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Hatice Alkan, die kleine Frau mit den strahlenden Augen

Die Trägerin der Verdienstmedaille hat sich ihren Optimismus bewahrt

Ausgezeichnet mit der Verdienstmedaille: Hatice Alkan. Foto: Dilara Demir
Ausgezeichnet mit der Verdienstmedaille: Hatice Alkan. Foto: Dilara Demir
Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau November 2021
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„Ich habe mich sehr über diese Anerkennung gefreut.- Ach, wie gerne hätte ich sie schon in jüngeren Jahren bekommen“, kommentiert Hatice Alkan ihre Auszeichnung, die sie in Form einer Verdienstmedaille am 22. August 2021 vom Bezirk Tempelhof-Schöneberg für ihr soziales, integratives und kulturelles Engagement in Projekten des Nachbarschaftsheim Schöneberg verliehen bekommen hat. Mit der energiegeladenen Seniorin freuen sich die Mitspielenden im Theater der Erfahrungen des Nachbarschaftsheims Schöneberg. Hatice spielt hier eine wichtige Vermittlerrolle, wenn es darum geht, verschiedenen Altersklassen und Kulturen gemeinsam auf die Bühne des Lebens zu bringen. Dass diese nicht nur heitere Stücke bereithält, weiß die zierliche Frau aus eigener Erfahrung nur zu gut. Viel Optimismus und Energie hat sie im Laufe ihres Lebens aufgebracht und so manch tragischen Akt gemeistert. Herzlicher Applaus ist ihr dazu sicher und in der kleinen Medaille symbolisch verwahrt.

Schicksalsjahre

Medaillen, damit kam Hatice kaum in Berührung in dem nahe der Großstadt Edirne gelegenen kleinen türkischen Ort Uzunköprü, in dem sie aufwuchs. Zur Welt kam sie Anfang Juli 1939. Das genaue Datum weiß sie nicht, in dem kleinen Ort spielte es keine Rolle. Sie hatte Träume, wollte 12-jährig aufs Internat, später studieren, „etwas schaffen und immer vorwärtskommen“. Doch die Regeln waren anders: Verheiratet sollte sie werden, den Mann hatte die Verwandtschaft bereits ausgesucht.

Doch sie schafft es: Sie heiratet den Mann, den sie liebt, und ist glücklich. Damit sie heiraten kann, wird sie zuvor für die Behörden von der Familie zwei Jahre älter erklärt. Doch das Glück ist von nur kurzer Dauer. Als sie mit dem dritten Kind schwanger ist, verunglückt ihr Mann im türkischen Wehrdienst bei einem Autounfall tödlich. Eine Rente erhält die junge Witwe aufgrund ihres niedrigen Alters und der kurzen Ehe nicht. „Ich habe nun Wassermelonen geerntet, auf dem Feld als Tagelöhnerin geschuftet, konnte meine Kinder, die bei der Großmutter warteten, nicht stillen, hatte schlimme Schmerzen“, erinnert sich Hatice an diese schwere Zeit.

Traumland Deutschland?

Doch dann strahlen ihre Augen wieder, wenn sie gestenreich erzählt, wie sie sich vor beinahe 50 Jahren als „Gastarbeiterin“ auf den Weg nach Deutschland gemacht hat und voller Hoffnung nach Stuttgart kam. Ihre kleinen Kinder blieben in der Türkei bei der Großmutter. – Wie hätte sich Hatice hier allein um sie kümmern sollen, arbeitet sie doch als Reinigungskraft täglich mindestens 10 Stunden? Als ihre Mutter erkrankt, kehrt sie in die türkische Heimat zurück und pflegt sie. Dann ein zweiter Anlauf nach Deutschland mit langwierigen Bewerbungen. Dieses Mal bewirbt sich die junge Frau nach Berlin und hat Erfolg. Bald holt sie ihre zwei Töchter und ihren Sohn nach. Sie sollen es einmal besser haben. Der Alltag wird für die Alleinerziehende zur Schwerstarbeit: stundenlanges Putzen in Privathaushalten, Kindergärten und Praxen, ihre Kinder und der eigene Haushalt. Rücken und Bandscheibenvorfälle erinnern bis heute daran. Hatice klagt nicht, doch als sie bei der Arbeit ihren Ehering verliert, weint sie. Dennoch bewältigt sie alles, auch wenn sie immer wenig verdient: Sie schafft es, dass die Kinder zur Schule gehen, eine gute Ausbildung machen, studieren. Der Sohn wird Maler, eine Tochter leitet heute einen Kindergarten, die andere ist Buchhalterin. „Ich konnte hier nicht studieren, aber meine Kinder haben es hier geschafft“, sagt die Mutter, die nie mehr geheiratet hat, stolz.

Über zwanzigmal zieht sie über die Jahre um: Zuerst ist da das Arbeiterwohnheim, dann die 1 ½-Zimmerwohnung in Kreuzberg, in die kein Deutscher einziehen will. Tägliches Kohlenschleppen und Ofenheizen. Als das Amt die Wohnung „für Kinder ungeeignet“ erklärt, geht es in eine etwas bessere, jedoch von Luxus weit entfernte Unterkunft.

Heute lebt die älteste Tochter wieder in der Türkei; sie, die 15-jährig nach Deutschland kam und wohl noch die stärksten Wurzeln in der Türkei hat. Beide Töchter haben Hatice je ein Enkelkind beschert. Stolz sagt die Großmutter mit fröhlichem Augenzwinkern: „Gerne hätte ich ja noch von meinem Sohn ein Enkelchen.“

Wie Hatice sich über all die arbeitsreichen Jahre ihr Lächeln und ihren Optimismus bewahren konnte? – „Ich habe immer gemacht, was ich wollte: Ich wollte es alles schaffen, und ich habe es geschafft“, antwortet sie kurz und wirkt dabei zufrieden. Ihr Alter sieht man ihr nicht an, denn da ist dieses Strahlen ihrer Augen unter dem weißen Haar, das keine noch so harte Arbeit zu trüben vermochte. Was sie sich gewünscht hätte? Die Antwort kommt spontan: „Die deutsche Sprache besser zu lernen. Meine Tochter hat einmal gefragt: ›Du hast so viel geschafft, Mama, warum hast du es nicht geschafft, Deutsch zu lernen?‹ – Ich musste jeden Morgen vor vier Uhr aufstehen, habe sechs Tage die Woche über zehn Stunden gearbeitet, wie sollte ich es da, müde wie ich war, zu den Sprachkursen schaffen?“

Angekommen

Im Jahr 2000 ging Hatice in Rente, hat heute eine Wohnung in einer Unterkunft in Kreuzberg. „Mit Küche und Balkon, ich koche gerne für mich und für andere“, erzählt sie bescheiden. Schon bald sei ihr der Ruhestand auf die Nerven gegangen: „Ich muss immer etwas tun, etwas schaffen, laufen.“ Ein Nachbar nahm sie mit zur Arbeiterwohlfahrt (AWO), wo sie viele türkische Menschen traf. „Ich habe ihnen bei den Gesellschaftsspielen zugesehen, habe daneben gesessen und gestrickt“, erzählt Hatice von den Anfängen. 2015 lernte sie über das Nachbarschaftsheim Schöneberg die Koordinatorin und Theaterpädagogin Hülya Karci und den ehrenamtlichen Besuchsdienst für türkischsprachige Menschen mit und ohne Demenz kennen, für den sie sich selbstlos und aktiv einsetzt – und sie entdeckte ihre Liebe zum Theaterspielen. „Ich spiele für mein Leben gerne“, strahlt sie, die inzwischen in drei Theatergruppen im Einsatz ist, u. a. bei den „Sultaninen“ im Nachbarschaftsheim Schöneberg (Nbhs). Mit Schülern einer Kreuzberger Schule spielte sie im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit dem Nbhs, tauscht sich mit Gleichgesinnten wie Özgür Alaybeyoglu in Gesprächsrunden zu Themen des Älterwerdens aus, und sie will immer noch mehr erreichen und vorwärtskommen.

Hatice Alkan, die ehemalige türkische Gastarbeiterin, lebt nach all den Jahren harter Arbeit ihren deutschen Mitbürgern nun selbstlos ehrenamtliches bürgerschaftliches Engagement vor, vermittelt zwischen Jung und Alt und zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen.

Bald wieder Corona-ungestört noch aktiver werden zu können, hofft Hatice Alkan, Verdienstmedaillenträgerin und strahlendes Beispiel für festen Willen und Durchhaltevermögen. Diese kleine Frau mit den strahlenden Augen steht für viele sogenannte Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. – Mitmenschen, denen wir und Deutschland so viel zu verdanken haben.

Übrigens: In voller Aktion erleben kann man Hatice Alkan und ihre Mitspieler auf einer filmischen Reise rund um das Schattentheater-Projekt „Meine Oma hat ein Elefantengedächtnis“ des Nachbarschaftsheim Schöneberg, Holsteinische Straße 30 in 12161 Berlin-Friedenau im Rahmen des Online Kulturtag Demenz: Menschen mit Demenz in der Nachbarschaft – mittendrin oder außen vor?

Weitere Informationen unter www.nbhs.de/stadtteilarbeit/der-nachbar-stadtteiltreff/aktuelles

Jacqueline Lorenz

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