Erschienen in Gazette Charlottenburg Januar 2021
„Helus, mein „Sonnchen“, nannte ihren einzigen Sohn 1951 seine ungarische Mutter – ein wenig abgewandelt – nach dem Sonnengott Helios. – Ein besonderer Name für einen besonderen Menschen, wie Helus Hercygier es ist. Mit seinen vielfachen Begabungen vermag er ein wenig mehr Licht in die Welt zu bringen: Als Künstler, der mit Swing und jiddischer Neschome (Seele) sein Publikum zu begeistern weiß, mit seinen Modellspielwaren manch Sammlerherz verzückt und mit gelungenen, in Fotoausstellungen bestaunten Krötenfotos punktet, für die er so manche Stunde bäuchlings am Teich verharrt hat. Auch in der freien Natur Südfrankreichs verbrachte er viele Nächte und hat aussagekräftige Fotos von seinen zahlreichen Reisen mitgebracht.
Der Hut gehört zu ihm wie der siebenarmige Leuchter, und wer diesen vielseitigen Menschen nicht kennengelernt hat, hat viel versäumt.
Sein Talent wurde früh entdeckt: In den 50er-Jahren wohnte Familie Hercyngier im Nachbarhaus des Nachkriegs-Heimatfilmproduzenten Kurt Ulrich von u. a. „Schwarzwaldmädel“ oder „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“. Davor parkte stets sein Cadillac, der es dem etwa achtjährigen Helus und seinen Freunden angetan hatte, da das Tacho bis 200 ging. Oft drückten sie ihre Nasen an den Autoscheiben platt, bis sie dabei eines Tages der Hausmeister erwischte und zur Rede stellte. Helus, dessen Mutter daheim penibel darauf achtete, dass der Junge nicht berlinerte, sondern „ein anständiges Deutsch“ sprach, gab kess Antwort, so dass ihn der strenge Hausmeister ins Büro des Filmproduzenten überstellte. Doch dieser unterhielt sich „auf Augenhöhe“ mit dem Jungen, erkannte wohl sein Talent und forderte ihn auf, sich doch mal spaßeshalber hinterm Sofa zu verstecken. Helus bestand dieses „Casting“ mit derartiger Bravour, dass sich Produzent Ulrich wenig später bei Helus´ Eltern meldete und dem Jungen die Hauptrolle für den Kino-Vorfilm „Pony-Ballade“ – die Geschichte einer Pony-Jungen-Freundschaft – anbot.
Von nun an ging´s bergauf: Ende der 50er war Helus tags Schüler des Rückert-Gymnasiums und spielte abends unter dem Pseudonym Herbert Grünmann am Berliner Schillertheater, wohin ihn der große Boleslaw Barlog geholt hatte. Anfang der 60er-Jahre – Helus war in der 7. Klasse – zog die Familie in die Schöneberger Apostel-Paulus-Straße. In Schöneberg wohnt Helus noch heute.
Als in der Schillertheater-Werkstatt Claus Holm einen Tucholsky-Text las, faszinierte den jungen Helus das gekonnte Berlinern des Kollegen dermaßen, dass er daran arbeitete diesen im Elternhaus so verpönten Dialekt von nun an für sich zu perfektionieren. Überhaupt hatte es ihm Tucholsky angetan: War er, Helus, doch ähnlicher Gesinnung wie dieser linke Demokrat, Sozialist, Pazifist und Antimilitarist, der dabei auch noch ein so brillanter Satiriker, Kritiker und Lyriker war.
Mitte der 60er-Jahre endgültig den Kinderrollen entwachsen, entdeckte der junge Künstler wenig später Klavier und Gitarre für sich. Die Schule brach er ein Jahr vor dem Abitur ab.
Helus Hercygier tingelte nun durch die Kleinkunstszene, war gern gesehener Künstler u. a. im Dennis Pan, Go In und Steve Club. Schließlich fand er ans Kabarett-Theater Berliner Brettl durch Horst Steffen Sommer, den Szene-Insider gern als „sadogermanischen Gitarrenkinski“ bezeichneten. Auf dem Programm stand überwiegend Literatur von Kästner – und Tucholsky. Hercygier trat im Klimperkasten auf, Anfang der 70er-Jahre wurde er Mitbegründer des Theater in Kreuzberk (TK), bis Mitte der 80er war er Mitglied im „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“.
Doch seine jiddische Seele gab keine Ruhe: jiddischer Humor und jiddisches Lied drangen an die Oberfläche, geprägt durch seine jüdische Herkunft und seinen Vater Dawid, der einziger Überlebender seiner im 2. Weltkrieg nach Sobibor deportierten und dort ermordeten polnischen Familie war. Sein Sohn Helus betont: „Sein Denken und Handeln wird mich bis an mein Lebensende beeinflussen.“
Von nun an entwickelte Helus Programme, die er dem jüdischen Humor und Lied widmete und zog damit durch die Berliner Kleinkunstszene.
Seine Solo-Karriere endete im Jahr 2000 mit dem Kennenlernen der Pianistin Alexandra Gotthardt, der für ihn „besten aller Pianistinnen“. In Zusammenarbeit mit ihr entstand neben Tucholsky-, Kästner- und Georg Kreisler-Programmen das Helus besonders ans Herz gewachsene Format „Damit ich nicht vergess´ zu erzählen“ mit jiddischen Geschichten und Liedern, für die Alexandra den Klaviersatz schrieb. Nicht zu kurz kommt dabei der jiddische Witz, der so herrlich intelligent-selbstkritisch sein kann. Dieses Programm wird – wie auch der Tucholsky-Abend und „Heine und die jiddische Seele“ – regelmäßig im Zimmertheater Steglitz präsentiert. Als seinen größten Erfolg aber bezeichnet Helus die USA-Tournee nach Washington im Jahr 2009 mit Alexandra: Der damalige Chef der Deutschen Welle hatte in Berlin das Tucholsky-Programm der Beiden gesehen und ihnen vier Wochen später die USA-Tournee angeboten. Sie wurde ein großer Erfolg. Helus erkärt: „Ich habe die Amerikaner durchweg offen, freundlich und sehr hilfsbereit erlebt.“
Seine nächsten künstlerischen Ziele nennt Helus mit einem Augenzwinkern: „Auftritte in Las Vegas und in der Londoner Royal Albert Hall.“
Sein zweites Standbein neben der Kunst hat Helus Hercygier in der Bundesallee 136 in Berlin-Friedenau. Sein Eckgeschäft mit Modellautos, -bahnen und -spielwaren An- und Verkauf ist europaweit bekannt und aus einer Flohmarkt- und Sammelleidenschaft hervorgegangen. Längst kommen Sammler von überall hierher, um besondere Schnäppchen zu finden. Ein regelmäßig aus Hamburg anreisender Stammkunde sagt über das Geschäft, was man unumstritten bestätigt, war man einmal in diesen so herrlich verkramten Räumen voller Kisten mit Modellspielwaren und Spielzeugeisenbahnen: „Das ist der schönste Krusch- und Kramladen Deutschlands.“ – Doch ohne Helus Hercygier bestimmt nur halb so charmant.
Seit 12 Jahren liegt der Standort des Geschäfts an der Bundesallee 136, der zuvor an der Wilmersdorfer Güntzel-/Ecke Uhlandstraße war. In den 70er-Jahren hatte Helus´ damalige Freundin das Trödelgeschäft eröffnet, um die aus gemeinsamen Amsterdam-Flohmarktausflügen angesammelten Schätze aus Platzgründen wieder verkaufen zu können. Das Geschäft ging gut, Flohmärkte waren in Berlin noch selten, Trödel kam gerade in Mode. Als die Freundin irgendwann ging, blieb Helus und führte den Laden alleine noch neun Jahre in Wilmersdorf weiter. – Hilfreich dabei wohl auch sein kaufmännisches Geschick, das er vom Vater hat: Der vermietete einst in ganz Berlin erfolgreich Automaten, vom Tischkicker über Billardtisch bis hin zum Musikautomaten.
Und dann ist da noch der Garten von Helus Hercygiers: In Berlin-Grunewald gelegen, eigentlich das Refugium seiner Frau. Doch wenn es um Natur- und Tierfotografien geht, ist auch Helus hier ganz in seinem Element. Auf Fotoausstellungen kann man immer wieder seine faszinierenden Aufnahmen von Fröschen, Kröten und Amphibien bewundern, für die er oftmals stundenlang ausharrt, um sie dann irgendwann „auf Augenhöhe“ mit der Linse zu erwischen. Amphibien hatten es ihm schon immer angetan. Die trifft er auch auf seinen Reisen häufig an. Seit über 40 Jahren zieht es Helus mit der Kamera in die Gegenden Südfrankreichs, südlich des Loire-Tals. Mit seinem kleinen vierrädrigen Franzosen kann er überall Parken und Campen und hat sich über die Jahre eine beachtliche Kenntnis dieser malerischen Gegenden Frankreichs fern allen Tourismus´ angeeignet, die längst ein Buch füllen könnte.
Doch in diesen Pandemie-Tagen muss auch Helus Hercygier viel Geduld aufbringen und kann es kaum erwarten, wieder auf der Bühne stehen oder durch einsame französische Landstraßen fahren zu dürfen. Inzwischen aber sind es Modellautos- und –bahnen, die ihm die Zeit kurz werden lassen, auch wenn ihm viele seiner europäischen Kunden dabei fehlen.
Weitere Informationen: Helus Hercygier, Modellspielwaren An- und Verkauf, Bundesallee 136 in 12161 Berlin-Friedenau, Telefon 030 – 873 63 56
Jacqueline Lorenz
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