Erschienen in Gazette Charlottenburg Oktober 2020
Noch vor hundert Jahren gurrte und es auf vielen Berliner Dachböden. Tauben galten als Delikatesse, aber auch als angenehme Hausgenossen, die sehr zahm werden können. Freilebende Stadttauben gab es kaum. Nach dem zweiten Weltkrieg änderte sich das. Heute sind Tauben in Wohngebieten als Haustiere fast vergessen und, inzwischen verwildert, wenig geliebt.
Geschätzt leben derzeit rund 10.000 Stadttauben in Berlin, machen sich durch unkontrolliertes Nisten und der damit verbundenen Verschmutzung in Bahnhöfen und unter Brücken wenig Freunde. Zu Unrecht macht man sie für Infektionsherde und die Zerstörung alter Bausubstanz verantwortlich. Nachweislich richten Umweltschadstoffe in Luft und Regen aber weitaus größeren Schaden an, als der pH-neutrale Taubenkot. Laut regelmäßiger Zoonose-Berichte des Bundesministeriums für Risikobewertung und der Gesundheitsämter liegen keine Meldungen über die Ansteckung eines Menschen durch Straßentauben vor. Diese nur minimale Ansteckungsmöglichkeit bestätigte 2018 das Robert-Koch-Institut (RKI).
Längst dürfen Stadttauben nicht mehr als „Schädlinge“ kategorisiert werden.
Doch das Taubenelend auf Berlins Straßen ist dennoch kaum zu übersehen, schaut man genau hin.
Tiermedizinerin und Gutachterin Dr. Almut Malone hat genau hingeschaut und handelt seit vielen Jahren. In der ihrem Charlottenburger Wohnhaus angeschlossenen Pflegestation päppelt sie über die Vogelklappe an sie übergebene Tauben und Wildvögel in Volieren auf, um sie danach bestenfalls wieder in die Natur entlassen zu können. Vom verwaisten Nestling bis verletzten Alttier erhalten bei der Tierschützerin die fachgerechte Zuwendung, welche vom unerfahrenen Tierfreund kaum geleistet werden kann.
Almut Malons besonderer Einsatz gilt den Stadttauben, verwilderten Haustieren, die der menschlichen Hilfe bedürfen, jedoch in Berlin kaum eine Lobby haben. Sie plädiert gemeinsam mit dem Avian Vogelschutz-Verein e. V. für die Einrichtung von betreuten Taubenhäusern, die kontrolliert und von Fachleuten begleitet eine Reduktion der Tauben-Population und damit auch ihres Tierelendes zum Ziel haben. Doch von der Idee bis zur Realisierung durch die Hauptstadt ist es ein langer, beschwerlicher Weg. Zwar gibt es inzwischen in den Bezirken Reinickendorf, Schöneberg, Spandau und Wedding um die sechs betreute Taubenschläge für Stadttauben, doch bis diese berlinweit in allen Bezirken dem gefiederten Klientel ausreichend angeboten werden können, dürfte es noch dauern, – hat dabei doch auch die Deutsche Bahn Mitspracherecht und ethische Handlungsverpflichtung in Sachen Taubenproblematik. Spikes und Netze, wie sie in vergangenen Jahren an Gebäuden und unter Brücken installiert wurden, sind da wenig tierschutzgerecht, führen vielmehr häufig zu verletzten Tieren. Wirkungsvoller wäre der Anbau von Wand- oder Dachschrägen, die den Tauben ein bequemes Landen unmöglich machen, verbunden mit dem Anbieten geeigneter Taubenschläge als Quartier.
Um die viel zu wenigen, bereits vorhandenen Taubenschläge kümmern sich in Berlin derzeit nach genauer Facheinführung Schüler, Langzeitarbeitslose und Ehrenamtliche: Eine preiswerte, aber nicht einer verantwortungsbewussten Hauptstadt gebührende Lösung, weiß auch Dr. Malone. „In Süddeutschland ist man diesbezüglich deutlich weiter und tut mehr für Stadttauben“, erklärt sie. Dabei denkt sie auch an die Stadt Augsburg, die mit ausreichend Taubenschlägen und -türmen den Bedürfnissen der verwilderten Haustauben entgegengekommen ist.
fragt sich manch Passant, sieht er nach Brotstücken und Dönerhappen pickende und emsig gurrende Tauben auf dem Fußweg und zieht er unter Brücken den Kopf tiefer zwischen die Schultern, eventuelle „Taubengeschosse“ fürchtend.
Bei unseren Stadttauben handelt es sich überwiegend um verwilderte Haustauben.
Über 7.000 Jahre wurden sie gezüchtet und stammen ursprünglich von der Felsentaube ab, einem Nischenbrüter, der nie im Grünen angetroffen wird. Diesen Bereich bevorzugen dagegen Wildtauben wie Türken-, Hohl- und Turteltauben, die als Paar in Bäumen brüten.
Ihren „Heimatschlag“ haben die Stadttauben als Koloniebrüter, die in Schwärmen Futter suchen, naturgemäß und aus Mangel an vom Menschen angebotenen geeigneten Taubenschlägen inzwischen an unerwünschten Standorten unter Brücken oder in Gebäudenischen bezogen. Dort schlafen sie, ziehen sie ganzjährig ihre Jungen groß – und sterben sie. Im Kreise von Artgenossen oder paarweise im Taubenschlag fühlen sie sich wohl und sind standorttreu, verlassen also ihren angestammten Bereich nur ungern. So fressen sie bei unpassendem Nahrungsangebot eher ungesundes Ersatzfutter als ihren Aufenthaltsradius zu erweitern: – Döner statt Sämereien, Brötchen statt Getreidekörner. Wie gefährlich dieses falsche Futter ist, davon kann Dr. Malone einiges berichten: „Brot quillt unter Wasseraufnahme auf und kann schlimmstenfalls zum Tod der Taube führen.“ Kropfverstopfung und Magenüberladung sieht sie häufig bei aufgefundenen Tieren.
„Die einzige Methode, weniger Stadttauben auf die Straßen zu bringen, ist die Bestandsregulierung über angebotene Nistplätze in betreuten Taubenschlägen, wie es sie erfolgreich bereits in über 70 Städten gibt“, erklärt Tauben-Fachfrau Almut Malone. Dort werden zur Populationskontrolle und Verhinderung unkontrollierter Fortpflanzung regelmäßig Gelege gegen künstliche Eier ausgetauscht, wird so die Nachkommenzahl niedrig gehalten. Unterstützt werden die derzeitig vorhandenen Berliner Taubenschläge vom Avian Vogelschutz-Verein. Gefundene oder bei Nesträumungen entdeckte Küken und verletzte oder kranke Tauben gehen in versierte Hände an Pflegestellen, wie sie auch Dr. Almut Malone unterhält. In Volieren werden sie hier gesundgepflegt, aufgezogen und schließlich kontrolliert an den bestehenden Taubenschlägen angesiedelt.
Dort wird den Stadttauben artgerechtes Körnerfutter mit Erbsen, Sämereien und Muschelgrit geboten, den die einstigen Felsenbrüter für eine gesunde Verdauung benötigen. Regelmäßiges Säubern der Schläge beugt Krankheiten vor:
Ohne menschliches Eingreifen aber steigt die Schwarmstärke der verwilderten Haustauben weiter. Bereits praktizierte und als ineffektiv erwiesene Fütterungsverbote zeigten, dass unter Stadttauben der Schlupferfolg bei längerer Nahrungssuche keineswegs fiel, sondern lediglich mehr Küken qualvoll verhungerten. Auch die vor Jahren angedachte „Pille für Tauben“ ist kaum realisierbar: Da für in der Umwelt ausgelegte Medikamente strengste Zulassungsbestimmungen gelten, fand sich kein Pharmazeutisches Unternehmen, das die dadurch äußerst kostenintensive Pillen-Produktion übernehmen wollte.
Ein sonniger Sommertag beschert Dr. Malone drei kleine Neuzugänge: Bauarbeiter haben bei Sanierungsarbeiten an einer Brücke am Reichstagsufer in der Regenrinne zwei Stadttauben-Nester entdeckt, eines mit zwei und das andere mit einem Jungen. Die Tiere sind zwischen zwei und drei Wochen alt; in gutem Zustand, wie Malone nach erster Untersuchung feststellt. Präzise werden Fundstelle und Tierzustand dokumentiert. Eine erste Körnermahlzeit, die Almut den Kleinen in den Schnabel gibt, schlucken sie problemlos. Die Erfahrung sagt der Fachfrau, dass sie das einzelne, etwas ältere Junge erst einmal kontrolliert in die Voliere mit Jungtauben setzen kann, da es bereits selbstständig Futter pickt. Die zwei kleineren Findlinge werden den Ammen-Tauben untergesetzt, die in einer weiteren Voliere als wichtige tierische Assistenten treue Dienste leisten. Aufzucht wie in der Natur – das ist es, was die Tierärztin der Handaufzucht vorzieht. Der Erfolg gibt ihr Recht.
Nicht nur Stadttauben auch Wildtauben, Krähen, die sie später wieder direkt in die Natur entlässt, oder gestrandete Brieftauben gehen durch ihre Pflegestelle. Spezielle Meisenkästen erlauben ihr, gefundene und im Alter zum Gelege passende Vogelküken den Meiseneltern im Adoptionsverfahren dazuzusetzen, – denn sie zählen nicht nach. Malone erklärt: „Nur die Natur vermag so vielfältig und abwechslungsreich zu füttern. Handaufzucht kann da lediglich ein Ersatz sein.“ Diesen Ersatz bietet sie mit Fachwissen und Tierliebe, mit Zufütterung von Enzymen und Laktobazillen und ausgewogenen Futterrezepten denjenigen, die ihrer besonderen Zuwendung bedürfen: Kranken, verletzten und sehr jungen Vögeln. Bevor sie einen Vogel in ihre Pflege-Obhut nimmt, verliert die Tiermedizinerin dabei aber nie dessen zu erwartende Chancen auf ein normales Leben in der Natur aus den Augen.
Derzeit leben rund 160 Tauben unterschiedlichsten Alters in den Volieren der Vogelfreundin, die als Kind mit ihren Eltern aus Amerika nach Deutschland kam, in Namibia praktizierte und über Pflegehunde zu Pflegetauben fand. Da ihr Mann sein Herz an jeden Pflegehund hängte, stieg sie schließlich auf Wildvögel um, zu denen man dann doch ein nicht ganz so inniges Verhältnis aufbaut.
Nestling-Voliere und Flugvoliere mit Übergangs- und gesundheitlich bedingten Dauergästen stehen im Garten neben Ammen- und Jungvogel-Volieren.
Säubern, Füttern, Zustandskontrolle und Einzelpflege für Sorgenkinder – Almut Malone wird es nicht langweilig. Vierbeiniger Assistent ist ihr Kater, der zuverlässig Mäuse und Ratten fernhält, doch die Pfoten von allen Vögeln lässt. Den Unterhalt für ihre Charlottenburger Pflegestelle verdient die Tiermedizinerin als Studienbegleiterin in der Humanmedizin.
Almut Malones Arbeit und die des Avian Vogelschutz –Vereins kann jeder Berliner bereits mithilfe eines kleinen jährlichen Geldbetrages von nur 3,65 Euro maßgeblich unterstützen, damit verwahrloste Tiere wie Stadttauben von der Straße geholt und in Taubenhäusern kontrolliert angesiedelt werden können – zugunsten von Mensch und Tier.
Jacqueline Lorenz
Avian Vogelschutz-Verein e. V.
☎ 0172 317 34 55
E-Mail: info@mednavigator.de
Spendenkonto Avian e. V.:
Berliner Sparkasse
IBAN DE05 1005 0000 0190 7881 00
© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2022