Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf November 2020
Ist der Einsatz der Bundeswehr im Gesundheitsamt alternativlos? In den folgenden Beiträgen nehmen die Fraktionen der BVV zu dem Thema Stellung.
Wir sagen derzeit klar: Ja!
Es gibt gute Gründe, die Bundeswehr aus inneren Angelegenheiten heraus zu halten. Zu oft wurde das Militär in der deutschen Geschichte zur Durchsetzung von staatlicher Gewalt – teilweise auch gegen politische Gegner – benutzt. Dies darf sich nicht wiederholen. Diese Regelung gilt jedoch nicht für einen Krisen- und Katastrophenfall. So einen, wie wir ihn jetzt haben. Die Corona-Pandemie hat unser Gesundheitsamt an den Rand seiner Belastbarkeit gebracht. Bereits vor der Pandemie konnten viele Stellen im Gesundheitsamt nicht besetzt werden. Daher ist es gut, wenn die Bundeswehr jetzt aushilft. Uns als SPD-Fraktion ist es in dieser Situation wichtig, dass engagierte und fähige Menschen am Ende der Telefonleitung sitzen. Den Bürgerinnen und Bürgern muss schnell und effizient weitergeholfen werden können. Gerne auch von Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten. Wir sagen als SPD-Fraktion explizit Danke an jede und jeden, der in dieser Notsituation unserem Bezirk hilft. Alle Menschen, die tagtäglich gegen den Virus kämpfen, die Maske tragen oder Rücksicht nehmen. Und wir sagen auch Danke an die Bundeswehr für ihre Mithilfe im Gesundheitsamt bei der Bekämpfung dieser Pandemie.
Dr. Ann-Kathrin Biewener
Alternativen gibt es immer, die Frage ist, ob diese akzeptabel sind. Die Bundeswehr ist nicht wie die Überschrift suggeriert in einem militärischen Einsatz in unserem Bezirk unterwegs, sondern unterstützt das Gesundheitsamt des Bezirks bei der Bekämpfung einer Pandemie. Die Unterstützung der Bundeswehr entlastet Mitarbeiter, ermöglicht, dass Mitarbeiter durch die Entlastung an dieser Stelle andere für die Bürger wichtige Verwaltungsaufgaben weiterhin wahrnehmen können und hilft dabei, die Verbreitung von Covid-19 einzudämmen. Die Alternativen wären eine noch höhere Belastung der bezirklichen Mitarbeiter, die Einschränkung von Dienstleistungen und im schlimmsten Fall noch mehr erkrankte Menschen. Für die CDU-Fraktion sind diese Alternativen nicht akzeptabel. Wir begrüßen die Unterstützung des Gesundheitsamtes durch die Bundeswehr ausdrücklich und bedanken uns für den Einsatz. Auch wenn es in das Weltbild linker Politiker nicht passt: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, die ihren Platz in der Mitte unserer Gesellschaft hat.
Susanne Klose
Ein kritischer Blick auf die Arbeit der Bundeswehr im Gesundheitsamt schadet nicht: das Grundgesetz hat dem Einsatz des Militärs im Inland enge Grenzen gesetzt. Aus Gründen. Erlaubt ist die Verwendung von Bundeswehr-Personal im Rahmen der Amtshilfe. Benötigt eine Behörde Unterstützung, kann sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben punktuell und ausnahmsweise die Hilfe der Streitkräfte in Anspruch nehmen. Wenn in der derzeitigen Corona-Lage also Soldat*innen im Gesundheitsamt ans Telefon gehen, ist das in Ordnung. Alternativlos ist es nicht, und die Verfassung gebietet auch, nach Alternativen zu suchen. Deshalb liegt Ministerin Kramp-Karrenbauer daneben mit ihrer Methode, Druck auf die Ämter auszuüben. Das Problem liegt woanders: nach jahrelangem Personalabbau ist der öffentliche Gesundheitsdienst ausgelaugt. Das Bezirksamt ist seit jeher nicht in der Lage, kurzfristige Einstellungen zu realisieren, und nicht imstande, mit zivilen Kräften angemessen auf eine Pandemie-Situation zu reagieren. Für einen grundlegenden Wechsel in der Personalpolitik fehlt es am Wollen und wohl auch am Können. So bleibt dem Bezirk dann doch keine Wahl – die Hilfe der Bundeswehr ist willkommen.
Christoph Wapler
In der Bekämpfung der Corona-Pandemie sind die Gesundheitsämter entscheidend. Sie beraten, testen und sprechen mit den Kontaktpersonen Erkrankter. Insbesondere dieses Zurückverfolgen und Warnen ist essentiell, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Doch ist diese Aufgabe mit einem enormen Personalaufwand verbunden. Kontaktdaten müssen ausfindig gemacht, Personen angerufen und beraten werden. Dabei helfen die regulären Beschäftigten der Ämter, Mitarbeiter aus anderen Teilen der Verwaltung, Studenten und eben auch die Bundeswehr.
Doch während der Fokus aktuell auf dem Virus liegt, haben die Gesundheitsämter noch viele andere Aufgaben. Sie führen Einschulungsuntersuchungen durch, beraten Menschen mit Behinderung oder psychiatrischer Erkrankung und überwachen Hygienevorschriften. Diese Aufgaben mussten in den letzten Monaten zu oft zurückstehen, weil nicht genügend Personal vorhanden war. Ohne externe Hilfe wären sie kaum mehr möglich. Mitte Oktober waren fast 500 Soldaten in Berlin zur Hilfe in den Ämtern. Wer diese Unterstützung wie die Linke und Teile von SPD und Grünen aufgrund ideologischer Vorurteile aufgeben möchte, schwächt die Gesundheitsämter und die Bekämpfung des Virus. Das ist unverantwortlich.
Pascal Tschörtner
Fakt ist: Kann das Gesundheitsamt aufgrund von z. B. Personal- oder Gerätemangel seine Aufgaben ausnahmsweise nicht erfüllen, ersucht es um Amtshilfe gemäß Art. 35 I GG (z. B. Amtshilfe der Bundeswehr unterhalb der Einsatzschwelle, d.h. ohne Zwangs- und Eingriffsbefugnisse). Kein Zweifel! Die extremen Verordnungen führten zu einem Personalmangel, der nicht absehbar war. Im Grunde ist nun Gesundheitsstadtrat Wagner um so mehr verpflichtet, für eigenes (ziviles) Personal zu sorgen. Amtshilfe der Bundeswehr darf nur die Ausnahme sein. Eine andere Grundsatzfrage ist jedoch zu stellen: Sind die verordneten Corona-Maßnahmen tatsächlich „alternativlos“? Das ist zu bezweifeln.
Nicht ins Verhältnis gesetzte Grenzwerte verzerren die Faktenlage: PCR positiv ist nicht gleich infiziert, infiziert nicht krank/ansteckend, krank nicht hospitalisiert und hospitalisiert nicht gleich tot. Das Gesundheitssystem war nie auch nur ansatzweise überlastet. Die Letalität des Virus liegt bei maximal 0,5 – 1 % der Infizierten (Grippe ca. 0,1 – 0,2 %), der Altersmedian bei 85. Der Blick ist daher (auch aus rechtsstaatlichen Gründen!) weg von den Gesunden auf die Risikogruppen zu richten.
Jan von Ertzdorff-Kupffer
Nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie traten Soldat*innen der Bundeswehr auch im Gesundheitsamt von Charlottenburg-Wilmersdorf ihren Dienst an. Zweifelsohne ist dieser Einsatz ein Beitrag zur Eindämmung des Corona-Virus. Außer Frage steht ebenso, dass Soldat*innen unerlässliche Helfer*innen sind, wenn das Infektionsgeschehen droht, nicht länger beherrschbar zu sein. Doch zeigt das Beispiel Friedrichshain-Kreuzberg, dass es Alternativen zum Einsatz von Militär in der Zivilverwaltung gibt. Der Bezirk beschäftigte für die Nachverfolgung von Infektionsketten schon früh freiwillige Helfer*innen und gab vor allem Studierenden eine Perspektive, nachdem viele Studi-Jobs und Existenzgrundlagen plötzlich wegbrachen. Sie unterstützen die Arbeit der Ämter über die Dauer der Pandemie, während die Einsatzkräfte der Bundeswehr ausgewechselt werden, kaum dass sie eingearbeitet sind. Im Bezirk Mitte gelingt die Nachverfolgung von Coronavirus-Infizierten im Vergleich nur schleppend, trotz der meisten Soldat*innen im Einsatz. Das Beispiel belegt, dass die Bundeswehr eine Unterstützung in der Krise, nicht aber eine Lösung für das Problem des jahrelangen Personalmangels sein kann. Dieser erfordert nachhaltige Konzepte statt Notlösungen.
Annetta Juckel
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