Erschienen in Gazette Wilmersdorf August 2021
Am Anfang stand Ärger: Nach dem Kriegsende wollten die West-Alliierten, dass der öffentliche Rundfunk in Berlin unter der Kontrolle aller vier Alliierten Mächte stand. Doch davon waren die Sowjets, die das Haus des Rundfunks an der Masurenallee bereits am 2. Mai besetzt hatten, trotz monatelanger Verhandlungen nicht zu überzeugen. Damit über den Berliner Äther auch anderes als Sowjet-Propaganda in die heimischen Radios kam, gründete das US-Headquarter den „Drahtfunk im amerikanischen Sektor“, kurz DIAS, der aus dem Fernamt in der Winterfeldtstraße 19 – 23 in Schöneberg sendete. Mit diesem Sender, der über Telefonleitungen lief, wurden jedoch lediglich 30.000 Haushalte in der Stadt erreicht. Viel zu wenige, angesichts der Reichweite der Sendungen aus dem Haus des Rundfunks. Der DIAS startete am 7. Februar 1946. Ein halbes Jahr später – im September 1946 sendete der Rundfunk Im Amerikanischen Sektor (RIAS) auf der Mittelwelle. Mit einfachen Nachkriegsmitteln wurde versucht, die Reichweite schnell zu erhöhen. So sollten auch Hörer im Ostteil der Stadt erreicht werden. Das führte allerdings zu kuriosen Situationen – so konnte man in der direkten Umgebung des Senders Rundfunk aus allen möglichen Metallgegenständen und Elektrogeräten hören.
Am 6. Juni 1948 zog der RIAS in das frühere Verwaltungsgebäude der Bayerischen Stickstoffwerke AG ein. Das Vermögen des Unternehmens war wegen seiner engen Verbindungen zu den Nationalsozialisten beschlagnahmt worden – dazu zählte auch das erst 1941 fertiggestellte Verwaltungsgebäude. Der Umbau zum Funkhaus war unproblematisch, da das Haus so konstruiert wurde, dass im Inneren keine tragenden Wände vorhanden sind. Von Anfang an nahm die Politik im RIAS viel Raum ein. Ab 1950 ertönte jeden Sonntag die Freiheitsglocke, die im Rathaus Schöneberg hängt. Dazu wurde das Freiheitsgelöbnis vorgelesen. Diese Tradition wird von Deutschlandradio Kultur weitergeführt. In der Sendung „Wo der Schuh drückt“ wandte sich der Regierende Bürgermeister direkt an die Bevölkerung. Diese Sendung wurde von Ernst Reuter, dem ersten Regierenden Bürgermeister Berlins ins Leben gerufen und noch bis 1978 ausgestrahlt. Immer wieder kamen bei dem Sender Menschen zu Wort, die aus der DDR geflohen waren.
Aber auch die Musik kam nicht zu kurz. Mit dem RIAS-Kammerchor, dem RIAS-Symphonie-Orchester, RIAS-Tanzorchester und -Big Band war der Sender bestens aufgestellt. Außerdem gilt er als Erfinder der Hitparade im Radio. Kabarett, Kulturkritik – vor allem vom unvergessenen Friedrich Luft – und Kindersendungen machten die RIAS zu einem Sender für die ganze Familie. Mit RIAS 2 gab es ab 1953 ein weiteres Hörfunkangebot, das vor allem für Unterhaltung sorgte. Zu den bekanntesten Moderatoren von Unterhaltungssendungen gehörte schon bald Hans Rosenthal. Er war als Jude im Nationalsozialismus Verfolgung ausgesetzt und überlebte untergetaucht mit Hilfe von Berlinerinnen. Zum RIAS kam er 1948. Seine Karriere bei dem Sender führte vom Aufnahmeleiter bis zum Abteilungsleiter Unterhaltung. Der Platz vor dem Funkhaus wurde am 2. April 1993 in Hans-Rosenthal-Platz umbenannt.
Um das Radioprogramm, das langsam etwas in die Jahre gekommen war aufzupeppen, wurde RIAS 2 im Jahr 1985 zu einem reinen Jugendsender, der sich auf beiden Seiten der Mauer großer Beliebtheit erfreute. Nach der Wiedervereinigung wurde RIAS 2 im Jahr 1992 privatisiert und sendet seitdem unter dem Namen rs2. Die letzte Ausstrahlung des RIAS erfolgte am 31. Dezember 1993. Aus dem Funkhaus des Senders sendet heute Deutschlandradio Kultur.
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