Erschienen in Gazette Steglitz und Zehlendorf August 2021
Als in der Nacht zum 13. August 1961 der S-Bahnverkehr aus und zum West-Berliner Umland unterbrochen wurde und SED-Betriebskampfgruppen, Nationale Volksarmee der DDR sowie Volkspolizeieinheiten in den frühen Morgenstunden damit begannen, die Straßen zum Ostsektor Berlins zu sperren, mit Presslufthämmern aufzubrechen und zunächst mit Stacheldraht unpassierbar machten, standen die Berlinerinnen und Berliner in Ost und West fassungslos und ohnmächtig diesem schaurigen Schauspiel gegenüber. Erst in den folgenden Tagen danach begannen die SED-Machthaber mit dem Bau der Mauer.
Der 13. August vor 60 Jahren sollte die Welt verändern und mit ihr das Leben vieler Menschen.
Wenn in den folgenden Jahren das Wort „Mauer“ fiel, dann sah sie jeder vor sich: Die Mauer in Berlin und das zubetonierte Brandenburger Tor, das zum Symbol für die Teilung Deutschlands und Europas wurde.
Der 13. August 1961 war ein Tag, der Hoffnungen begrub und der das Leben der Menschen in der Stadt 28 Jahre nachhaltig beeinflussen sollte. Diese Mauer kappte Straßen, Schienenstränge und Gewässer; sie wurde immer höher und immer stärker befestigt, trennte Familien und Freunde. Und entlang der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR durchtrennte sie große und kleine Verkehrswege und gewachsene Landschaften.
Die Teilung Berlins und Deutschlands war ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs, den die Nationalsozialisten 1939 entfesselt hatten. Danach entwickelten sich aus den vier alliierten Besatzungszonen zwei deutsche Staaten mit unterschiedlichen Systemen. Und im Zuge der beginnenden Ost-West-Konfrontation beziehungsweise des Kalten Kriegs markierte die deutsch-deutsche Grenze die Schnittstelle zwischen dem geteilten Europa.
Bis zum Bau der Mauer hatte es noch zahlreiche Verbindungen zwischen den westlichen Sektoren und dem Ostsektor in Berlin und in das angrenzende Umland West-Berlins gegeben. Trotz mancher Krisen wie der Blockade Berlins 1948/49, des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 und des Chruschtschow-Ultimatums 1958 war es 1961 für viele Deutsche unvorstellbar, dass die Teilung so tiefgreifend sein würde und sich die beiden deutschen Staaten so unterschiedlich entwickeln würden. 1961 arbeiteten noch viele Bewohner Ost-Berlins und der DDR in West-Berlin und gegenseitige Besuche waren an der Tagesordnung.
Die Mauer jedoch unterband kalt und unerbittlich die menschlichen Kontakte, sie zerschnitt zahllose Bande. Familien wurden auseinandergerissen, Liebespaare getrennt und Freunde verloren sich aus den Augen.
Die DDR-Machthaber mauerten ihre Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes ein. Mit der Errichtung der Mauer reagierte die SED-Führung auf die jahrelange Abwanderung. Fast drei Millionen Menschen hatten die DDR von ihrer Gründung 1949 bis zum August 1961 verlassen. Unter ihnen befanden sich viele Facharbeiter und Akademiker, fast die Hälfte war jünger als 25 Jahre. Diese Abstimmung mit den Füßen war ein Aderlass, und die DDR-Führung griff deshalb zum rigorosen und brutalen Mittel des Mauerbaus, um die Flucht über West-Berlin auf Dauer zu verhindern. Allerdings schritten SED-Chef Walter Ulbricht und Erich Honecker erst zur Tat, als die Sowjetunion ihre Zustimmung zur Absperrung gegeben hatte.
Dennoch versuchten es Menschen auch nach dem 13. August 1961 in den Westen zu gelangen. Und viele mussten ihren Fluchtversuch über die Mauer und durch die Sperranlagen mit ihrem Leben bezahlen: Günter Litfin 1961 und Peter Fechter 1962 gehörten in Berlin zu den ersten Opfern des Schießbefehls, dessen Existenz die Relativierer der kommunistischen SED-Diktatur bis heute leugnen. Günter Litfin wollte durch die Spree in die Freiheit schwimmen und wurde von Transportpolizisten durch Schüsse in den Hinterkopf getötet und Peter Fechter verblutete, von DDR-Grenzern an der Mauer – in der Nähe des Checkpoint Charlie – angeschossen und schwer verletzt, vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Hunderte kamen in den folgenden Jahrzehnten an der Berliner Sektorengrenze und an der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR, zwischen der Lübecker Bucht und Bayern ums Leben, wurden bei ihren Fluchtversuchen schwer verletzt oder wegen sog. „Versuchter Republikflucht“ in der DDR zu Gefängnisstrafen verurteilt.
1989 aber, 28 Jahre später, hob sich der so lange Zeit undurchlässige Eiserne Vorhang zwischen Ost und West, nachdem die Menschen in der DDR ihre Angst gegenüber dem SED-Regime verloren hatten und mutig für ihre Freiheit und Bürgerrechte demonstrierten. Sie schrieben mit ihrem Mut Geschichte und brachten einen Unterdrückungsapparat ins Wanken und die Mauer zum Einsturz. Eine Epoche ging zu Ende, die viele Menschen ganz persönlich getroffen hatte. Viele Biografien hätten sich ohne Mauer und Teilung ganz anders entwickelt.
Heute ist die Berliner Mauer Geschichte. Die Spuren der einstigen Grenze sind größtenteils verschwunden, von einigen Erinnerungsstücken und Gedenkstätten abgesehen. Aber wir sollten auch nicht übersehen, dass in vielen ehemaligen deutsch-deutschen Grenzabschnitten und auch um Berlin herum die Schneisen des früheren Todesstreifens noch erkennbar sind.
Heute sind viele junge Menschen bereits im wiedervereinigten Deutschland und einem vereinigten Europa aufgewachsen. Eine Mauer quer durch eine Stadt; Verliebte, die sich nicht wiedersehen können; Reiseverbote; lange Haftstrafen für den Versuch, von Ost nach West zu gelangen – zum Glück – jenseits ihres Erlebens. Viele der nachfolgenden Generationen wissen um die Geschichte, sie kennen Filme oder Bücher über die Zeit. Aber welch bittere Realität die Mauer wirklich war, ist nicht mehr so präsent. Das erschließt sich erst wieder, wenn Betroffenen aus der damaligen Zeit zu Wort kommen oder wenn wir an die Geschichte erinnern.
Die Mauer zementierte die Teilung – 28 Jahre lang. Im geschichtlichen Maßstab ist das eine kurze Zeitspanne, aber für die einzelnen Menschen bedeutet sie einen beträchtlichen Teil ihrer Lebenszeit. Die Menschen, die in jenen Jahren lebten und aufwuchsen, kamen an der Mauer nicht vorbei. Ohne sie wäre manches Leben anders verlaufen und der Ost-West-Gegensatz hat ganze Generationen geprägt.
Letztendlich aber hatte die Mauer vor der Geschichte keinen Bestand. Und wenn wir heute an den 13. August 1961 erinnern, dann erinnern wir gleichzeitig an den 9. November 1989 und den 3. Oktober 1990, dann denken wir auch daran, wie viel wir mit dem Fall der Mauer und der Deutschen Einheit gewonnen haben. Ich erinnerte zu Beginn dieses Artikels an das Brandenburger Tor als Symbol der geteilten Nation. Richard von Weizsäcker hat 1985 den Satz geprägt: „Die Deutsche Frage ist offen – solange das Brandenburger Tor zu ist“. Er sollte mit dieser Feststellung Recht behalten. Deshalb können wir dankbar sein, dass unsere Geschichte diese glückliche Wendung nahm und dass wir unseren Teil dazu beigetragen haben. Daran sollten wir uns an diesem 60. Jahrestags des Mauerbaus, auch und gerade in diesen unruhigen Zeiten, immer wieder erinnern.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr René Rögner-Francke
© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2023