Erschienen in Gazette Wilmersdorf November 2021
Die Tradition-Schuhmacherei von Simon Wolff liegt in der Sulzaer Straße 12 in Berlin-Schmargendorf. Bescheiden fügt sich das Schaufenster in die zartrosa Hausfassade. Täglich pressen sich etliche kleine Nasen an der Scheibe platt, denn Wolffs Frau sorgt seit Jahren dafür, dass es im Fenster passend zur Jahreszeit immer etwas zu bestaunen gibt. Weit über den Bezirk hinaus bekannt ist die liebevoll-nostalgische Weihnachtsdekoration, für die sich auch in diesem Jahr wieder ein Besuch in der kleinen Seitenstraße lohnt. Auf jeden Fall mitnehmen sollte man dazu die gut eingelaufenen Wanderschuhe mit dem großen Loch in der Sohle und die liebgewonnenen, aber Absatz-kränkelnden Tanzschuhe. Und auch der Reitstiefel, der neuerdings gewaltig in der Wade zwickt, darf Meister Wolff bei dieser Gelegenheit gerne auf den Ladentisch gestellt werden. – Denn der erfahrene Schuhdoktor weiß bestimmt Rat und hat die passende handwerkliche Lösung parat. Seit 2004 trägt der sympathische Schuhmacher aus Leidenschaft den Meistertitel und bedient inzwischen in seinem Laden, in dem er einst gelernt hat, nicht selten drei Generationen einer Familie, die auf „ihren“ Schuhmacher schwören.
Betritt man das Geschäft, müssen Hektik und Zeitdruck draußen bleiben. Melodisch begrüßt die Türglocke jeden neuen Besucher. Gleich neben dem Eingang strahlen Filzpantoffeln und –Hausschuhe Gemütlichkeit aus, während gegenüber handgenähte „Budapester“ für jede Fußform und jeden Anlass in ihren Kartons auf den solventen Käufer warten.
Dazwischen Putz- und Schuhzubehör. Eine warme Welle Nostalgie erfasst den Besucher aber, fällt sein Blick auf die museale Ecke des Lädchens: Alte Schuhmacher-Maschinen, Meisterbriefe längst vergangener Tage neben dem eigenen und Familienfotos von gestern bis heute, die Simon Wolff hier in Schmargendorf mit seinen Lieben daheim in Pankow verbinden. Vor dort kommt er jeden Morgen – nicht auf Schusters Rappen, sondern mit dem Drahtesel – und dorthin strampelt er jeden Abend nach getanem Tagewerk wieder die 26 Kilometer zurück. Dazu der Meister: „Schließlich sitze ich ja am Tag meist bei der Arbeit. Und wenn die Straßen noch oder wieder leer sind, ist das die pure Erholung für mich.“ In den Vitrinen an der Wand unzählige Mini-Schuhmodelle, die meisten sind Geschenke seiner fünf Kinder.
Das Sammeln und Bewahren – eine Leidenschaft des Meisters, die seiner Berufung für das Schuhmacher-Handwerk entgegenkommt. In den Arbeitsräumen neben dem Kundenbereich finden sich altbewährte Maschinen aus den 60ern, Lederhäute und Zubehör, das selbst einem Laien das Herz aufgehen lässt. Das kleinste Stück Leder, die größte Bullenhaut und die winzigsten Holznägel, „Pluggen“, mit denen hochwertige Besohlung erfolgt, präsentiert Simon Wolff mit erfrischend ansteckender Begeisterung.
Regelmäßig fährt er nach Bayern, bezieht die unterschiedlichsten Lederarten dort von einem nachhaltigen und über die Jahrhunderte alteingesessenen Lederproduzenten. Wenn er sich Sohlen und Kappen vom Stück mit sicherer Hand zuschneidet, weiß er, was er hat.
Vorgefertigte Teile kommen bei ihm seltener zum Einsatz. Gummiplatten lagern neben Holzplatten für Absätze. Ziegen-, Rinds-, Kalbs- und Chromleder zeigt der Meister voller Stolz, streicht immer wieder über die Häute und zeigt schließlich seine vielfach jahrzehntealten „Goldstandards“ für ganz besondere Reparaturen: Gut gehütete Restbestände wie Python- und Eidechsenhaut liegen da neben Wasserschlange und Flunder, dazwischen wartet kuscheliges Fell auf seine Verarbeitung. Und Simon Wolffs Augen leuchten nicht weniger, als er dann seine eigentlichen „Arbeitskollegen“ vorstellt: Elektrische Näh-, Polier- und Fräsmaschinen für verschiedenste Materialien und Ledertypen, Pechfäden und Handwerkszeug, das noch sein Lehrmeister angefertigt hat. „Das leistet mir bis heute treue Dienste, davon trenne ich mich niemals“, versichert der Handwerker, der auch während Corona das Geschäft geöffnet halten durfte. Dies jedoch wussten nur wenige Kunden, sodass die harten Pandemie-Monate auch bei ihm ein deutliches Loch in die Kasse rissen.
Nun sind die Stammkunden aus ganz Berlin, dem Umland und aus Städten wie Köln und Hamburg zurück; so wie die junge Frau, die durch halb Berlin fährt, um ihre ausgerissenen Laufschuhe zum Schuhmacher ihres Vertrauens und ihrer Kindertage zu bringen. Sie erzählt: „Im Nachbarhaus bin ich aufgewachsen, und mein Geburtsname ist derselbe Nachname wie der des Meisters.“ Die geborene Wolff schwört auf die Arbeit ihres Namensvetters und erinnert sich: „Als Kind habe ich zu gerne in der Werkstatt hier zugeschaut, alles war so spannend und gemütlich.“ Auch heute noch sind Kinder gerne gesehene Besucher. „Aus den Nachbarschulen schauen oft Dritt- und Viertklässler vorbei. Sie lernen hier Dinge über das Handwerk, wie es in keinem Schulbuch steht“, weiß Meister Wolff. Der Menschen- und Tierfreund ist beliebt in der Gegend, in der er sich seit seiner Lehrzeit so wohlfühlt: Da findet auch mal ein Vierbeiner den Weg in die Werkstatt des Meisters, der immer eine Dose mit Leckerli bereithält. Oder da ist der Vermieter, zu dem ein sehr gutes Verhältnis besteht, der im Laden abgegebene Pakete abholt und witzelt: „Simon Wolff weiß hier über alles Bescheid, viel besser als ich.“ So weist er, der sich scherzhaft als „zweiter Hausmeister“ bezeichnet, auch mal den Schornsteinfeger ein, verhandelt mit den Straßenreinigern und scherzt mit den Müllmännern. Zu einem von ihnen, der schon lange in Rente ist, wird er noch heute regelmäßig eingeladen. Auch das macht ihn stolz.
Simon Wolff verbrachte die ersten Kindheitsjahre in Buxtehude bei Hamburg, wo seine Familie Landwirtschaft betrieb. „Wenn die Tiere zum Schlachter kamen, war ich immer sehr traurig“, verrät der so viel positive Energie ausstrahlende Schuhmacher. 1971 zogen seine Eltern mit ihm nach „Spandau bei Berlin“. Als es an die Lehrstellensuche ging, schaute er sich zuerst am Kudamm bei einem renommierten Kürschner-Unternehmen um. Doch die strengen Gerüche der gegerbten Felle gefielen ihm wenig. Als er dann bei der Schuhmacherei vorbeischaute, war ihm gleich klar: „Das ist mein Ding.“ Mit den Arbeitsjahren wuchs seine Berufung für diesen Beruf immer mehr, in dem Fingerfertigkeit, Geduld und Genauigkeit für die hohe Qualität stehen.
Gerne erinnert sich der heutige Meister der Schuhmacherei an die Arbeit bei seinem Lehrherrn, Meister Heinrich Steeger, der das Geschäft seit 1953 leitete. Acht Leute arbeiteten in dem Betrieb zwischen Leisten und Leder. Der Chef reparierte die Maschinen selbst, die bis heute zuverlässig laufen. Einer der drei Lehrlinge war ab 1973 Simon Wolff. Die Chefin lud mittags zum gemeinsamen Mittagessen in den ersten Stock, nachmittags gab es Kaffee und Kuchen. „Es war alles so familiär, ich fühlte mich gut aufgehoben.-Und das Essen war super. Die Ausbildung streng, aber harmonisch“, erzählt der Schuhmacher, der damals täglich mit den Öffentlichen von Spandau nach Schmargendorf fuhr. Bis heute schaut die „Chefin“ im Laden vorbei – mit Kuchen. Auch sein Meisterstück aus dem Jahr 2004 zeigt Simon Wolff immer noch gerne vor: Ein handgenähter Schuh, der manch Blase an die Finger brachte. Mindestens so alt ist die Klebeunterlage, die sich über die Jahre zum Klebegebirge entwickelt hat. Eine kleine Kunstfreundin aus der Nachbarschaft will sie mit Farben zum Kunstobjekt erwecken.
Vieles hat sich seitdem geändert. Waren es damals rund 800 Innungsmitglieder, sind es heute gerade noch 12. Der Beruf des Schuhmachers ist unter Jugendlichen wenig gefragt, Auszubildende sind rar.
Billigschuhe, vulkanisiert und als Wegwerfware in Billigländern gefertigt, überschwemmen den Markt, eine hochwertige Reparatur, neue Sohlen oder Absätze lohnen da nicht und werden von Fachleuten wie Simon Wolff auch nicht empfohlen. Doch es gibt da eben auch noch die höherpreisigen Qualitätsschuhe, die für jeden Fuß den richtigen Leisten und die handgearbeitete Ausstattung mit besten Materialien bieten. Diesen Schuhen lebensverlängernde Reparaturen von Meisterhand zukommen zu lassen, dafür geht Meister Wolff ganz in seiner Arbeit auf. 10 bis 12 Schuhe pro Tag stellt der Schuhmacher fertig. Besonders heikle Fälle verlegt er in die frühen Morgenstunden, wenn noch kein Kunde die Arbeit stört. Er weitet, dehnt, leimt, schneidet, hämmert, füttert, poliert, berät – und strahlt, wenn der Kunde dann seine ehemals matten und vertretenen Schuhe beim Abholen in ihrem neuen Glanz kaum wiedererkennt.
Wo er seine eigenen Schuhe kauft? „Gerne in Hamburg“, schmunzelt Wolff, dort gebe es einige gute Schuhgeschäfte. Seine Familie geht inzwischen lieber ohne ihn einkaufen, zu genau nimmt er die Schuhe unter die Lupe. So hat er in einem Berliner Schuhgeschäft die Verkäuferin fast zur Verzweiflung gebracht, als er die mindere Qualität der Schuhe unter Beweis stellte: Nachdem er drei Schuhe durch gekonntes Kneten aus der Fasson gebracht und gebrochen hatte, bat man ihn, doch lieber in einem anderen Geschäft diese Art der „Qualitätsprüfung“ fortzusetzen.
Sich weiter für tragefreundliche Qualitätsschuhe und seine Kunden mit ganzem Herzen einsetzen will Meister Wolff noch lange: „Am liebsten bis ich Hundert bin – weil es so viel Spaß macht“, verrät er mit einem fröhlichen Augenzwinkern.
Öffnungszeiten Mo.-Fr. 8-18 Uhr, Sa. 8-13 Uhr
www.schuhmachermeister-simon-wolff.de
Jacqueline Lorenz.
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