Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Juni 2021
Unter dem Titel „Enthüllte Schätze. 101 Jahre Schöneberger Kunstdepot“ zeigt das Schöneberg Museum in der Hauptstraße 40 bis zum 6. August 2021
in einer Sonderausstellung zwei Dutzend Bilder und Skulpturen. Lange Jahre haben sie im Keller und in den Räumen der auf erste Ankäufe im Jahr 1919 zurückgehenden Kunstsammlung der Museen Tempelhof-Schöneberg im Verborgenen auf diese Gelegenheit der „Enthüllung“ gewartet. Die Sammlung des Kunstdepots umfasst inzwischen über 600 Bilder und Skulpturen. Ihr Grundstein war vor über 100 Jahren in Schöneberg mit dem Ankauf der von Vater Eduard und Sohn Walter Levinstein stammenden „Sammlung Levinstein“ gelegt worden.
Die Kunsthistorikerin Jasmin-Bianca Hartmann, die auch am anlässlich des Gründungsjubiläums erschienenen Katalog „Verborgene Schätze“ mitgearbeitet hat, trug gemeinsam mit dem engagierten Museums-Team unter Leitung von Dr. Irene von Götz maßgeblich mit dazu bei, dass einige lang verborgenen Kunstschätze – Gemälde, Grafiken und Skulpturen, die zwischen 1890 und 1990 entstanden sind – sich nun endlich wieder enthüllt der Öffentlichkeit zeigen werden.
Die vollständige Aufarbeitung und Katalogisierung der Depot-Kunstwerke dürfte noch einige Zeit beanspruchen, zumal etliche dieser Kleinode als verschollen gelten.
1919 hatte der Magistrat der damaligen Stadt Schöneberg vom vor Ort mit seiner privaten Heil- und Kuranstalt „Maison de Santé“ ansässigen Nervenarzt Dr. Walter Levinstein 33 Gemälde und Skulpturen aus dessen Familienbesitz angekauft, die als „Levinstein-Sammlung“ die Grundlage des späteren Kunstdepots werden sollten. Politisch und wirtschaftlich vorausschauend hatte der Mediziner sich von den Kunstwerken getrennt. Heute sind daraus nur noch 12 Gemälde und eine Skulptur erhalten.
Am 3. November 1919 hatte der damalige Oberbürgermeister Alexander Dominicus die Ausstellung zur neu erworbenen Sammlung im 1914 erbauten Rathaus Schöneberg eröffnet. Unter den erstandenen Werken befanden sich auch ein Kinderbildnis von Max Liebermann, eine Marmorbüste Marie Levinsteins und Werke Adolph von Menzels, außerdem Werke aus der Berliner Secession wie das Gemälde „Blütenzauber“ von Ludwig von Hofmann. Aber auch zuvor angeschaffte Werke des Magistrats wurden in dieser besonderen Ausstellung in Schöneberg gezeigt, darunter Arbeiten Hans Baluscheks.
Im Zweiten Weltkrieg soll das inzwischen durch weitere Ankäufe und Kunstspenden erweiterte Kunstdepot u. a. nach Polen ausgelagert worden und durch viele Hände gegangen sein. Die Auslagerungsorte sind jedoch nicht sicher belegt, so dass zahlreiche Werke trotz intensiver Nachforschungen bis heute verschollen sind.
Bei den katalog- und ausstellungsbedingten Nachforschungen in Museum und Bezirk entdeckte Kuratorin Hartmann 2019 wertvolle Werke aus dem Kunstdepot im Jobcenter und im Haus am Kleistpark. Sie verbrachte viele Stunden im Keller, sichtete Karteikarten und archivierte die vorhandenen Arbeiten, indem sie sie mit dem Museums-Team fotografierte und neu erfasste. „Es war eine sehr spannende Arbeit, viele der Werke sind noch erstaunlich gut erhalten, einige mussten allerdings zum Restaurator“, erklärt die Kunsthistorikerin, die dabei manches Kleinod neu entdeckte – so auch Grafiken von Käthe Kollwitz. Dabei steckte die Kuratorin immer wieder langwierige Forschungsarbeit in das Entziffern und Zuordnen von Gemälde-Signaturen.
Für den erschienenen Katalog mit neu erfassten Objekten des 600 Werke umfassenden Kunstdepots wurden schließlich alle Arbeiten als Repro abgelichtet.
Der reich bebilderte Katalog „Verborgene Schätze“ kann für 20 Euro in den Tempelhof-Schöneberg Museen erworben werden und ist eine sinnvolle Ergänzung zur aktuellen, kostenfreien Sonderausstellung „Enthüllte Schätze“ im Schöneberg Museum. Er liefert mit seinen Fachbeiträgen vom Museumsteam, mit seinen Abbildungen und dem Werksverzeichnis wertvolle Hintergrundinformationen zur Sammlung Levinstein, zu Bildern und Skulpturen der heutigen Sammlung und zeigt Bilder eines Ortes, der sich selbstbewusst vom 500-Seelen-Vorort zur selbstständigen 175.000-Einwohner-Stadt entwickelt hatte. Auch setzt er sozialkritischen Künstlern wie Hans Baluschek und Moriz Melzer ein Denkmal.
Mit dem Katalog als „Ausstellung auf Papier“ in der Hand durch Schönebergs Straßen gehen und Altes wiederentdecken, ist ebenso empfehlenswert wie ein Besuch der aktuellen Sonderausstellung, die das Verborgene anschaulich und sichtbar macht.
Einen facettenreichen Kunstschatz birgt das Depot. Motive und Lebenswege der meisten im Werksverzeichnis vertretenen Künstler sind eng verbunden mit der Geschichte des Bezirks und der Hauptstadt: Darunter Kunstschaffende wie Hans Baluschek, Ottilie Ehlers-Kollwitz. Ludwig von Hofmann, Moriz Melzer, Georg Netzband und Hermione von Preuschen.
Um eine besondere Auswahl ihrer Arbeiten dem Kunstfreund nach vielen Jahren wieder vor Augen zu führen, hat das Schöneberg Museum diese Sonderausstellung mit wiederentdeckten und neu enthüllten Werken entwickelt. Im Mittelpunkt stehen und werden hervorgehoben Künstler, die als Maler und revolutionäre Secessionisten, aber auch als selbstbewusste Schauspieler und Wissenschaftler – oft von Schöneberg aus – die Berliner Kulturszene des 20. Jhd. mitgestalteten. Mit einer Archivwand wird an einige besonders beeindruckende dieser unvergessenen Persönlichkeiten Schönebergs erinnert: An den sozial- und gesellschaftskritischen Poeten Arno Holz, dessen Totenmaske im Skulpturenregal des Schöneber Museum liegt ebenso wie an Albert Einstein, der eigentlich das Land der Stadt vorzog, und den eine gut bezahlte Stelle an der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1914 in das wachsende Berlin gelockt hatte. 1917 war er der Liebe wegen in die Schöneberger Haberlandstraße 5 (heute 8 mit Gedenktafel) gezogen. Der Kunstfreund und Verfasser der Allgemeinen Relativitätstheorie pflegte während seiner Schöneberger Hoch-Zeit und vor seiner Auswanderung in die USA intensive Kontakte zu schillernden Figuren wie Carl von Ossietzky, Charlie Chaplin, Max Liebermann, Frank Kafka, Heinrich Mann und Max Planck.
Und auch Marlene Dietrich verband einiges mit dem Bezirk.1901 in der Sedanstraße 53 geboren (heutige Leberstraße 65), wuchs sie in gutbürgerlichen Verhältnissen auf der „Schöneberger Insel“ auf, begann eine Ausbildung zur Konzertgeigerin, beschloss aber dann, an die Schauspielschule des Deutschen Theaters in Berlin zu wechseln. Nach ihrem internationalen Durchbruch in „Der Blaue Engel“ und mit Machtergreifung der NSDAP wanderte auch sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Josef von Sternberg in die USA aus. Eine Tournee führte sie als Sängerin 1960 noch einmal zurück nach Schöneberg, wo sie sich in das Goldenen Buch der Stadt Berlin im Rathaus Schöneberg eintrug. 1987 veröffentlichte sie ihre Memoiren unter dem Titel „Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin.“ 2002 wurde Marlene Dietrich vom Land Berlin zur Ehrenbürgerin ernannt und damit für ihre Haltung während der NS-Zeit und für ihren „Einsatz für Freiheit und Demokratie, für Berlin und Deutschland“ gewürdigt.
An die Dietrich und an Einstein erinnern in der Sonderausstellung ihre Porträtbüsten: Die Büste von Marlene Dietrich aus dem Jahr 1931 wurde von Ernesto di Flori als Stucco auf Holzsockel gefertigt, die von Albert Einstein aus dem Jahr 1925 von Kurt Harald Isenstein als Bronze auf Granitsockel.
In der aktuellen Sonderausstellung wird neben diesen Persönlichkeiten und der Sammlung Levinstein besonders den Werken des Malers und Grafikers Hans Baluscheks, als einem der Hauptvertreter des deutschen kritischen Realismus und Mitglied der 1898 gegründeten „Berliner Secession“, und den Arbeiten des expressionistischen Malers Moriz Melzer, Mitgründer der 1910 ins Leben gerufenen „Neuen Secession“, Beachtung geschenkt. Dem Betrachter werden typische Alltags-Großstadtbilder der Industrialisierung mit dargestellten Schienen und Eisenbahnen nahe gebracht, aber auch abstrahierte Landschaft, sozialkritisch wiedergegebene Hinterhöfe und Straßen Schönebergs, achteckige Toilettenhäuschen sowie immer wieder der für den Bezirk so typische und aussagekräftige Gasometer in unterschiedlichsten Ansichten.
1876 war Hans Baluschek mit seinen Eltern aus Breslau nach Berlin-Schöneberg gezogen, wo er künstlerisch tätig wurde – auch als Schriftsteller und Illustrator. Für seinen lebenslangen Einsatz für Politik, Kultur und gleichberechtigte Bildung bekam er 1929 eine mietfreie Ehrenwohnung in den Friedenauer Ceciliengärten zugeteilt. Viele seiner Werke entstanden im dortigen „Turm-Atelier“. Als kritisch-karikaturähnliche Zeitdokumente beinhalteten sie auch die Arbeiterthematik. „Meine Waffen: Pinsel, Kohle, Feder, Bleistift, sollen hauen und stechen“, beschrieb Baluschek seine Arbeitsmoral. Von den Nationalsozialisten wurde seine sozialkritische Kunst in den 1930er-Jahren als „entartet“ eingestuft.
Moriz Melzer hatte sein Wohnatelier 1908 in der Innsbrucker Straße 4 bezogen. Der nicht weniger revolutionäre Maler war nicht nur Künstler, sondern auch Kunsterzieher und lehrte ab 1921 an der Privaten Schöneberger Kunst- und Kunstgewerbe-Schule Reimann, wo er über zwei Jahrzehnte Berliner Künstler in Akt, Porträt, Komposition, Dekorativer Malerei und Theaterdekoration unterrichtete. Auch seine Kunst wurde 1930 von den Nationalsozialisten als „entartet“ eingestuft, die ihn Anfang der 1940er-Jahre aus seinem Amt entließen.
So wird aufklärende Kunst, die in den dunklen Tagen des Nationalsozialismus für immer unsichtbar gemacht und verborgen werden sollte, 90 Jahre später in der Sonderausstellung noch immer wertgeschätzt, im Schöneberg Museum enthüllt und der Öffentlichkeit sichtbar gemacht – wenn im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes der Pandemie-Verordnungen erlaubt. Informationen zur aktuellen Öffnungslage dringend beachten unter www.museen-tempelhof-schoeneberg.de
Jacqueline Lorenz
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