Erschienen in Gazette Steglitz Juli 2021
Ihr Name ist fest mit der gleichrangigen Zusammenarbeit von Christen und Juden verbunden: Jael Botsch-Fitterling, Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin und aus der jüdischen Gemeinschaft Berlins nicht wegzudenken, meldet sich als Jüdin immer dann entschlossen und nachhaltig zu Wort, wenn das in der deutschen Gesellschaft notwendig wird. Als Besitzerin der israelischen und deutschen Staatsbürgerschaft verliert die überzeugte Sozialdemokratin dabei nie die Vergangenheit mit dem Massenmord an Millionen jüdischen Menschen in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft aus den Augen und sieht es als ihre Mission, Zeit ihres Lebens als Israelin in Deutschland daran zu erinnern, aufzuklären und das Wissen von Zeitzeugen zu bewahren und weiterzugeben. Dieser Herausforderung will sie sich weiter stellen, auch wenn sie am 13. Juli schon in ihr 80. Lebensjahr geht. – An ihrer Seite weiß sie dabei einen ebenso engagierten Mitstreiter, der als eines der wichtigsten Mitglieder der Initiative Haus Wolfenstein gilt und als deren Vorsitzender gemeinsam mit ihr an der Entstehung des Denkzeichens Spiegelwand auf dem Hermann-Ehlers-Platz im Jahr 1995 maßgeblich beteiligt war: Ihr Ehemann, der Historiker und Politikwissenschaftler Dieter Fitterling, unterstützt sie in ihren Aufgaben mit sicherem geschichtlichem Know-how. Für das gemeinsam mit ihrem Mann und der Initiative Wolfenstein umgesetzte Spiegelwandprojekt im Jahr 1995 bekam das Ehepaar die Bezirksmedaille der Bezirksverordneten von Steglitz-Zehlendorf verliehen. Nur wenige Tage nach seiner Frau feiert Dieter Fitterling am 16. Juli seinen 85. Geburtstag. Einen Tag zuvor aber kann er ebenfalls mit seiner Frau Jael anstoßen: Am 15. Juli begehen die sympathischen Beiden, die sich 1978 über die SPD in der Arbeitsgemeinschaft Bildung (AfB) kennengelernt hatten, ihren 43. Hochzeitstag. In erster Ehe war Jael Botsch-Fitterling mit dem Radiologen Hanno Botsch verheiratet, mit dem sie zwei Söhne hat: Dr. Micha Botsch, Kinder- und Jugendmediziner, und Prof. Gideon Botsch, Leiter der Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus an der Universität Potsdam. Über sie sagt Jael den inhaltsreichen Satz: „Meine Söhne haben drei Eltern: Mich und ihre zwei Väter.“
Im Deborahlied, einer der ältesten erhaltenen Dichtungen im Alten Testament, wird Jael als Heldin für das Volk Israels gerühmt, die ihm 40 Jahre Frieden bescherte. Außerdem ist Yael das hebräische Wort für den Nubischen Steinbock. Von der Wortwurzel her bedeutet das Wort „aufsteigen“ und steht für „Nutzen bringen“, wird aber auch als Schmeichelname einer schönen Frau verwendet.
Jaels Eltern, das Ehepaar Schachtel, wählten diesen Namen für ihre einzige Tochter neben den vier Söhnen, die 1941 im berühmten Hadassah-Hospital auf dem Skopusberg im Osten von Jerusalem in Palästina als ihr zweites Kind geboren worden war. „Meine Mutter schwärmte immer von dem Weitblick, den sie bei guter Sicht vom Krankenhaus bis zum Toten Meer hatte“, erzählt Jael, deren Bruder Uri später Chefarzt vom Jüdischen Krankenhaus Berlin wurde.
1907 geboren, war ihr Vater Walter Schachtel ein echter Berliner. Als Wirtschaftsjournalist sah er die Straßenschlachten zwischen Nazis und Kommunisten und erkannte mit politischer Weitsicht die drohende Gefahr für die jüdischen Menschen, die von Hitler und seinen Anhängern ausging. 1933 wanderte er nach Palästina aus, das damals britisches Mandatsgebiet war. Als Busfahrer fasste er beruflich neu Fuß und lernte bei seinen täglichen Bus-Touren zwischen Haifa und Nahariya seine spätere Ehefrau kennen, eine ehemalige Medizinstudentin aus Hamburg.
1957 kehrte die siebenköpfige Familie Schachtel im Rahmen ihrer Remigration über Paris nach Deutschland zurück. 16-jährig lernte Jael in Frankfurt am Main nun das Land kennen, welches noch 12 Jahre zuvor jüdische Menschen kaltblütig ermordet hatte und erfuhr, wie sie sagt: „…dass Juden und Israel in der großen Welt ein Problem darstellen.“
Als „Primanerin“ wird Jael im Rahmen eines mehrtägigen Diskussions-Schulprojektes zum Thema „Zeitgeschichte im Unterricht“ vom hessischen Kulturministerium zur Frage an die Schüler, ob die schon einmal einen Juden gesehen hätten, als Jüdin von der Moderatorin unsensibel „vorgestellt“, mit den Worten: „Ihr seid jetzt drei Tage mit einer Jüdin zusammen und habt es nicht gemerkt.“ Jael Botsch-Fitterling sagt heute dazu: „Dies war meine Einführung in christlich-jüdische Zusammenarbeit in einer deutschen Gesellschaft, die das Judesein immer dann mit Aufmerksamkeit registriert, wenn es den politischen Interessen entspricht.“ Dagegen setzt sie sich schon früh mit großem persönlichem Einsatz zur Wehr und bringt damit, ihrem Namen entsprechend, dem jüdischen Volk wertvollen Nutzen.
Die deutsche Sprache, die sie von Kindheit an spricht, verlangt ihr in der Schriftform dennoch anfangs viel zusätzliche Konzentration ab. Nach dem Abitur studiert Jael an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt, wechselt Anfang der 60er-Jahre dann an die Freie Universität Berlin, wo sie schon bald in der Deutsch-Israelischen Studentengruppe mitwirkt und vorwiegend Ziele der deutsch-jüdischen Begegnung vertritt. Zwanzig Jahre später, nachdem sie bereits am Fichtenberg-Gymnasium gelehrt hat, wird Jael – inzwischen Fachbereichsleiterin und Studiendirektorin für Biologie, Physik und Chemie an der Kopernikus-Gesamtschule in Steglitz und zweifache Mutter – von der Berliner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gefragt, ob sie im Vorstand mitarbeiten möchte. Sie nimmt an und misst bis heute der gleichrangigen Zusammenarbeit von Juden und Christen besondere Bedeutung zu – für die jüdischen Menschen in Deutschland ebenso wie für das Bild des Staates Israel in der deutschen Bevölkerung.
Schon zu Zeiten des Urgesteins der jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski, war sie dort für das Bildungswesen zuständig und maßgeblich an der Gründung einer jüdischen Grundschule beteiligt. Mit ihren Schülern internahm Jael Reisen nach Israel, bei denen sie vor Ort Begegnungen mit Zeitzeugen organisierte. „Denn es ist wichtig, persönlich von einem Menschen gesagt zu bekommen, was er erlebt hat“, weiß die erfahrene Lehrerin nur zu gut. Doch diese echten Zeitzeugen würden altersbedingt immer weniger, an ihre Stelle rückten dann die „Zweitzeugen“ nach, d.h. Menschen, die von Zeitzeugen geschilderte Erlebnisse nacherzählen und so die Erinnerung an sie wach halten.
Inzwischen hat Jael fünf Enkel im Alter zwischen 12 und 20 Jahren und lebt mit ihrem Mann in einer gemütlichen Altberliner- Wohnung in Steglitz zwischen Bücherwänden und selbstgebauten Lego-Modellen aus der Familie. In Reihen von Aktenordnern Dieter Fitterlings sind die Erinnerungen an rund 400 Mitglieder einer einst großen jüdischen Gemeinde in Steglitz verwahrt. In akribischer Recherchearbeit hat der Historiker jüdische Spuren im Bezirk aufgespürt und Familiengeschichten vor der vollständigen Auslöschung durch die Nazis bewahrt. Nun ist er dabei, diesen Schatz in berufene verantwortungsvolle Hände zu übertragen.
Und doch: Der Israelin Jael Botsch-Fitterling fehlen gerade in diesen Tagen die ganz besonderen Stunden und Treffen mit Freunden und Verwandten in Israel, dem Land ihrer Kindheit, obwohl es doch hier in Deutschland für sie und ihren Mann noch so viel zu tun gibt und ihres Einsatzes bedarf: Zur Aufarbeitung der Vergangenheit und für eine bessere und verständnisvollere Zukunft des deutsch-jüdischen Verhältnisses.
Jacqueline Lorenz
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