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„Ein deutsches Leben“ oder Schuld der Dummheit?

Brigitte Grothum macht im Schlosspark Theater nachdenklich

Plakat: DERDEHMEL/Urbschat
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Erschienen in Gazette Steglitz November 2020
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2017 verstarb mit 105 Jahre Brunhilde Pomsel, einst Sekretärin Joseph Goebbels. Noch im Alter von 102 Jahren hatte sie ein Interview gegeben, nach dem der Brite Christopher Hampton eine ganz besondere Studie verfasst und 2019 zur Uraufführung in London gebracht hat.

Das darauf basierende Solo-Stück „Ein deutsches Leben“ hat nun, mit Brigitte Grothum in der Rolle der Brunhilde Pomsel und in deutschsprachiger Erstaufführung von Philip Tiedemann inszeniert, im Schlosspark Theater Berlin Einzug gehalten. Ihr Wunsch, die Pomsel auf der Bühne zu verkörpern, wird der großen Schauspielerin damit sozusagen nachträglich zu ihrem 85. (!) Geburtstag erfüllt – genau 65 Jahre nachdem sie zu erstem Mal auf der Bühne des Schlosspark Theaters stand.

Ein historischer Abend

In seiner Aussagekraft dürfte es zu einem der wichtigsten Stücke und zum unbedingt sehenswerten MUSS für gerade jüngere Theaterbesucher an dem auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurückblickenden Traditionshaus an der Schloßstraße avancieren; – nicht zuletzt dank der bis auf die kleinste Nuance ausgefeilten Zerrissenheit der gealterten Brunhilde Pomsel, die Volksschauspielerin und Charakterdarstellerin Brigitte Grothum so exzellent und fast körperlich jedem einzelnen Zuschauer zu vermitteln vermag.

Henrik Kairies setzt begleitend Ton- und Musikdokumente akzentuiert ein und schafft damit bedrückende Elemente, die das strahlende Berlin dieser Tage zwischen angstmachender Goebbels-Originalton-Kulisse durchklingen lassen, verstärkt mit Video – und Bildeinspielungen aus diesen Tagen.

Zeit der Schatten

Im düsteren Zimmers eines Altenheimes, das mit seiner Fensterluke eher an eine Gefängniszelle erinnert, sitzt die greise, ganz in schwarz gekleidete Brunhilde Pomsel, auf dem Tisch vor sich eine rote Rose, um den Hals eine grüne Perlenkette, einzige grotesk wirkenden Farbklekse in dieser bedrückenden Düsterheit. Erinnerungen erwachen, Schatten der Vergangenheit holen sie, die Vergessliche, hier ein. Doch hat sie es wirklich vergessen, was sie einst in den drei letzten Jahren vor Kriegsende in Goebbels Büro stenographiert hat, was sie unweigerlich mitbekommen haben muss – oder wollte sie es vielmehr vergessen? Das Stück kann dem Zuschauer diese Zweifel nicht nehmen.

Vielmehr führt es in die Gedankenwelt einer Frau, die eine von ihnen war, den Deutschen, die der NSDAP, Hitler und seinen Konsorten Heil-brüllend den Weg ebneten und frei für den totalen Krieg machten.

„Wir lebten doch damals wie unter einer Glocke, ganz Deutschland war ein KZ“, rechtfertigt Pomsel da ihr Nichtstun und weist dabei jede Schuld immer wieder weit von sich. Sie habe doch nichts getan. Aber: Schon als Kind in Berlin-Südende habe sie gelernt zu lügen, um die Schuld auf jemand ganz anderen zu schieben.

Politisch uninteressiert aus einem politisch uninteressiertem Elternhaus kommend, musste sie, die eigentlich Opernsängerin hatte werden wollen, als 15-Jährige von der Schule abgehen, weil die Eltern es so wünschten, sollte vielmehr der Mutter im Haushalt zur Hand gehen. Doch Brunhildes Drang nach materiell Höherem war stärker: In einem jüdischen Berliner Modehaus bewarb sie sich, wurde genommen. Als sie aber – vom Vater gedrängt – höheren Lohn verlangte, wurde sie schnell entlassen. Mit Politik hatte sie nichts am Hut, nahm sie nicht ernst, wie es sich in diesen Tagen für ein Mädchen gehörte. Erst als Nazi-Freund Heinz sie in den Sportpalast mitschleppt, ist sie zum ersten Mal geblendet und beeindruckt vom Fahnenschwenken, den pompösen Aufmärschen und den vielen Heil-brüllenden

Menschen. Ihre jüdische Freundin begleitet Brunhilde, als sie sich in die Partei einträgt. Als die Freundin später verschwindet, macht sich Brunhilde da keine Gedanken? Auch nicht, als ihr Chef, in dessen jüdischem Versicherungsbüro sie arbeitet, emigrieren muss?

Als schließlich SA-Sturmführer und Schriftsteller Wulf Bley seine Fliegererlebnisse aufschreiben will, ist die Pomsel es, die als versierte Stenotypistin gut honoriert diese zu Papier bringt. Bley führt sie ins Haus des Rundfunks ein, wo sie einen gut bezahlten Job in Goebbel´s Propagandazentrale und beim informationsverzerrenden Zeitfunk bekommt, schon bald zu seinem festen Vorzimmer-Stamm zählt. Goebbels wahres Gesicht habe sie wohl nie kennengelernt, sinniert sie später. – Schon eher das seiner Frau, die ihr doch, als sie bei einer Bombardierung fast alles verlor, großzügig ein ausrangiertes hellblaues Büro-Kostüm vermacht hatte.

Zeit der Masse

Nachgefragt habe auch sie, die Pomsel, nicht, es sei die Zeit der Masse und anfangs unter Hitler ja auch alles besser gewesen, erinnert sie sich. K.Z.s seien zur Umerziehung gebaut worden, die Juden in die verlassenen Orte der „heim ins Reich“ zurückgekehrten Sudetendeutschen umgesiedelt worden, „damit sie unter sich sind“: Hat sie das wirklich geglaubt? War es Dummheit oder Gleichgültigkeit? Manchmal fragt sich die alte Pomsel das selbst. – Doch eigentlich habe man ja gar nichts wissen wollen, auch sie nicht, gibt sie dann zu. Zu Kriegsbeginn sei man erstaunlich unbeeindruckt gewesen, es ging einem ja noch gut.

Und dann gibt sie zu, dass sie heute eigentlich gar nicht mehr nachvollziehen kann, was die Menschen und auch sie damals, kurz vor Kriegsende, dachten, die noch an Wunderwaffen glaubten, waren wohl ganz „Doofe“. Brunhilde Pomsel habe nichts falsch gemacht, keine andere Wahl gehabt. Bis zum (bitteren) Ende habe sie als Goebbels´ Sekretärin gute Arbeit geleistet, auch wenn sie sich mit keiner Silbe an das erinnern kann, was und worüber sie eigentlich schrieb. Die letzten Tage im Keller des Propaganda-Ministeriums? Spargel und Wein habe es gegeben.

Später bei den Russen habe sie dann ein wenig gelogen – so wie als Kind. Dennoch bekam sie fünf Jahre Buchenwald und Sachsenhausen. Das mit den Juden sei ihr da erst klar geworden, als aus denselben Duschköpfen Wasser über ihren Körper geflossen sei, aus denen die Jahre davor Gas geströmt war.

Ihr Fazit: Es gibt keine Gerechtigkeit, aber den Teufel.

Und: Gibt es eine Schuld der Dummheit? – Die Antwort muss jeder im Publikum selbst finden, ebenso die Antwort auf die Frage, ob so etwas auch heute noch geschehen könne. – In Zeiten selbstherrlicher Staatsmänner nicht schwer zu beantworten und beklemmend nachdenklich stimmend.

Spielplan und Karten unter www.schlossparktheater.de oder Telefon: 030 – 789 56 67 – 100

Jacqueline Lorenz

Titelbild

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