Erschienen in Zehlendorf Mitte Journal Juni/Juli 2021
Am 18. April beging die Evangelisch-Lutherische St. Mariengemeinde in der Riemeisterstraße 10 – 12 in Zehlendorf ihr 60-jähriges Gemeindebestehen. Im Rahmen dieses Jubiläums wurde ein großformatiges Steinrelief des Berliner Bildhauers Thomas Lucker der Öffentlichkeit im Rahmen von zwei Gottesdiensten vorgestellt.
Das Relief ist an der Nordseite im Kirchinnern befestigt und misst einen Meter in der Höhe und sieben Meter in der Länge. Zwölf Tafeln zeigen den Zug der Kirche aus allen Völkern und Nationen bestehend durch die Zeit in die Ewigkeit. So gleicht das aus Kalkstein gefertigte Relief einer Prozession, an dessen Ende der erhöhte Jesus Christus den Zug erwartet.
Einzelfiguren – auch historische Persönlichkeiten, wie Augustinus, Martin Luther, Wilhelm Löhe und Paul Gerhardt – sind in diese Prozession eingearbeitet und bilden mit Menschen aus der Bibel sowie weiteren Figuren eine Einheit. Thomas Lucker verbindet traditionelle handwerkliche Bildhauerkunst mit Fotographie. Zu Beginn eines jeden Werkes steht das Bild, welches er dann in Stein verewigt. Lucker versteht es, den Figuren aus Stein Lebendigkeit und Ausdruck zu verleihen. Der Betrachter wird in diese Prozession aufgenommen und findet sich in ihr wieder. Auf diese Weise wird er selbst Teil dieser Prozession.
Über das Werk sagt der Künstler: „Das Relief gehört zu den herausforderndsten Aufgaben, die in der letzten Zeit an mich herangetragen wurden. Hier sind künstlerischer Anspruch, Stil und formale Ideen in Einklang zu bringen mit theologischen Vorgaben und Wahrheiten. Es war eine große Freude und Bereicherung, diese Annäherung gemeinsam mit den Pastoren der Gemeinde zu vollziehen – und für mich persönlich eine intensive, positive Auseinandersetzung. Es gibt selten die Möglichkeit für einen Bildhauer, sich in der heutigen Zeit einer solchen Aufgabe im kirchlichen Raum zu stellen.“
Thomas Lucker, geboren 1959 in der Nähe von Cuxhaven, verwendet bevorzugt Kalkstein als Bildträger. Aus ihm arbeitet er Schicht um Schicht die jeweilige Darstellung heraus und belichtet ihn fotochemisch, sodass sich die Bildinformation materiell mit dem Stein verbindet. Die zum Teil groben Arbeitsspuren seiner Werkzeuge bleiben oft sichtbar und tragen zur besonderen Haptik der Reliefoberfläche bei. Viele Arbeiten belässt der Künstler in Schwarzweiß, einige versieht er mit einer farbigen Fassung, die mit Pinsel oder Schwamm aufgetragen wird.
Auf diese Weise entstehen Köpfe, Figuren und Reliefs, deren Schichtungen, Überarbeitungen und Überlappungen mit Prozessen der Speicherung von Erinnerung korrespondieren und die zugleich Zeugnis einer kollektiven Erinnerung sind, wie sie sich in unserem Gedächtnis eingeschrieben hat. In diesen Kontext passt sich auch die Wahl des Materials ein. „Das schichtenweise Entstehen, des auf dem Boden urzeitlicher Meere gewachsenen Steins“, so der Künstler, „ist für mich eine Analogie zu der Art und Weise, wie unser Gehirn Erinnerungen abspeichert.“
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