Erschienen in Lichterfelde Ost Journal Oktober/November 2018
Ein Fischreiher erhebt sich bedächtig vom Rand des Seerosen-bewachsenen Hafenbeckens, Libellen tanzen im Sonnenlicht, und verschlafen blicken die ungeputzten Fensteraugen der einstigen Teltowwerft am südlichen Berliner Stadtrand auf den vorbeischlendernden Spaziergänger, der vom Ende der Zehlendorfer Sachtlebenstraße auf den Mauerweg am Teltowkanal wechselt. Schienen der einstigen Treidelbahn verschwinden unter Beton, um kurz vor dem Teltowkanal zwischen Brennnessel und Knöterich wieder sichtbar zu werden.
Mitte der 20er-Jahre als Ergänzung zum neu angelegten Teltowkanal errichtet, stehen Bauhafen und Bauhof mit zentraler Lokhalle, Windenhaus, Trafohaus und Hauptgebäuden heute ebenso unter Denkmalschutz wie die Schienen selbst.
Noch ist es still hier, und doch scheint man das Quietschen der Winden beim Landbringen der Boote, das Rufen der Arbeiter beim Entladen von einst zu vernehmen.
Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2019 aber – derzeit läuft das Planungsverfahren – könnten die auf etwa zwei Jahre angelegten Bauaktivitäten beginnen, um auf dem Areal dringend benötigten Wohnraum in familienfreundlicher Umgebung zu realisieren und der Teltowwerft eine Zukunft zu geben, die in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Freizeit liegt.
Die Münchner Immobilienfirma Investa Real Estate will auf dem rund 2.5 Hektar großen Gelände das Wohnen mit Geschichte und mit der Natur mit fast 100 Millionen Euro umsetzen und hat dazu das für seinen sensiblen Umgang mit Denkmalschutz und Städtebau bekannte Architektenbüro Axthelm/Rolvien ins Boot holen können. Für Henner Rolvien und sein Team eine ebenso verantwortungsvolle wie herausfordernde Aufgabe. Seine Begeisterung, mit der er die Relikte vergangener Werfttage auf dem Gelände vorstellt, zeigt, dass hier mit Rücksicht auf die vorhandenen Einzeldenkmäler und die Natur gebaut werden soll, maritimen Flair und Wassernähe in die Baupläne einbeziehend. Der Architekt erklärt dazu: „Uns ist es wichtig, den Naturbezug durch die Bebauung zu belassen und hervorzuheben.“ So werden in mehreren Bauabschnitten nach dem Modell der kooperativen Baulandentwicklung rund 160 in sich harmonierende Wohneinheiten von der kleineren Eigentumswohnung bis hin zum geräumigeren Townhaus und drei- bis fünfgeschossigen Wohnhaus entstehen, somit auch ein Viertel mietpreisgebundene Wohnungen. Mit Blick auf die in direkter Kleinmachnower Nachbarschaft liegende Seniorenwohnanlage Augustinum sollen in die Bebauung von fast 24.000 Quadratmetern Geschossfläche auch die Bedarfe älterer Menschen mit einfließen, um unter den Bewohnern eine ausgewogene Altersstruktur zu erreichen.
Als autofreies Wohnquartier konzipiert, ist eine von der Sachtlebenstraße her erreichbare Tiefgarage geplant, die den hier relativ hoch liegenden Grundwasserspiegel berücksichtigt. Sozusagen vor der Haustür gibt es im Hafenbecken außerdem Liegeplätze für Paddelboot oder Sportjolle, die daran erinnern, dass 1927 von der Teltowwerft aus als erstes durchgehend geschweißtes Fahrgastschiff die „Zehlendorf“ – liebevoll „Kaffee Vaterland“ genannt – vom Stapel lief, die fast 30 Jahre lang über die Gewässer Berlin-Brandenburgs schipperte.
Derzeit nutzen die Hallen auf dem Areal nur noch wenige Gewerbetreibende, doch mit der Wiederbelebung der Teltowwerft und der denkmalgerechten Sanierung der Lokhalle dürfte rund um den Stadtplatz des neuen Quartiers auch teilgewerblicher Raum für Büros und Gewerberäume angeboten werden, wie in dem 2009 neu festgelegten Bebauungsplan vorgesehen.
Dazu wird im Bezirk aktuell über die Einrichtung einer direkt vor der Tür liegenden Bushaltestelle „Teltowwerft“ nachgedacht.
Einen gemeinsamen Traum haben Investor, Architekt und viele Anwohner rund um die Sachtlebenstraße schon jetzt, der bereits im vor zwei Jahren veranstalteten Schinkelwettberwerb Beachtung gefunden hatte: die kleine Brücke, die einst über den Stichkanal am Hafenbecken verlief, sowie die nach dem Krieg gesprengte große Brücke über den Teltowkanal von Zehlendorf nach Teltow wieder zu errichten – als Fußgänger- und Fahrradbrücke. Letztgenannte steht jedoch nicht auf dem Werftgelände und damit außerhalb der Zuständigkeit des Bauinvestors.
Doch bevor Brückenbaumaßnahmen überhaupt begonnen werden können, heißt es zuerst für die Länder Berlin und Brandenburg, einen gemeinsamen Konsens zu finden.
Derzeit schaut es an der ehemaligen Brücke, die einst Zehlendorf mit Teltow verband, verwunschen-traurig aus: Stacheldraht sichert die noch erhaltenen seitlichen Brückenpfeiler, ein Stück alte Mauer und Bahnschienen führen ins Nichts.
Daneben – vom Bezirk vergessen – ein fast verfallener, kleiner Pavillonbau, der einmal bessere Tage gesehen hat und im Volksmund als „Kaiser-Pavillon“ von sich reden machte. Wie man sagt, hatte auf kaiserlichem Stuhl sitzend Kaiser Wilhelm II. von diesem Pavillon und höherer Warte aus einst dem Bau des Teltowkanals im Jahr 1906 beigewohnt.
Anwohner haben die Tür des Häuschens vor Jahren vernagelt, um es vor mutwilliger Zerstörung zu bewahren. Doch nun scheinen seine Tage gezählt, nur wenige intakte Balken halten das altersschwache Gemäuer noch aufrecht.
Und so liegen Verfall und Reanimation auch hier, am südlichsten Teil Zehlendorfs, eng beieinander.
Jacqueline Lorenz
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