Erschienen in Lichterfelde West Journal August/September 2021
Laut Umfrage wünschen sich rund 70 Prozent der Deutschen mit den Nachbarn ein gutes Verhältnis, doch jeder Zweite kennt nicht einmal ihren Namen, und Konflikte in der Nachbarschaft sind keine Seltenheit: Da ragen Äste über den Gartenzaun, dreht der Filius von nebenan jeden Sonntagnachmittag die Anlage auf Dauerbeschallung oder parkt der Wagen von Gegenüber wieder einmal vor der eigenen Auffahrt. Schnell gibt ein Wort das andere und ist ein Rechtsstreit vom Zaun gebrochen. Nicht selten trifft man sich dann beim Amtsgericht wieder. Das folgende Gerichtsverfahren verursacht nicht nur dem Staat hohe Kosten, sondern kostet auch Nerven. Kosten und Nerven, die durch ein Schiedsverfahren deutlich geschont werden. Außergerichtlich geführt, soll es dabei helfen, dass die Streitenden wieder zueinander finden.
In jedem Bezirk gibt es dazu von der Bezirksverordnetenversammlung gewählte Schiedspersonen, die als Alternative zum Gerichtsverfahren Streitigkeiten im Schiedsverfahren zu lösen helfen. Die gewählten Schiedsfrauen und –männer erwarten regelmäßige Schulungen und unterliegen dabei der ständigen Aufsicht und Qualitätskontrolle durch den Präsidenten des Amtsgerichts, in dessen Aufsichtsbereich der Schiedsamtsbezirk fällt. Auf fünf Jahre gewählt, kann ihre „Amtszeit mit Dienstsiegel“ aber durch Wiederwahl verlängert werden.
In Steglitz-Zehlendorf stehen aktuell vier Schiedsleute – zwei Frauen und zwei Männer – in den Startlöchern, um bei Konflikten unparteiisch und zur Verschwiegenheit verpflichtet in ihrem jeweiligen nach Straßennamen zugeteilten Schiedsbezirk mediativ schlichtend statt richtend tätig zu werden. Wertvolle Erfahrung für ihre verantwortungsvolle Aufgabe bringen alle aus ihrem den Rechts- und/oder Sozialbereich betreffenden Beruf mit.
Dass die Fallzahlen, die sie begleiteten, im vergangenen Jahr höher waren als gewöhnlich, bestätigen alle Vier. Coronabedingt waren die Menschen mehr daheim, so dass Nachbarschaftskonflikte unter ihnen nun offen zu Tage traten, die zuvor still vor sich hin geschwelt hatten.
Bereits im 15. Jahr dabei und damit von der Gruppe am längsten in die vor- und außergerichtliche Klärung bestimmter Rechtsstreitigkeiten involviert, ist die Zehlendorferin Siegrid Nordhausen. Die Diplomjuristin, Mediatorin und Coachin hat im vergangenen Jahr rund 10 Fälle in ihrem Schiedsbezirk 4, incl. ihres Vertretungsbezirks, ehrenamtlich begleitet. – Wobei auch bei ihr die Nachbarschaftskonflikte überwogen. Worauf sie setzt? „Die bestehenden Streitigkeiten im vermittelnden Gespräch zu lösen, ist das Ziel“, so ihre Antwort. Dass dabei Einsicht und Einigung aus eigener Überzeugung der Streitenden heraus entsteht, ist das wünschenswerteste Ergebnis. Wichtiges Nebenziel ist: „Dass die Nachbarn danach wieder miteinander sprechen und zumindest ein neutrales Verhältnis pflegen“, erhofft sich auch Eginhard Paul, Sozialarbeiter im Ruhestand, der in Steglitz-Zehlendorf den Schiedsbezirk 3 vertritt und schon seit 2013 im Ehrenamt schlichtet. So hat auch er schon erlebt, dass aus emotional geladenen Streithähnen des ersten Gesprächs am Ende fast freundschaftlich verbundene Parteien wurden. Manche Konflikte ließen sich bereits am Telefon klären, wenn – wie beispielsweise beim Thema Ruhestörung – Gesetze und Erfahrungen weiterführend genannt werden können, erfährt nun auch Karin Kausch, die im März 2020 – kurz vor dem Pandemiestillstand nahezu aller Gremien – über eine Zeitungsanzeige zu den Schiedspersonen fand und nun, für den Bezirk 2 gewählt, erste Fälle bearbeitet. Als Volljuristin mit Schwerpunkt Vertrags- und Gesellschaftsrecht, die lange Jahre als Justitiarin eines Unternehmens tätig war, steht sie nun nach einer Zusatzausbildung auch als Coachin und Trainerin voll im Berufsleben. Eine Tugend, die alle Schiedspersonen besitzen sollten, macht sie noch einmal deutlich: „Zuhören und den Klienten gleichermaßen Verständnis entgegenbringen zu können, ist eine Grundvoraussetzung, die sie erst einmal gesprächsbereit macht.“ Denn oft sitzen sich die zerstrittenen Parteien voller negativer Energie bei ihr zum ersten Mal gegenüber, müssen bestehende Blockaden von ihr als Schiedsperson durch mediativen Brückenbau geschickt gelöst werden. „Dieses Ehrenamt ist an der Schnittstelle dessen, was ich beruflich mitbringe“, erklärt Karin Kausch ihre neue Aufgabe, die zwischen Jura und der Weiterentwicklung von Menschen angesiedelt ist. Streitigkeiten will sie sachlich regeln, ohne dabei die Bedürfnisse und Individualität des Einzelnen außer Acht zu lassen.
Wie sie, ist auch Holger Eisenhardt erst seit Anfang Dezember 2020 im Team der Schiedspersonen und für den Bezirk 2 zuständig. Nach seinem Einführungsseminar hat er bereits fünf Fälle auf dem Tisch gehabt. Der studierte Diplomverwaltungswirt ist als Beamter in der Gewerkschafts-Bundesverwaltung mit Streitfällen erfahren. Ein zusätzliches Mediationsseminar hat ihn zusätzlich sattelfest für die nun anstehenden Schiedsfälle gemacht. Dass er sehr empathisch und offen auf die Menschen zugeht, hilft ihm, die Zerstrittenen über die von ihm gegebenen Lösungsvorschläge miteinander ins Gespräch und einander näher zu bringen. – Eines seiner Hauptziele, wie er sagt. Schade findet er nur, dass sich durch Corona bis jetzt kaum die Möglichkeit ergab, seine Schiedskollegen näher kennenzulernen und sich mit ihnen über die Fälle persönlich auszutauschen.
Mit vollem Einsatz stellt er sich dem Ehrenamt, studiert akribisch Recht und Gesetz, so dass ihn seine ebenfalls aus dem Sozialbereich kommende Frau trotz allen Verständnisses für seine Begeisterung manchmal mahnt, sich mit den Fälle nicht zu stark zu identifizieren: Da ist das Ehepaar, das sich durch die unter ihnen wohnende Familie von Gerüchen und Lärm belästigt fühlt, oder ist die aus den 20er-Jahren stammende hellhörige Wohnsiedlung in Zehlendorf, die immer wieder Nachbarschaftskonflikte liefert. Holger Eisenhardt nimmt ggf. Außentermine wahr, um sich ein möglichst genaues Bild vom Fall machen zu können, und bittet die Parteien dann zum Gespräch zu sich ins Wohnzimmer. Auch wenn Dokumentationen und Formulare, die eigentlich auf deutlich zeitgemäßerem Stand sein müssten, das ehrenamtliche Leben der Schiedspersonen nicht leichter machen, hält Eisenhardt Schiedsverfahren für unverzichtbar und erklärt: „Es gibt etliche Bundesländer, in denen sie zwingend vorgeschrieben sind.“ Gleiches wünscht er sich für Berlin, wo das Schiedsverfahren noch viel zu wenig Aufmerksamkeit erhält.
1827 hatte der Alte Fritz das Berliner Schiedsamt ins Leben gerufen. Ziel war es, Kiez-Streitigkeiten ohne großen Aufwand durch den Kiezältesten, den „Friedensrichter“, schlichten zu lassen. Dabei orientierte man sich an einem Schlichtungs-Modell aus Frankreich, das sich nach der Französischen Revolution etabliert und nun den Weg nach Preußen gefunden hatte.
Heute gibt es in jedem Berliner Bezirk Schiedspersonen, die zur Beilegung von Streitigkeiten unter Privatpersonen und in bestimmten Deliktfällen des Strafrechtes tätig werden können: Überwiegend bei Nachbarschaftsstreitigkeiten, Beleidigung, Hausfriedensbruch, Bedrohung, etc.sind sie gefragt. Das in Form einer Schlichtungs- oder Sühneverhandlung durchgeführte Schiedsverfahren findet nicht öffentlich statt. Bei dem Schiedsspruch handelt es sich um einen Vergleich und kein Urteil. Sieger und Besiegten gibt es nicht, dafür aber eine höhere Zufriedenheit der Beteiligten. Sollte ein Schlichtungsversuch erfolglos bleiben, kann durch die jeweilige Schiedsperson eine Bescheinigung darüber als notwendige Vorlage bei Gericht ausgestellt werden.
Örtlich für das Schiedsverfahren ist die Schiedsperson zuständig, in deren Amtsbezirk die Gegenpartei (der oder die Beschuldigte) wohnt.
Der Antrag für eine Schlichtungsverhandlung kann mündlich oder schriftlich bei der örtlich zuständigen Schiedsperson gestellt werden, unter Angabe von Name und Anschrift der Gegenpartei, mit der man seinen Streit schlichten möchte sowie unter Beschreibung des Streitanlasses. Mit dem Schlichtungsantrag werden von den Schiedspersonen geringe Kosten als Verfahrens- oder Sachkosten erhoben, die im Durchschnitt bei 50 Euro liegen. Durch einen Vergleich, kann man sich einen 30 Jahre vollstreckbaren Titel verschaffen.
Wer ehrenamtliche Schiedsperson werden möchte, sollte im Alter von 30 und 70 Jahren sein, über Geduld, Verschwiegenheit und Menschenkenntnis verfügen und auch den anfallenden „Papierkrieg“ nicht fürchten. Er kann sich beim Stadtbezirk bewerben. Meist werden freiwerdende Schiedsstellen bereits im öffentlichen Ausschreibungsverfahren bekannt gegeben.
Weitere Informationen unter www.berlin.de/ba-steglitz-zehlendorf/politik-und-verwaltung/aemter/amt-fuer-buergerdienste/schiedsamt/ oder www.schiedsamt.de/buerger/meine-schiedsperson
Jacqueline Lorenz
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