Erschienen in Zehlendorf Mitte Journal Juni/Juli 2018
„Warum soll man gute Ideen nicht übernehmen?“ fragte Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski anlässlich des ersten von ihr und der Wirtschaftsförderung Steglitz-Zehlendorf initiierten Spazierganges durch Zehlendorfs Mitte.
Was sich in anderen Bezirken bereits länger großer Beliebtheit erfreut, ist nun auch im Berliner Südwesten angekommen:
In regelmäßig stattfindenden „Kiezspaziergängen“ gilt es, Bezirk und Umgebung näher kennenzulernen. Eingeladen dazu sind alle Bürgerinnen und Bürger, die – geleitet von Bezirksbürgermeisterin, Wirtschaftsförderung und Fachleuten – Hintergründe, Geschichte und Zukunft der zu Fuß angesteuerten Ziele erkunden möchten.
Auftaktthema war am 28. April 2018 „Zehlendorf Mitte – vom BALI zum Heimatmuseum“. Rund 60 ebenso interessierte wie erwartungsvolle Teilnehmer hatten sich bei Kaiserwetter unter der Kastanie am S-Bahnhof Zehlendorf eingefunden – darunter auch Vertreter der Bürgerinitiative (Bi) Zehlendorf, des Heimatverein Zehlendorf, der Paulus-Kirche sowie des Fördervereins und Arbeitskreises „Alte Dorfkirche“. Auch die in Zehlendorf lebenden Eltern von Cerstin Richter-Kotowski begleiteten diesen ersten Bürgerspaziergang ihrer Tochter, der zu Beginn das Bali-Kino als Ziel hatte.
Helgard Gammert, Hausherrin und Kino-Betreiberin seit 1979, begrüßte die Gäste und steuerte einen Kurzbericht zur Geschichte und gegenwärtigen Aufgabe des Kinos bei, das als Bahnhofs-Lichtspiele und feste Zehlendorfer Institution mit vorzüglicher Technik (4K-Auflösung) auch heute noch viele Stammbesucher zählt und für seine typische Themenvielfalt bekannt und ausgezeichnet ist. Der ehemalige Tanzpalast aus den Zwanzigern, dessen Glasdach später der Sanierung zum Opfer fiel, war 1946 als Soldatenkino wiederbelebt worden – zuerst von den Sowjets und später von den Amerikanern – bevor es in freier Trägerschaft von Manfred Salzgeber zum ersten Programm-Kino Deutschlands entwickelt wurde. Unter den Kiezspaziergängern erinnerte sich dann einer auch noch gut an den ersten Film, der im Bali gezeigt wurde: „Die sieben Tulpen“
Weiter ging´s flotten Schrittes über den gut angenommenen, aber über reichlich Wachstumspotential verfügenden Wochenmarkt am „kleinen Teltower Damm“ zum Vorplatz des „Alten Kaiserlichen Postamtes“. Der Gründerzeit-Bau aus dem Jahr 1900 ist vor sechs Jahren zum exklusiven barrierefreien Wohn- und Geschäftshaus umgebaut worden. Im Rahmen der Attraktivitätssteigerung von Zehlendorf Mitte soll nun auch der Vorplatz, der bis jetzt als Parkplatz genutzt wird und ansonsten wenig Besucher anzieht, begrünt werden, wie die Spaziergänger anhand einer Skizze erfuhren.
„Wenn durch eine Umgestaltung dieses Vorplatzes und der angrenzenden Bahnanlage eine Aufwertung geschieht, wird das Gebiet auch belebter werden“, erklärte die Bezirksbürgermeisterin; an ihrer Seite ein Sprecher der Deutschen Bahn. Er gab Einblick in die bevorstehenden Umgestaltungspläne des Bahnhof Zehlendorf. So läuft derzeit die Baurecht-Beantragung für die zwei zusätzlichen Ein-/Ausgänge zum derzeitig einzigen Zugang. Im Rahmen der Umbauarbeiten wird der bestehende Tunnel eine Erweiterung auf 19 Meter Breite mit Rampenführung zum Bahnhofszugang für Rollstühle, Kinderwagen und Fahrräder erfahren. Vom Postplatz aus wird ein weiterer Zugangstunnel gebaut werden. Außerdem werden zwei Aufzüge integriert, um Barrierefreiheit zu gewährleisten. Auf die Frage, wie lange es bis zu Fertigstellung dauern werde, gab es konkrete Antwort: Ende 2024 ist angedacht, wobei die reine Bauzeit lediglich zwei Jahre betragen dürfte.
Die Informationen kamen verständlich an bei den Spaziergang-Teilnehmern, die das bürgernahe Angebot, den Bezirk auf diese Art etwas besser kennenlernen zu können, lobten. „Man läuft oft gedankenlos an den Bauten vorbei und weiß so wenig über sie. Heute habe ich viel Interessantes und Neues erfahren“, verriet eine Steglitzerin, die beim nächsten Spaziergang wieder dabei sein will.
In der Kirchstraße erfuhren die Teilnehmer danach einiges über das 1929 als „modernstes“ Rathaus erbaute Zehlendorfer Amtsgebäude, gegenüber der imposanten Paulus-Kirche gelegen, mit deren Geschichte es fest verbunden ist.
Sichtlich in die Jahre gekommen, erwarten das Rathaus mit der Trockenlegung des Kellers und den Fassadenarbeiten erste Sanierungsmaßnahmen, wie Cerstin Richter-Kotowski erklärte.
Nach einem launigen „Erinnerungsfoto“ auf der Treppe des Bürgeramtes wurde dann auch der Zehlendorfer Dorfaue ein Besuch abgestattet und an ihren einstigen Teich erinnert, dessen Bett noch heute als leichte Senke zu erkennen ist. Dazu wusste Jürgen Thonert vom Zehlendorfer Heimatverein, der für alle Stationen historische Aufnahmen und viel Geschichtswissen dabei hatte, Interessantes zu erzählen: So hätten die Amerikaner nach dem Krieg den bei warmem Wetter übel riechenden Teich aus Angst vor der Einnistung von Malaria-Überträgern einfach zugeschüttet.
Am Zehlendorfer Standesamt an der Dorfaue gab es dann Erinnerungen an Fräulein Sidonie Scharfe, für die im Jahr 1892 die kleine, aber repräsentative Villa errichtet worden war. Die Wohltäterin gründete zwei Stiftungen und das Haus Schönow. Sie sorgte so für alte und bedürftige Knechte und Mägde sowie „alte Mädchen“.
Mit der Planung, die am Standesamt vorbeiführende kleine Straße von der Potsdamer Straße, vorbei am Gemeindehaus bis zum Standesamt für den Autoverkehr zu schließen, dürfte an Villa und Aue wieder mehr erholsame Idylle einkehren. Auch der neu bewirtschaftete KulturKiosk mit Nutzung als Eiscafé dürfte davon profitieren; besonders, wenn der Taxistand von dort an die Kirchstraße verlegt wird.
All das erfuhren die Spaziergänger, die an jeder Station Möglichkeit bekamen, Fragen zu stellen.
Als letztes Spazierziel schließlich wurde der „historische Winkel“ von Zehlendorf Mitte, einstiger alter Dorfkern, angesteuert, der sich aus dem als Gartendenkmal erhaltenen Dorffriedhof, dem 1828 erbauten und heute als Heimatmuseum genutzten Schulhaus, der davorstehenden Friedenseiche und der 1768 als Amtskirche fertiggestellten Dorfkirche zusammensetzt. Sie gilt als der älteste erhaltene Bau Zehlendorfs. Dass sie pünktlich zur 250-Jahr-Feier in neuem Glanz steht, daran arbeiten Förderkreis, Unterstützer und Freunde der Kirche akribisch, einschließlich Dr. Eckart von Hirschhausen, der dem Spaziergang durch seine Anwesenheit sicherlich noch den letzten Kick gegeben hätte…
Aber auch ohne ihn gelang es dem Förderverein-Vorsitzenden Dr. Eckard Siedke eindrucksvoll und informativ, über Friedhof und „Kirchenbaustelle“ zu führen. Vorbei an knorrigen Maulbeerbäumen, deren Blätter der Seidenraupenzucht von Dorfschullehrer Ernst Ferdinand Schäde im Schulhaus als Futter gedient hatten, und vorbei an der letzten Ruhestätte Sidonie Scharfes und denen des namhaften Zehlendorfer Bauernadels und schließlich vorbei an sanierungsbedürftigen, künstlerisch verzierten Eisenkreuzen ging es ins Innere der achteckigen Alten Dorfkirche.
Hier konnten sich die Spaziergänger von Zehlendorf ihr eigenes Bild vom Stand der umfassenden Sanierungsarbeiten machen, den Dr. Siedke mit viel Fachwissen erklärte. So ist der Kirchen-Außenputz fertiggestellt und auch im Inneren ist der Innenputz fast vollständig. Ein großes Sanierungsereignis steht nun mit der Entfernung der „weichen“ Innendecke bevor, um marode Kiefer-Balken erneuern zu können. Für weitere Feinheiten am Bau wird dringend Geld benötigt.
Man erfuhr weiter, dass um 1938 die Alte Dorfkirche als Trau- und Taufkirche genutzt wurde und nach dem Krieg entkernt als Baustofflager diente. 1953 reaktivierte der damalige Konservator den Kirchenbau: für 1 Mark konnten Unterstützer zur Rettung der Kirche einen Nagel ins Dach einschlagen. 1980 wurde die Kirche ohne Statik saniert.
Dass Weihnachten 2018 „Stille Nacht“ bereits unter sanierter Decke gesungen werden kann, das wünscht sich so mancher. Auch die Bezirksbürgermeisterin hat zu der alten Kirche ein besonderes Verhältnis, hat sie doch vor 27 Jahren darin geheiratet und die zugleich feierliche und familiäre Ausstrahlung dieses Baus selbst erfahren können.
Den rühmlichen Abschluss dieses gut vorbereiteten 1. Kiezspazierganges machte das mit viel Herzblut vom Zehlendorfer Heimatverein und seinen Ehrenamtlichen unterhaltene und geführte Heimatmuseum, das einstige Schulhaus Alt-Zehlendorfs.
Seit 30 Jahren besteht es in seiner jetzigen Form. In der aktuellen Depot-Ausstellung „Ins Licht gerückt“ zeigt es derzeit Exponate, die den Besuchern sonst verborgen bleiben, da sie im Keller der Süd-Grundschule lagern.
Weitere Kiezspaziergänge
23. Juni 2018, 14 Uhr: „Besondere Architektur in Steglitz“
25. August 2018: „Glienicke – Schönheiten am Rande Berlins“
20. Oktober 2018: „Amerikaner im Berliner Südwesten“
Um Anmeldung wird gebeten per E-Mail: wirtschaftsfoerderung@steglitz-zehlendorf.de oder Tel. 030 – 90299-5985
Jacqueline Lorenz
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