Erschienen in Lichterfelde Ost Journal Juni/Juli 2021
Ein ICE auf den Schienen der Goerzbahn – die Bilder gingen durch die Medien. Doch wann und für wen wurde die Bahnstrecke, die auf Zehlendorfer und Steglitzer Gebiet verläuft, eigentlich gebaut?
Alles begann 1904 mit der Gründung der Zehlendorfer Eisenbahn und Hafen AG (ZEUHAG), etwas später wurde sie zur GmbH. Die Bahnstrecke diente der Erschließung des neuen Industriegebiets an der heutigen Goerzallee. Dort war seit 1904 die Elberfelder Papierfabrik – ab 1930 Spinnstoffabrik Zehlendorf – von den Anwohnern Spinne genannt – ansässig. In den ersten zehn Jahren – die Eröffnung der Strecke war 1905 – fuhr eine Pferdebahn zwischen dem Bahnhof Lichterfelde West und dem Bahnhof Schönow an der Goerzallee. 1915 ersetzte man den Huf-Antrieb durch eine Dampflok. Die Bahn diente zum Transport von Bau- und Rohstoffen für die Betriebe, die sich in dem neuen Industriegebiet in Schönow, das zur Landgemeinde Zehlendorf gehörte, angesiedelt hatten.
1918 übernahm das Goerzwerk die ZEUHAG als Tochtergesellschaft. Das Werk zog nach dem Ersten Weltkrieg von Friedenau nach Schönow. Schon bald wurden nicht nur Roh- und Baustoffe transportiert. Auch die Mitarbeiter nutzten die Bahn, um zu ihren Arbeitsplätzen und zurück in die Stadt zu kommen. Die Geschwindigkeit der damaligen Züge betrug 45 km/h. Es gab zu der Zeit noch den „Nordbahnhof“, der am Dahlemer Weg etwa in Höhe der Schubertstraße lag, von der ein Fußweg zum Dahlemer Weg führt. Die Bahn wurde mittlerweile nur noch Goerzbahn genannt.
Nach dem Versailler Vertrag nach Ende des Ersten Weltkriegs fusionierten die Goerzwerke mit den Zeiss-Werken, später Zeiss-IKON. Als kriegswichtiger Betrieb beschäftigte Zeiss-IKON im Zweiten Weltkrieg auch Fremdarbeiter, deren Lager sich am Nordbahnhof befunden haben soll. Gegen Kriegsende wurde der Betrieb auf der Bahn unterbrochen, aber bereits 1946 wieder aufgenommen. Nach der Blockade übernahm die Deutsche Reichsbahn den Betrieb der Strecke, die jetzt nur noch für den Güterverkehr genutzt wurde. Nach der Wiedervereinigung ging die Strecke an die DB Cargo, die sie ihrerseits an ihre Tochter RBH Logistics übergab.
Seit 1995 fuhren die Bahnen mit Rücksicht auf die Anwohner am Dahlemer Weg nur noch 10 km/h. Gelbe Rundumleuchten warnten vor den herannahenden Zügen, so konnte auf Warntöne verzichtet werden. Bis zum Sommer des Jahres 2018 herrschte noch reger Verkehr auf der Strecke Die Züge transportierten Autoteile für Ford, die man an der Goerzallee fertigte und die von dort aus die Reise ins Werk in Köln antraten. Dann kündigte das Unternehmen den Vertrag mit der Bahn. Seitdem ruht der Betrieb der Strecke und wurde nur gelegtentlich durch historische Fahrten wieder aufgenommen. Doch eine Wiederbelebung ist möglich. Das zeigten die Testfahrten mit einem Labor-ICE, die im Februar dieses Jahres stattfanden.
Der Bahnhof Schönow wird seit 1981 von der AG Märkische Kleinbahn gepflegt, die hier historische Fahrzeuge und Gebäude „in Schuss“ hält. Vor Corona-Zeiten gab es einen alljährlichen Tag der offenen Tür, zu dem auch Kleinloks zwischen Lichterfelde West und Schönow fuhren. Eine Tradition, die hoffentlich bald wieder aufleben kann.
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