Erschienen in Gazette Steglitz Februar 2017
Die Rolle von Preußens Frauen in der Oberschicht war festgelegt: Ihre Aufgabe war es, auf einen Mann zu warten und zu heiraten, um dann Kinder zu bekommen. Eine Berufstätigkeit war für sie nicht denkbar. Unverheiratete Frauen stellten für ihre Familien ein Problem dar, da sie mit versorgt werden mussten. Wenn die Familienväter verstarben, drohte ihren älteren, unverheirateten Töchtern eine ungewisse Zukunft ohne Ernährer.
Der preußische Staatsminister Christian Rother wollte gegen dieses Problem vorgehen. Er war von 1820 bis 1848 Chef der 1772 gegründeten preußischen Seehandlung, die das Monopol für den Salzhandel innehatte und im Laufe der Jahrzehnte zum unabhängigen Kredit- und Handelsinstitut des Staates geworden war. Zusätzlich verwaltete die Seehandlung das preußische Leihamt. Er gründete 1842 das erste Haus des Rotherstifts, das damals noch am Halleschen Tor lag. 1895 wurde das dortige Haus samt Grundstück verkauft, da sein Wert mittlerweile um das Hundertfache gestiegen war. Mit den Mitteln konnte das heute noch existierende imposante Gebäude in Lichterfelde erbaut werden. Das Gebäude erinnert an ein Kloster. Das kommt nicht von ungefähr, denn tatsächlich wurde der Königliche Baurat Alfred Körner vom brandenburgischen Kloster Chorin inspiriert.
Seit 1992 ist das Rotherstift mit seinen drei dreigeschossigen Häusern als Baudenkmal eingetragen. In dem Haus in der Kommandantenstraße/Ecke Friedrichstraße konnten 45 Töchter verstorbener Beamter und Offiziere wohnen. Den Frauen wurde eine Rente ausgezahlt.
Der Erste Weltkrieg führte zum Verlust eines großen Teils des Stiftungsvermögens. Doch durch Grundstücksverkäufe bekam die Stiftung die Mittel, ihre Arbeit fortzusetzen. Unter der Regierung der Nationalsozialisten wurde es verboten, dass Frauen jüdischer Abstammung im Stift wohnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Frauen im Stift in beengten Verhältnissen leben. Amerikanische Truppen besetzten die Gebäude des Rotherstifts und die Stiftsbewohnerinnen mussten in eines der Häuser ziehen. Anstelle von je einer Wohnung pro Bewohnerin mussten sich zwei Frauen eine Wohnung teilen, was natürlich zu Spannungen führte.
In der Nachkriegszeit war der Andrang im Stift groß, die Mittel wurden jedoch immer weniger. Die Grundstücke des Stifts mussten nach und nach verkauft werden und schließlich ging das Stift in das Eigentum des Beamten-Wohnungs-Vereins zu Berlin über. Heute können hier Männer und Frauen gleichermaßen wohnen.
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