Erschienen in Gazette Zehlendorf Juli 2021
Zwischen der Zehlendorfer Sachtlebenstraße 30 und dem einstigen Grenzstreifen liegt ein ca. vier Hektar umfassendes natürliches Feuchtgebiet als Überrest des ehemaligen Siepegrabens und Bäketals. 1984 wurde diese älteste Niederungslandschaft Berlins vom Grünflächenamt als Freilandlabor Zehlendorf unter Schutz gestellt und gewährt seitdem Schülern aller Jahrgangsstufen Einblick in die Natur und ihre Geheimnisse.
In etlichen Teichen finden Frosch, Molch, Moorfrosch und Eidechse ungestörten Lebensraum. Schilfbestände und dichtes Unterholz bieten Nistplätze für Teichrohrsänger und Teichhuhn. Und auch der scheue Eisvogel lässt sich für den geduldigen Beobachter ab und zu blicken. Über die Jahre hat sich am Rande dieser ehemaligen Niedermoorlandschaft mit Erlen, Eichen, Weiden und Birken ein Bruchwald gebildet, in dem eine artenreiche Flora und Fauna zu finden ist. 1982 hatten zwei Schüler auf den Artenreichtum des Geländes aufmerksam gemacht, als sie eine Artenliste veröffentlichten, in der sie 400 Käferarten, davon 48 verschiedene Wasserkäfer, nachwiesen. Herpetologen entdeckten daraufhin wertvolle Reptilien- und Amphibienbestände als Grundlage des inzwischen ältesten Berliner Freilandlabores. Einer der Schüler, der hier 14-jährig das Artenpotential und für sich die Liebe zur Natur entdeckt hat, war Derk Ehlert, heutiger Berliner Wildtierexperte, Naturschützer und Sprecher des Senatsverwaltung für Umwelt.
Nun, viele Jahre weiter, ist unsere-kleine-Farm-Idylle auf dem Gelände eingezogen: Auf dem neu eröffneten Schulbauernhof des Areals können Stadtkinder neben den ökologischen Grundlagen und Zusammenhängen der verschiedenen Lebensräume zusätzlich vom grünen Klassenzimmer aus das Landleben mit Bauernhof-Tieren, Wildkräutern und notwendigen Handwerksarbeiten kennenlernen. Nur wenige Meter von der Haltestelle des Bus 101 entfernt, blökt und kräht es, wird gegrast und wiedergekäut, dass es eine Freude ist. Bereits in früheren Jahren hatte es hier Landwirtschaft gegeben: Auf dem Gelände wurde im neun Meter tiefen Torfboden noch bis 1930 Torf gestochen. Danach erfolgte eine Nutzung als Hühnerfarm und Gärtnerei. Aus dieser Zeit stammt auch der Kühlkeller unter der Erde, heute gern genutztes Winterquartier für Fledermäuse. Da das Einflugloch zum Keller einen falschen Einflugwinkel besaß, wurde dies geändert, so dass die Tiere nun bequem ihren Rückzugsort erreichen können.
Auf dem im März diesen Jahres eröffneten Bauernhof duftet es nach frisch verbautem Holz. Sogar eine Komposttoilette gibt es. Dr. Claudia Schlüter, studierte Tiermedizinerin und pädagogische Leiterin des Freilandlabors, begleitete die Projektarbeiten auf dem Gelände, die vor dem Einzug der Tiere unter der fachlichen Anleitung des Büros „Bauereignis“ stattgefunden hatten. Das 2007 gegründete und von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie geförderte Büro sorgt mit seinen Gemeinschaftsprojekten und der Betreuung der handwerklichen Tätigkeiten der Kinder dafür, dass sie in die Gestaltung ihrer unmittelbaren Schulumgebung mit einbezogen werden. – An frischer Luft in diesen Zeiten ein besonders attraktives Angebot. Nachdem auf dem Freilandlabor bereits 2019 Schüler gemeinsam mit „Bauereignis“ u. a. Brücke und Holzsteg erneuert hatten, bewiesen aktuell nun zwei Schulklassen der Schweitzerhof-Grundschule beim Errichten von Zäunen, Lämmerstalltür, Futterküche und Möblierung handwerkliches Geschick und packten kräftig an. „Die Freude, welche die Schüler bei solchen Arbeiten zeigen, ist immer wieder erfrischend“, begeistert sich Claudia Schlüter, die als pädagogische Quereinsteigerin ein wahrer Glücksfall für die Anlage ist, da sie Liebe zu Natur und Landwirtschaft mit tiermedizinischem Fachwissen und einem Händchen für Kinder und Jugendliche verbindet.
Mit der Pädagogik habe sie ihren Traumberuf verwirklicht, erzählt sie, die in Thüringen den Hof der Freundin betreute, wenn diese verhindert war, und an der FU Berlin Tiermedizin studiert hat. Nun melkt die Mutter einer Tochter als Leiterin des Freilandlabors hier die Schafe, füttert die Hühner, behält den Hof und die Schüler im Blick, betreut Projekte und verarbeitet die Milch zu leckerem Schafkäse. – Und das alles neben ihrer Arbeit als Lehrerin für Naturwissenschaften am Schadow-Gymnasium. An ihrer Seite auf dem Gelände des Freilandlabors ihr Königspudel „Aju“, der unaufgeregt das Geschehen rund um die Powerfrau begleitet.
Auch wenn sie sich als zusätzliche Unterstützung durchaus einen Zweibeiner vorstellen kann, der auf gleicher Wellenlänge mit ihr im Freilandlabor wirkt und Projekte mit ihr weiterentwickelt. Mit wie viel Begeisterung die Pädagogin am südwestlichen Stadtrand Berlins dabei ist, bleibt keinem verborgen, der sich einmal von ihr über das Gelände hat führen lassen.
Den Schafstall haben die beiden Ostfriesischen Milchschafmütter „Buche“ und „Schecki“ mit ihren Lämmern bezogen. Während Buches Lämmer inzwischen wieder zurück beim Schäfer und dort in seine Herde eingegliedert sind, gehören Scheckis auf der Anlage geborene Schafkinder „Stups“ und „Kleine Fee“ fest zum Zehlendorfer Hofbestand und haben unter den Schülern bereits viele Freunde gefunden. „Kleine Fee“ war eine Problemgeburt mit wenig Lebenswillen und ihr Leben wohl zu einem Großteil dem beherzten Eingreifen von Tierärztin Schlüter zu verdanken, die dank ihres Erstberufs immer Erste Hilfe leisten kann, wenn Legenot bei Albertine oder Euterentzündung bei Buche drohen. Zwar ist „Kleine Fee“, wie der Name schon sagt, noch immer deutlich zierlicher als ihr Geschwisterchen, doch dafür umso verschmuster und besonders bezaubernd. Jeden Morgen vor der Schule melkt Claudia versiert die Schafe. Bei unserem Besuch zeigt sich „Schecki“ von ihrer spendablen Seite und gibt über zwei Liter schafwarme Milch. – Die werden von ihrer Melkerin alle vier Tage zu Käse verarbeitet, verfeinert mit Wildkräutern von der Freilandanlage. – Das Milch- und Käseprojekt gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen eventuell bis zur Vermarktung voranbringen zu können, nur eine der Visionen der Freilandlabor-Leiterin. Dazu bedarf es aber zusätzlichen geeigneten Raumes, weiß sie nur zu gut und hofft erst einmal auf baldige Umsetzung des Neubaus am Eingang des Freilandlabor-Geländes. Der gegenwärtige Flachbau – Klassenraum, Terrarium, Museum und Labor zugleich – platzt schon seit Jahren aus allen Nähten.
Auf dem Bauernhof-Areal können die Schüler zu jeder Jahreszeit und fernab von Distanzunterricht und Digitalisierung draußen im grünen Klassenzimmer authentische Naturerfahrung sammeln: Sei es, wenn sie für die Hähne „Caruso“ und „Solo“ mit ihrem neunhennigen Harem in der Futterküche Gemüsespieße vorbereiten, Eier von „Schneefüßchen“ und der legefreudigen „Albertine“ einsammeln oder den Glucken in der Kinderstube zuschauen. Den Hühnerstall hat die Schadow-AG gebaut, und eigentlich gibt es – wie eben auf dem Bauernhof alltäglich – immer etwas zu tun. Da jäten fleißige kleine und große Hände die bei Schafen wenig beliebten Brennnesseln von der Weide, um dann daraus in Gemeinschaftsarbeit eine ebenso leckere wie gesunde Suppe am offenen Feuer zu kochen. Danach geht es frisch gestärkt an den Weiterbau der Außenwerkstatt. Die Belohnung lässt nach getaner Arbeit nicht lange auf sich warten: Weiche Schäfchen, die gestreichelt werden wollen, gackernde Hühner, die um die Füße picken, das Finden eines Zaunkönignests, das gestern noch nicht da war oder das Sichten eines besonders seltenen Moorfrosches und der Besuch des Imkers. – Die Natur ist an keinem Tag gleich, immer gibt es Neues zu entdecken, bleibt es spannend, hier im Freilandlabor Zehlendorf.
Jacqueline Lorenz
Freilandlabor Zehlendorf
Sachtlebenstr. 30-32
14165 BerlinTel. (030) 8183612
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