der Wilmersdorfer Straße trägt ebenfalls zur Attraktivität bei. Wenn dann noch Kulturprogramme und gastronomische Erlebnisse angeboten werden, bieten die Einkaufsstraßen im Bezirk genau das, was der Einkauf im Internet nicht kann: ein wahres Einkaufserlebnis.

Maximilian Rexrodt

AfD-Fraktion

Vielen Geschäftsstraßen mangelt es an Attraktivität. Studien zeigen: In den kommenden Jahren sind mehr Leerstände in den Innenstädten zu erwarten. Der Corona–Shutdown verstärkt diesen Trend noch. Leere Schaufenster beschleunigen die Abwärtsspirale weiter.

Damit nicht immer mehr Kunden auf den Onlinehandel ausweichen, muss es wirklich Neues zu entdecken geben. Der Schaufensterbummel muss (wieder) Freude bereiten. Sauberkeit und Sicherheit sind erste Grundvoraussetzungen. Das Bezirksamt muss zusammen mit Handel und Immobilieneigentümern für eine abwechslungsreiche Gestaltung der Geschäftsstraßen sorgen.

Die AfD-Fraktion kritisiert die Prioritätensetzung des Bezirksamts. Warum nicht auch die Wilmersdorfer Straße, wie bereits Ku‘damm und Tauentzien, zum Business Improvement District (BID) erklären? In der Wirtschaftsförderung ist nur eine von drei Stellen besetzt. Dagegen leistet sich das Bezirksamt den Luxus eines Integrationsbüros mit acht Stellen. Ein krasses Missverhältnis! Wir brauchen ein gut ausgestattetes Einkaufsstraßen–Büro. Dies könnte zusammen mit externen Experten Ideen für neue Geschäftskonzepte, für urbanes Wohnen, für Handwerk und Gewerbe im innerstädtischen Kontext entwickeln, ebenso für innovative Steuer- und Förderinstrumente.

Michael Seyfert

Linksfraktion

Die Zukunft des Einzelhandels und von Einkaufsstraßen ist nicht rosig. Es muss sich dringend etwas ändern. Kleine Geschäfte werden aus den Kiezen durch ständig steigende Ladenmieten verdrängt. In der City-West explodierten die Gewerbemieten geradezu. Umgekehrt machen es die Niedrigpreise von E-Commerce-Konzernen Kleinunternehmen seit Jahren nahezu unmöglich, konkurrenzfähig zu bleiben. Dem Trend zum Online-Handel kann aber durch einen vielfältigen öffentlichen Raum etwas entgegengesetzt werden, mit Angeboten für alle Alters- und Nutzer*innengruppen: mit Platz für konsumfreie Begegnung, Spielflächen und Parkbänken ebenso wie für Einkaufsmöglichkeiten. Viele Städte gestalten ihre Einkaufsmeilen bspw. attraktiver, indem sie Straßen und Quartiere für den Autoverkehr sperren und so Begegnungszonen schaffen. Der Erfolg solcher und anderer Projekte hängt aber von der Akzeptanz und der Mitwirkung der Menschen ab. Darum fordert die Linksfraktion vom Bezirk, Ideen und Projekte von lokalen Gewerbetreibenden durch Stadtteil-Budgets zu fördern.

Zuletzt soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Überleben des Einzelhandels in unserer Hand liegt. Jeder Einkauf im Geschäft um die Ecke hilft das Ladensterben zu verhindern.

Annetta Juckel

Titelbild

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