Gazette Verbrauchermagazin

Unternehmen in der Schieflage

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf diskutiert

Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf Januar 2021

Wie kann die bezirkliche Wirtschaftsförderung in der Corona- Krise helfen? In den folgenden Beiträgen nehmen die Fraktionen der BVV zu dem Thema Stellung.

SPD-Fraktion

2020 steht im Zeichen der Corona-Pandemie, deren volkswirtschaftliche Auswirkungen noch nicht vollumfänglich abgeschätzt werden können. Angesichts der aktuellen Corona-Fallzahlentwicklungen kommt es nun zu einem harten Lockdown, der gerade auch für den Einzelhandel erhebliche wirtschaftliche Einbußen bedeuten wird, auch bei uns in Charlottenburg-Wilmersdorf. Daher ist es richtig und begrüßenswert, dass die Bundesregierung auch weitere finanzielle Unterstützungsmaßnahmen beschlossen hat.

Die bezirkliche Wirtschaftsförderung muss jetzt umso mehr eine erste Anlaufstelle für die bezirklichen Unternehmen und Gewerbetreibenden sein. Sie berät und informiert über die verschiedenen finanziellen Corona-Hilfsmaßnahmen. Eine weitere wichtige Hilfestellung der bezirklichen Wirtschaftsförderung wäre die proaktive Unterstützung der Gewerbetreibenden im Bezirk, Stundungen bzw. Senkungen bei Gewerbemieten zu erreichen, um drohende Geschäftsaufgaben zu verhindern. Die SPD-Fraktion wird auch weiterhin wirtschaftsfördernde Maßnahmen unterstützen, wie z. B. weiterhin einen zeitlich befristeten Gebührenerlass für Sondernutzungen.

Constanze Röder

CDU-Fraktion

Sicherlich haben Bund und Länder in dieser pandemischen Zeit die größte Fürsorgepflicht gegenüber der Wirtschaft. Diese erfüllen sie, indem sie hilfebedürftigen Unternehmen Zuschüsse und Kredite gewähren. Doch wo kann man noch unterstützen, anstatt nach sozialdemokratischer Art Probleme nur mit Geld zu lösen? Hier sind die bezirklichen Wirtschaftsförderungen gefragt. Der Bezirk Pankow bietet zahlreiche Videokonferenzen an z. B. zu Themen wie „Soziale Netzwerke nutzen“ „Eigenmarketing“ oder „Finanzielle Hilfe beantragen“. Ein Mix aus Fortbildung und Hilfestellung für Selbstständige. Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf macht mit #kauflokalsz Werbung für lokale Geschäfte auf seinen sozialen Kanälen. Der Fokus liegt insbesondere auf den kleinen Läden, die von der Krise am stärksten betroffen sind. Und der Bezirk Treptow-Köpenick warb bereits im Sommer mit seinem Tourismusverein tatkräftig um Touristen – zur großen Freude der Hoteliers und Gastronomen. Besonders in Zeiten der nun gezwungenen Digitalisierung können Bezirke mit geringen Ressourcen zahlreiche Angebote entwickeln. Und Charlottenburg-Wilmersdorf? Kann man, wie auch vor der Pandemie, weiterhin telefonisch oder per Email kontaktieren...

Simon Hertel

B‘90/Grünen-Fraktion

Durch die anhaltende Corona-Pandemie sind viele Unternehmen in ihrer Existenz bedroht. Ob Restaurant oder Kulturbetrieb: vor allem Kleinbetriebe und Soloselbstständige wissen oft nicht mehr weiter. Ihnen muss der Bezirk helfen. Die allgemeine Schuldner- und Insolvenzberatung reicht da nicht aus.

Selbständige brauchen ein qualifiziertes Beratungsangebot, das ihnen hilft, ihr Unternehmen durch die Krise zu führen. Welche Zuschüsse gibt es von Bund und Land? Wo kann ich Hilfe beantragen? Droht Überschuldung oder ist eine Sanierung möglich? Fragen, die die Wirtschaftsförderung im Bezirk beantworten könnte; nur der zuständigen Abteilung gelingt es nicht, die offenen Stellen zu besetzen.

Wo das Bezirksamt an seine Grenzen stößt, ist Kooperation gefragt. Im Nachbarbezirk Mitte ist es gelungen, mit Senat und IHK eine spezialisierte Beratung für Kleinunternehmen einzurichten. Dort zeigt ein Expert*innenteam den Selbstständigen Wege aus der Krise. Ein nachahmenswertes Beispiel für die Wirtschaftsförderung in Charlottenburg-Wilmersdorf. Das Bezirksamt muss mehr tun um sicherzustellen, dass die zur Verfügung stehenden Hilfen auch ankommen, und um soziale Not von Menschen im Bezirk zu verhindern.

Christoph Wapler

FDP-Fraktion

Die Wirtschaftsförderung ist mit nur einem Mitarbeiter seit Jahren in einer schlechten Verfassung. Zum Glück stellt der Senat noch einen weiteren Mitarbeiter durch die städtische Agentur Berlin Partner. Beide Angestellten erfüllen ihre Aufgabe gut, jedoch kann dies nicht über die jahrelange Vernachlässigung der Abteilung hinwegtäuschen. Immer wieder haben wir Anträge und Verbesserungsvorschläge eingebracht. Diese fanden leider nie das Gehör der rot-grün-roten Mehrheit.

Auch zu Beginn der Corona-Krise haben wir mehrmals probiert, die Missstände zumindest in Teilen zu beheben: eine Beratung zu den Hilfspaketen für Kleinunternehmen und mittelständischen Betriebe zu gewährleisten sowie durch personelle Aufstockung die Eigeninitiativen der Abteilung zu fördern. Unser Konzept sieht unter anderem vor, einen personellen Aufwuchs durch weitere Mitarbeiter von Berlin Partner zu erwirken. Erst jetzt ist das Bezirksamt aktiv geworden. Für die kommenden Probleme reicht die Struktur bei langem nicht aus.

Kurzum: Die Verfehlungen der vergangenen Jahre fallen der rot-grün-roten Mehrheit auf die Füße. Trotzdem herrscht noch immer keine Bereitschaft, langfristig an Lösungsansätzen zu arbeiten. Frei nach dem Motto: „Es ist sowieso gut die Augen zu schließen, wenn man den Kopf ohnehin in den Sand gesteckt hat!“

Maximilian Rexrodt

AfD-Fraktion

Die Fragestellung suggeriert, es gäbe einen Zusammenhang zwischen Covid-19 und der Existenzbedrohung von Unternehmen. Das ist jedoch nicht der Fall. Covid-19 kann Menschen erkranken oder sterben lassen, jedoch weder Unternehmen noch Arbeitsplätze gefährden oder vernichten. Die Existenzbedrohung von Unternehmen und Arbeitsplätzen geht vielmehr von den unverhältnismäßigen Reaktionen auf Covid-19 aus. Sowohl die Bundesregierung als auch der Berliner Senat haben es in den vergangenen neun Monaten versäumt, die „vulnerablen Gruppen“ vor der zu erwartenden „zweiten Welle“ der Virusverbreitung zu schützen. Sie hätten ausreichend FFP2-Masken beschaffen, Impfungen gegen Influenza und Pneumokokken deutlich stärker propagieren, den herrschenden Vitamin D-Mangel bekämpfen, das Gurgeln mit viruziden Mundspüllösungen publik machen und die Schulen mit ausreichend Luftreinigern ausstatten müssen. Stattdessen haben sie extreme volks- und betriebswirtschaftliche Schäden durch einen erneuten, harten „Lockdown“ billigend in Kauf genommen. Der bezirklichen Wirtschaftsförderung bleibt angesichts dessen leider nicht viel mehr, als sich bei Vermietern bzw. Verpächtern für eine Reduzierung der Mieten bzw. Pachten der Gewerbetreibenden einzusetzen.

Markus Bolsch

Linksfraktion

Um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf kleine Unternehmen und das Kleinstgewerbe im Bezirk abzumildern, fordern wir als Fraktion DIE LINKE, dass das Bezirksamt auf Antrag unbürokratisch für Mieter*innen bezirkseigener Liegenschaften eine Mietabsenkung um bis zu 50 Prozent ermöglicht. Der Gewerbemietenmarkt soll in einem Gutachten unter besonderer Beobachtung stehen und insbesondere die Auswirkungen der Pandemie in den Fokus nehmen. Außerdem möchten wir, dass die bezirkliche Wirtschaftsförderung für bedrohtes Kleingewerbe eine wöchentliche telefonische Sprechstunde zur Beratung einrichtet, um Betroffene über Antragsstellung für Hilfsfonds und Überbrückungshilfen aufzuklären. Nur so können Hilfen auch dorthin gelangen, wo sie dringend gebraucht werden, nämlich vor Ort in den Kiezen. Um die Gastronomie zu unterstützen und den temporären Betrieb auf öffentlichen Freiflächen, wie etwa Parkplätzen, auch im Winter zu gewährleisten, müssen ökologisch nachhaltige Alternativen zu Heizpilzen gefördert werden. Wir erwarten vom Bezirksamt ein nachhaltiges Konzept, das über die bis zum 31.03.2021 geltenden Vereinbarungen des Gastro-Gipfels hinausgeht und der Gastronomie möglichst den durchgängigen Betrieb während aller Jahreszeiten ermöglicht.

Sebastian Dieke

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