Erschienen in Lankwitz Journal Juni/Juli 2021
Bücher – unter ihren schweren Buchdeckeln und fantasievoll gestalteten Einbänden vereinen sich die Buchstaben zu spannenden Inhalten, in die wir nur zu gern eintauchen und die Zeit darüber vergessen. – Einigen besonders geschätzten Exemplaren reservieren wir einen Ehrenplatz in unserem Regal, andere legen wir beiseite, sie später zu lesen. Und dann sind da all die vergessenen und ausgelesenen Schätzchen, für die wir uns dennoch ein gutes zweites Zuhause wünschen, das sie neu wertschätzt.
Die passende Zwischenstation dafür ist das Antiquariat und Café „Morgenstern“ in der Schützenstraße 54 in Berlin-Steglitz, nur einen kurzen Fußmarsch vom Rathaus Steglitz entfernt. Seit zehn Jahren ist es für Literatur- und Buchfreunde fachkundige Anlaufstelle, wenn es darum geht, in schier unendlichen Regalen nach literarischen Kleinoden zu stöbern oder Lese-Nachschub aus dem eigenen Regal zu spenden. Die Literaturoase für Bücherwürmer jeglichen Alters hat sich längst über Steglitz hinaus herumgesprochen und ist in Coronazeiten sehr gut besucht – auch wenn der Cafébereich noch geschlossen sein muss. Dass sich dies bald ändert und wieder soziale Kontakte und literarische Gespräche beim Gläschen Wein oder peruanischen Hochland-Kaffee und leckerem selbstgebackenen Kuchen – ökologisch zertifiziert und zu zivilen Preisen – am Tresen oder an den Tischen vorm Antiquariat gepflegt werden können, hoffen Mitarbeiter und Besucher inständig. – Spielt der Sozialgedanke neben den Büchern im „Morgenstern“ doch eine mindestens ebenso wichtige Rolle.
Betreiber ist der vom gemeinnützigen Verein SinneWerk gegründete Integrationsbetrieb, die gemeinnützige SinneWerk gGmbH, die neben dem „Morgenstern“ als Buchcafé auch noch das Café Tasso in Friedrichshain führt. Vereinsziel ist es, Kultur und Bildung zu fördern sowie Hilfe für Menschen mit Behinderung zu bieten. Da diese Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt nur geringe Chancen haben, finden sie im integrativen Projekt Morgenstern zusammen mit Menschen ohne Handicap gleichberechtigte Beschäftigungsmöglichkeiten, sei es beim Sortieren, bei der fachkundigen Beratung oder beim Verkauf der gespendeten Bücher. Die daraus erzielten Erlöse finanzieren im Projekt die Mitarbeitergehälter, schaffen also indirekt neue Arbeitsplätze.
Sieben Mitarbeiter im Alter zwischen 20 und 60 Jahren gehören zum ambitionierten Morgenstern-Team, außerdem bis zu drei Ehrenamtliche, die allerdings während der Pandemie nicht im Kundenkontakt sind.
Zum Stammteam des „Morgenstern“ zählen auch Rüdiger Quilitzsch und Katja Koslowski, die für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Beide bringen wertvolle Vorkenntnisse für die Arbeit im 2011 gegründeten „Morgenstern“ mit: Rüdiger als erfahrener Erzieher und Sozialarbeiter, der auch als Autor von Kurzgeschichten erfolgreich ist, und Katja als Studierende der Kulturwissenschaften, die bereits im Café Tasso gearbeitet hat. Rüdiger fasst zusammen, was allen im Antiquariat besonders wichtig ist: „Ein normales, Freude bereitendes Miteinander, sowohl untereinander als auch im Kontakt mit den Kunden.“ Das zeichne das „Morgenstern“ als sozialfördernden und multi-kulturellen Treffpunkt ohne Ausgrenzung aus. Dass dabei auch alten Büchern eine zweite, oft auch dritte und vierte Chance gegeben wird, setzt einen dicken Pluspunkt.
Das Antiquariat nimmt nahezu alle als Spende angebotenen Bücher an, die dann hier – oder im Café Tasso – zu günstigen Preisen weiterverkauft werden. Einzige Voraussetzung ist, dass die Bücher nicht feucht oder muffig sind. Die Spenden kommen über die Plattform buchspende.org, von Privatpersonen sowie von Verlagen. Ab 35 Stück holt SinneWerk die Bücher beim Spender ab, täglich kommen neue Bücherkisten im Café dazu, gibt es neues Lesefutter für Lesehungrige. – Und das für kleines Geld: Etwa zwischen drei und fünf Euro kosten die Bücher im Antiquariats-Verkauf.
Rund 20.000 Bücher stehen im „Morgenstern“ gut sortiert in den Regalen von vier Antiquariats-Räumen auf etwa 110 Quadratmetern. Da sind „Hanni und Nanni“ im umfangreichen Kinder- und Jugendbuchbereich ebenso vertreten wie das Bocuse-Kochbuch, das in Sichtweite zum Hunde-Ratgeber und gleich über dem Rezeptbuch der göttlichen Maria Callas steht. In der Krimiecke ist Gänsehaut garantiert, und der Studierende findet einen Raum weiter das gesuchte Fachbuch zum studierfreundlichen Preis, von den Geistes- und Naturwissenschaften bis hin zur Medizin. Belletristik, Romane, Kunst, Sport, aber auch Briefe, Reiseberichte, DVD´s, Spiele und Schallplatten sind im großen Angebot, durch das die gut informierten Mitarbeiter geduldig begleiten.
Auch wenn der schwere gemütliche Ledersessel, Leselampe und Cafétresen derzeit pandemiebedingt Pause haben, die Fenster aus Hygienegründen immer weit geöffnet sind und der Luftfilter in der Ecke wacht: Vom Senior mit kleiner Rente bis zum Schüler mit wenig Taschengeld, ihnen allen zaubert das „Morgenstern“ ein kleines Strahlen unter der FFP2-Maske ins Gesicht und macht sie mit ihrer literarischen Ausbeute ein bisschen glücklicher. – Viel wert in diesen Tagen, in denen sich Stamm- wie Neukunden schon jetzt auf die zusätzlichen Angebote „normaler“ Zeiten im „Morgenstern“ freuen dürfen: Auf spannende Kiez-Lesungen und Diskussionen, bunte Kunst-Ausstellungen und das endlich wieder regelmäßig stattfindende Treffen des Lesekreises.
Aktuelle Öffnungszeiten: Mo. – Sa. 10 – 19 Uhr, weitere Informationen unter www.morgenstern-berlin.de
Jacqueline Lorenz
© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2023