Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Dezember 2020
Inmitten der „Läden der KünstlerKolonie“ hat der KünstlerKolonie e. V. ein besonderes Highlight für Kultur eröffnet. Zwischen Blumengeschäft und Vonovia-Büro haben nun passend zum geschichtsreichen Umfeld seit dem Sommer Künstler und Kunstfreunde endlich den ersehnten Raum für Veranstaltungen und Kieztreffen erhalten. Wo zuvor Fernseher verkauft und repariert wurden, wird im KunstRaum am Breitenbachplatz 1 nun trotz Corona-Zeiten optimistisch an einem vielfältigen Programm gefeilt, das u. a. mit Lesungen, Kleinkunst, Ausstellungen, Musikvorträgen, Workshops und Schreibcafé für jeden Kunstgeschmack im Kiez etwas zu bieten hat.
In der 1927 als Soziales Wohn-Projekt für Kulturschaffende gegründeten Künstlerkolonie leben auch heute noch viele Menschen aus der Kunst- und Kreativszene, Kunstschaffende und Intellektuelle, die den traditionellen Charakter der Kolonie und gemeinschaftliches Wohnen zeitgemäß erhalten sehen wollen.
Seit 1990 steht die Siedlung in Berlin-Wilmersdorf unter Denkmalschutz, Tafeln an den Häusern erinnern an namhafte frühere Bewohner, von denen viele unterdrückt, verfolgt und vertrieben worden waren.
Der neue KunstRaum hat an demselben Ort eröffnet, an dem bereits 1929 ein großer Lesesaal als Kommunikationszentrum in einem vierten geplanten Wohnblock hatte entstehen sollen. Das jedoch war vom Nazi-Regime verhindert worden.
Seit Jahrzehnten gehört das Wohnareal zwischen Laubenheimer Straße, Südwestkorso, Kreuznacher Straße und Breitenbachplatz nicht mehr den Künstlern, sondern nach mehreren Vermieterwechseln in seiner Gesamtheit heute dem Immobilienkonzern Vonovia, der den Raum nun für Kulturveranstaltungen dauerhaft mietfrei zur Verfügung gestellt hat und damit einen vielfach von Mieterseite an ihn herangetragenen Wunsch erfüllt hat.
Christian Sekula, Vereinsvorstand und Pressesprecher der KünstlerKolonie, ist fachkundiger Ansprechpartner, wenn es um Veranstaltungsplanung und Organisation im KunstRaum geht. Das richtige Gefühl für Kunst und Kultur hat der gebürtige Schöneberger, der heute am Breitenbachplatz wohnt, bei seinen Großeltern entwickeln können, die in Friedenau lebten. Hier bekam er als Junge viel vom kulturellen Leben mit – aber auch von Nazi-Verbrechen und Judenverfolgung: Während der eine Großvater, ein Jurist, als „Nazijäger“ beruflich unterwegs war, war der andere Großvater Gewerkschaftler und nahm den damals 12-jährigen Christian bei Gedenkfeiern und Kranzniederlegungen der IG-Metall zu den KZ-Gedenkstätten mit – prägende Erlebnisse für den Jungen.
Kunst und Kultur mit Kiezbezug fördern, aber auch Erinnerungskultur bewahren und weitergeben will Christian Sekula, der beruflich breit gefächert ist: Aus seiner Tätigkeit im Management von Siemens bringt er Organisationstalent mit, aus seiner Arbeit als Dozent für Sozialrecht einen starken Gerechtigkeitssinn. Die Liebe zur Kunst kommt wohl auch vom Vater, der Berliner Sängerknabe war.
Mit dem KunstRaum in direkter Wohnnähe will Sekula auch das Zusammengehörigkeitsgefühl in der KünstlerKolonie stärken – ein wichtiges Anliegen, angesichts der fortschreitenden Durchmischung der Kolonie durch die freie Vermietung.
Dabei haben Christian Sekula und seine engagierten Kolonie-Mitstreiter viele gute Ideen, den neuen Treffpunkt noch attraktiver, vielseitiger und der Öffentlichkeit interessanter zu machen:
So könnte der zurzeit wenig attraktive Parkplatz vor der Tür des KunstRaumes für Außenveranstaltungen genutzt und die vernachlässigte „Kaiserdiele“ am Südwestkorso für charmante Veranstaltungen und damit zur ganz besonderen „Außenstelle“ des KunstRaumes entwickelt werden.
Da in den letzten Wochen coronabedingt Veranstaltungen immer wieder ausgebremst wurden, hat Christian Sekula mit spürbarer Begeisterung nun einen Kunst-Blog mit You-Tube-Kanal für die Kolonie-Webseite ins Leben gerufen, auf dem Künstler aus dem Umfeld der Kolonie Lesungen und mehr „zum Anfassen mit Abstand“ präsentieren. Das Echo ist groß – sowohl bei den Nutzern als auch bei den Anbietern aus eigenen Reihen, die Klicks beweisen das. Sogar aus den USA kommen sie.
– Auch das gehört zum Kiezleben, dem der KunstRaum erstrangig dienen soll. Sekulas Vision davon: „Eine Kombination von Künstler- und nachbarschaftlichem Kieztreff, interkulturell und vielseitig.“ Zurzeit tue sich mächtig was im Kiez. Man entdecke die Geschichte und Bewohner vergangener Tage wieder neu und intensiver. Dies zu dokumentieren und der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, auch das sei eine wichtige Aufgabe des neuen Kulturraumes.
Rund 120 Quadratmeter groß ist er, freundlich durch die hellen Wände mit Bilderleisten und am Tag lichtdurchflutet. Plätze für bis zu 25 Personen sind vorhanden, gelbe Clubsessel und eine Bücherecke mit der Option zum Büchertausch verbreiten Gemütlichkeit. Original Zeichnungen, Gemälde und Fotografien zum Thema Corona verführen zum genauen Hinschauen. Sehenswert auch die Exponate, die von der Geschichte der KünstlerKolonie erzählen, Namen lebendig halten wie Ernst Bloch und Kurt Tucholsky, Malerin Claire Philipp-Teller und Komponist Geno Ohlischlaeger, dessen Tochter Dorotheé in der KünstlerKolonie über ihren Vater viel zu erzählen und zu singen weiß.
Und auch unter der Erde soll es bald mit Kultur weitergehen: Unter dem KunstRaum ist ein Archiv angedacht, um die zahlreich erhaltenen spannenden Dokumente und Unterlagen zur Geschichte der KünstlerKolonie zu dokumentieren, zu bewahren und schließlich zu digitalisieren. Noch werden sie von verschiedenen Vereinsmitgliedern privat aufbewahrt, sollen aber später der Öffentlichkeit präsentiert werden. Immerhin über 8.000 Namen und Familiengeschichten sind mit der wechselvollen Geschichte der KünstlerKolonie verbunden. Dem KunstRaum und seinen Betreibern dürfte also kaum der Stoff für viele interessante Veranstaltungen ausgehen.
Im KunstRaum für Dezember 2020 geplant:
Vom 1.12.2020 – 31.1.2021 Ausstellung Alexander Solowjow – Ölgemälde und Aquarelle.
Weitere Veranstaltungen und Informationen unter www.kueko-berlin.de .
Jacqueline Lorenz
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