Erschienen in Gazette Zehlendorf November 2021
Im Jahr 1977 übernahm der 34-jährige Schauspieler und Autodidakt Wolfgang Immenhausen gemeinsam mit zwei Gleichgesinnten den renovierungsbedürftigen großväterlichen Hof mit dem im Jahr 1900 gegründeten Futtermittel(Fourage)handel an der Chausseestraße 15a im dörflichen Wannsee. Damals hätte wohl keiner der drei Lebenskünstler geglaubt, dass sich 44 Jahre später dieser Ort als angesagter Kommunikations- und Kulturtreff weit über Berlin hinaus einen Namen gemacht haben würde. Längst sind Galerie, Kulturscheune, Café, Naturkost- und Blumenladen mehr als ein Geheimtipp zum Innehalten und Einkehren.
Das Kulturangebot auszubauen und Kunstliebhabern die Tür noch weiter zu öffnen, hat Immenhausen Anfang des Jahres das Ehepaar Lea Gryze und Jens Kunath als Pächter von Galerie und Kulturscheune auf den Hof geholt. Die 44-jährige Reprofotografin und der 56-jährige Fachmann der Kunstszene bringen viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung für diesen beliebten Kulturort mit und wollen ihn mit neuen Ideen füllen, ohne dabei Bewährtes in den Hintergrund zu rücken und Gründer Immenhausen mit seinem Know-how zu übergehen. Inzwischen von ihrem Wannseer Wohnsitz aus blickt das Pächter-Ehepaar mit seinen beiden 10- und 16-jährigen Töchtern in eine spannende Zukunft an der Seite von „Mutter Fourage“, die niveauvolle Kunst und Kultur für Alt und Jung bereithält.
Genügend Zeit wollen Lea und Jens den Besuchern geben, sich auf sie und ihre neuen Angebote einzulassen. Solide Kulturarbeit wollen sie leisten und ein stabiles Vertrauensverhältnis zu Kunden und Besuchern aufbauen, das nachhaltig trägt.
Da ist die Galerie mit Moderner und Zeitgenössischer Kunst, die überwiegend Kunstkenner Jens Kunath betreut. Dazu erklärt er: „Wir verkaufen hier Geschichte. Die zu verstehen, benötigen Menschen Zeit. Wir sind diejenigen, welche sie in diesem Prozess begleiten und abholen.“ Erfahrungen gesammelt in allen Bereichen des Kunsthandels und im Ausstellungs-Bereich hat er, der einmal Werkzeugmacher gelernt hat, aber seit 30 Jahren in der Kunstszene daheim ist, bei seiner intensiven Arbeit mit dem Maler und Bildhauer Anselm Kiefer und mit der Berliner Galerie Michael Haas. Häufig auch in Basel und an weltweit renommierten Kunstschauplätzen und -Messen unterwegs, verfügt Kunath über ein umfangreiches Künstler-, Sammler- und Kunst-Netzwerk, das sich nur positiv auf „Mutter Fourage“ und ihre Besucher auswirken kann und auch die jüngeren Generationen ansprechen will. Die Berliner Secession und die Wannsee-Maler sollen dabei keineswegs aus den Augen verloren werden, der Focus aber auch auf sogenannte verlorene Künstler ausgerichtet sein, die ihr Leben der Kunst gewidmet haben. Für das nächste Jahr erwähnt Lea Gryze schon heute das Thema Frauenkunst, das ausgebaut und dem Besucher ausgiebig präsentiert werden soll.
Als Beispiel für die verlorenen Künstler sind in der luftigen Galerie noch bis Ende November 2021 Verkaufswerke des bedeutenden dänischen Künstlers Ernst Johan Zeuthen (1880-1938) unter dem Titel „Seestücke“ ausgestellt, die als Motive das Meer, Schiffe, Inseln, Berge, Blumen und die Sonne in den Vordergrund rücken. Im Anschluss an diese Ausstellung sind „Stadtbilder“ geplant, dabei werden unter anderem Werke des Wannsee-Malers Philipp Franck gezeigt.
Lea Gryze wuchs mit Lesungen, Ausstellungen und Konzerten auf. Das Literaturforum im Brechthaus in Mitte war ihr zweites Zuhause. Kunstschaffende umgaben sie schon früh, dementsprechend groß auch ihr künstlerisches Netzwerk. Als sie in ihrem Fotostudio Bilder von Arthur Degner für den Ausstellungskatalog der Galerie von „Mutter Fourage“ fotografierte, machte sie im Anschluss beim Besuch des Kulturtreffs erste Bekanntschaft mit Galerie und Kulturscheune. Wie ihr Mann war sie von der intensiven Ausstrahlung dieses Ortes sofort gefangen. „Über einen Kunsthändler erfuhren wir dann von der Pachtmöglichkeit der Galerie und Kulturscheune.“ Die Chemie zwischen Immenhausen und dem Paar stimmte, und auch der gute Erhaltungszustand von Galerie und Scheune überzeugte, sodass nun Lea mit ihrem Mann bei „Mutter Fourage“ seit fast einem Jahr mitgestalten und selbst kreativ sein kann. Unterstützend in den letzten drei Monaten dabei war Sophie, Studierende der Kulturwissenschaften in Potsdam. Beeindruckend auch für sie ist die hohe Kulturqualität dieses Standortes. Was sie aus diesem Praktikum mitnimmt? Die Antwort kommt rasch: „Durch die Ausstellungswechsel habe ich viel Interessantes erfahren über Hängung und Reprofotografie, aber auch einen beeindruckenden Einblick in ein vielschichtiges Berufsleben erhalten.“
Der Bereich von Kulturfreundin Lea sind Veranstaltungen und die Kulturscheune mit ihrem seit 2012 unter Denkmalschutz stehenden Zollinger-Dach aus dem Jahr 1924. In seiner effektiven und ökologischen Konstruktion ist es zukunftsweisend, so wie das vielseitige Programm, das Lea für die Scheune entwickelt. Dabei kann sie dank hervorragender Kontakte zu Agenturen auf namhafte Künstler zurückgreifen. Sie denkt auch an die kleinen Gäste und setzt auf den Ausbau von „handgemachten“ pädagogisch inhaltlich wertvollen Kinderveranstaltungen. Beispiel dafür ist das Kinderstück, „Paulas Reise“ von Paul Maar, das Toleranz und Selbstvertrauen kindgerecht thematisiert. Die gesamten Einnahmen von Kinderveranstaltungen gehen an die Künstler, wie Lea betont.
Als besonderen Leckerbissen in der Kulturscheune empfiehlt sie für den 20. November um 18 Uhr „Ein daumenkinographischer Abend“ von und mit Volker Gerling „Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt“. Und die kleinen Leute erwarten besondere Überraschungen am 4. Dezember um 16 Uhr bei der Veranstaltung „Winterzeit ist Märchenzeit“.
All das kostet. So hofft das Pächterpaar auf Unterstützung durch Fördergelder und durch den Bezirk, für den die „Mutter Fourage“ ein touristisch wertvoller Kulturstandort ist, liegt er doch auf der Route zwischen Berlin und Potsdam, unweit von „Villa Liebermann“ und „Haus der Wannseekonferenz“ – und in direkter Nachbarschaft zur neu eröffneten Galerie Wannsee Contemporary in der Chausseestraße 46.
Die alten Öffnungszeiten wollen die neuen Betreiber erst einmal beibehalten. Sie sind sich einig: „Freitag, Samstag und Sonntag herrscht schon Wochenendstimmung, die Hektik lässt nach. Man fährt raus an den Wannsee, und man gönnt sich Kunst, die gleich um die Ecke bei „Mutter Fourage“ zu finden ist, trinkt dort einen Kaffee und genießt.“ Und dann erklären sie: „Die Kunst kam mit „Mutter Fourage“ zu uns. Jetzt freuen wir uns auf das, was wir Seite an Seite mit ihr für Kunst- und Kulturfreunde auf die Beine stellen und entwickeln werden. – Auf jeden Fall eine spannende Mischung, die für jeden etwas bieten wird.“
Jacqueline Lorenz
Galerie Mutter Fourage
Chausseestraße 15a · 14109 Berlin
Öffnungszeiten: Fr. 14-16 Uhr, Sa. + So. 12-17 Uhr und nach Vereinbarung.
Weitere Informationen, Tickets und Termine unter www.mutterfourage.de
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