Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau November 2020
Wo Ende des 19. Jahrhunderts noch die Schafe von Gutsbesitzer und Millionenbauer Gustav Mette weideten, spendet heute Gottes Wort den Schäflein der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Berlin-Schöneberg Kraft.
In diesem Jahr feiert die 1970 auf dem ehemaligen Gutsgelände an der Schöneberger Hauptstraße 125A errichtete Baptistenkirche ihren 50. Geburtstag.
Zum Areal gehört das geschichtsträchtige Mehrgenerationenhaus 125 – neu erbaut auf alten Mauern – in dem heute die Ergo- und Physiotherapie-Praxis der Immanuel TherapieWelt untergebracht ist und viele Menschen ein Zuhause finden können.
Die Baptisten Schöneberg sind Gründer und alleinige Gesellschafter der Immanuel Diakonie, die einer ihrer Wege ist, anderen zu helfen. Als Ortsgemeinde und Teil eines größeren Ganzen gehören sie zum Bund Evangelisch-Freikirchkirchlicher Gemeinden K.d.Ö.R.
Seit dem 17. Jahrhundert gibt es den „Baptismus“: Er entstand in Holland unter englischen Religionsflüchtlingen, die sich dem Staatskirchentum verweigerten.
Der Name „Baptist (Täufer)“ entstand, da diese Gläubigen Säuglingstaufen ablehnten und stattdessen nur mündige Menschen auf eigenen Wunsch hin tauften.
Von Anfang an tief verbunden mit den Baptisten ist der Freiheitsgedanke.
War den Vorvätern und –müttern besonders die Freiheit des Menschen vor Gott wichtig, sind bis heute Freiheit des Glaubens, des Gewissens und jedes Menschen fest mit der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde verbunden. Berühmtes Beispiel dieser Glaubensrichtung ist der Baptistenpastor Martin Luther King.
Dogmatische Hierarchien kennt sie nicht. Vielmehr ist bei ihr jeder Glaubende aufgerufen, die Bibel zu lesen, sich sein eigenes Urteil zu bilden und Konsequenzen daraus für sein eigenes Leben zu ziehen. Dabei wird viel Wert auf lebendige Beziehungen der Gemeindemitglieder untereinander und zu Gott durch Jesus Christus gelegt.
1891 ließ Gutsbesitzer Gustav Mette, Spross einer alteingesessenen Schöneberger Bauernfamilie, in der Hauptstraße 125 von dem Architekten E. Günzel ein großzügiges, vornehmes Wohnhaus mit Natursteinfassade errichten, nachdem er das Nachbar-Grundstück zu seinem eigenen in der Hauptstraße 126 hinzugekauft hatte. Das Haus, das Gustavs Vater zuvor darauf hatte bauen lassen, ist bis heute erhalten.
Die einstigen Bauaktivitäten machen deutlich, zu welch schnellem Reichtum die vorher weniger wohlhabenden Schöneberger Bauern durch den Verkauf von Grund und Boden gelangt waren – was ihnen im Berliner Volksmund die Bezeichnung „Millionenbauern“ einbrachte.
In dem neu errichteten Haus Gustav Mettes gab es herrschaftliche Wohn- und Empfangszimmer eben sowie Wirtschaftsräume und Zimmer für die Bediensteten.
Ausgehend von der seit 1899 selbstständigen Baptisten-Gemeinde in Berlin-Steglitz hatte sich 1925 die Station Schöneberg gegründet. 1931 wurde sie selbstständig und pachtete als „Gemeinde gläubig getaufter Christen (Baptisten)“ das Haus des Schöneberger Gutsbesitzers Gustav Mette. In der Belle Etage im Obergeschoss der Villa richtete die Gemeinde einen Betsaal ein. Die übrigen Räume dienten nach ihrem Umbau als „Alters- und Siechenheim“.
Nach seiner Aufstockung und seinem Ausbau wurde das nun als „Hospital“ bezeichnete Haus im Jahr 1949 von 81 auf 120 Betten erweitert und 1957 nochmals um einen Anbau mit Bettenaufzug vergrößert.
1966 nannte sich die Baptistengemeinde in „ Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Berlin-Schöneberg“ um. Ein Jahr später kaufte sie das ehemalige Gutshaus.
1970 wurde auf dem Grundstück ein neues Gemeindezentrum fertiggestellt, zu dem sich 2001 als Anbau eine Mehrzweckhalle mit mehreren Gruppenräumen zur multifunktionellen Nutzung gesellte. Richtung Feurigstraße ist eine Turnhalle angefügt.
Zum Gebäudekomplex gehört die Kirche mit der 1972 angeschafften Orgel der Firma Paschen Kiel Orgelbau. Über eine Freitreppe erreicht der Besucher das Foyer des Gemeindezentrums und gelangt von dort in den Kirchenraum, der amphitheaterartig
zum Altarbereich hin abfällt. Taufbecken für die Erwachsenentaufe und zusätzliche Gemeinde- und Tagungsräume liegen im Souterrain.
Trotz aller Erweiterungen und Umbauten erhielt die Baptistengemeinde die vollständige Natursteinfassade des Hauses Mette sowie Vorgarten und Einfriedung.
Als Zeitzeuge der zu Reichtum gekommenen Schöneberger Bauern fügt sich das Haus auf dem Gemeindeareal auch heute noch in das an wohlhabende Tage Schönebergs erinnernde Ensemble, zu dem die benachbarte Grünanlage des einstigen Dorfangers ebenso gehört wie die alte Dorfkirche und der Kirchhof gegenüber, auf dem viele „Millionenbauern“ ihre letzte Ruhe gefunden haben.
Jacqueline Lorenz
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