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Else-Ury-Campus entsteht in direkter Nachbarschaft zum Gleis 17

Zukunftsorientierte Bildungsarbeit für angemessene Erinnerungskultur

So soll der Else-Ury-Campus aussehen. Grafik: Moses-Mendelssohn-Stiftung/greeenarchitects
So soll der Else-Ury-Campus aussehen. Grafik: Moses-Mendelssohn-Stiftung/greeenarchitects
Erschienen in Dahlem & Grunewald Journal Dezember/Januar 2021
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Das Mahnmal Gleis 17 steht für 50.000 aus Berlin deportierte Juden, die mehrheitlich vom Bahnhof Grunwald abtransportiert wurden. Nun soll es einen prominenten Nachbarn erhalten, der studentisches Wohnen sowie den Umgang und die Auseinandersetzung mit historischer Verantwortung ineinandergreifen lässt.

Voraussichtlich 2025/26 soll der Else-Ury-Campus etwa 300 Meter vom Mahnmal entfernt auf einem hinter der Trabener Straße gelegenen 25.000 Quadratmeter großen Grundstück eröffnet werden.

Bildungsort mit hohem Anspruch

Entstehen soll ein Ensemble von insgesamt vier Baukörpern. Drei dreigeschossige Gebäude werden insgesamt 160 studentische Apartments integrieren. Mit Fördermitteln des Bundes wird in einem weiteren eingeschossigen Gebäude ein Dokumentationszentrum zur Geschichte der Berliner Deportation zwischen 1941 und 1945 eingerichtet. An zentralem Ort in der Mitte des Campus gelegen, wird es auf dreieckigem Grundriss Ausstellungsflächen und Seminarräume mit Nebenräumen vereinen. Bauherrin des Else-Ury-Campus ist die Moses-Mendelssohn-Stiftung. Ihr Ziel ist es, mit diesem innovativen und integrativen Ausstellungs-, Vermittlungs- und Wohn-Konzept für Studierende und Auszubildende einen Baustein für eine zukunftsorientierte Bildungsarbeit in Nachbarschaft eines Gedenkortes zu schaffen, um auch in Zukunft einen angemessenen Umgang mit der historischen Aufarbeitung der NS-Geschichte gewährleisten zu können. Indem sich die zukünftigen Bewohner des neuen Campus unmittelbar in ihrem Wohn- und Lernumfeld mit dem Gedenkort Gleis 17 auseinandersetzen können, werden sie gemeinsam neue Formen der Erinnerungs- und Gedenkstättenkultur entwickeln. Für das zukünftige Dokumentationszentrum ist schon heute eine von Studierenden betreute Dauerausstellung zur Geschichte des Gleis 17 geplant. Bereits während der Planungs- und Bauphase sollen dazu mögliche Ausstellungs- und Dokumentationskonzepte mit Schülern, Auszubildenden und Studierenden erarbeitet werden, die dann zu Eröffnungsbeginn des neuen Bildungsortes präsentiert werden.

Campus-Namensgeberin wurde in Auschwitz ermordet

Namensgeberin des Campus ist die deutsch-jüdische Kinder- und Jugendbuchautorin Else Ury (1877-1943, ermordet in Auschwitz). Sie galt als bekannteste Kinderbuchautorin der Weimarer Republik. Mädchen-Generationen liebten besonders ihre zwischen 1913 und 1924 entstandenen Bücher, in denen das aufmüpfige „Nesthäkchen“ Handlungsmittelpunkt war.

– Doch den Nazis waren Else Urys Romane „zu jüdisch“, der SED zu bürgerlich und die Alliierten sahen später den Band „Nesthäkchen und der Weltkrieg“ als Kriegspropaganda. Mit dem Nesthäkchen porträtierte die Autorin eigentlich ihre jüngere Schwester Käthe, und auch die älteren Brüder fanden sich in den Romanen wieder. Else Ury lebte mit Eltern und Geschwistern in Berlin-Mitte. Patriotisch standen sie hinter der Politik der wilhelminischen Ära. Der Vater, ein Tabakfabrikant, war in der jüdischen Gemeinde aktiv. Die bildungsbürgerliche Familie pflegte jüdische Feiertage und die jüdische Tradition, hielt dabei ihre deutsche und jüdische Identität im Ausgleich. 1935 erhielt Else Ury Publikationsverbot. Inzwischen allein in Deutschland, stieg sie am 12. Januar 1943 zusammen mit anderen Juden in den Zug nach Auschwitz, wo sie mit 872 Deportierten dieses Zuges in den Gaskammern ermordet wurde.

Ihr 1995 wieder aufgetauchter Koffer mit ihrem Namen befindet sich heute im Museum Auschwitz.

JaLo

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