Gazette Verbrauchermagazin

Hattrick für Walking Football Wannsee

Bewegung, Fußballfreude und Gemeinschaftsspaß statt Höchstleistung

Die Walking-Footballer von Wannsee: Spaß, Bewegung und Teamgeist.
Die Walking-Footballer von Wannsee: Spaß, Bewegung und Teamgeist.
Erschienen in Wannsee Journal Dezember/Januar 2021
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Jahrzehntelang war Michael Rätsch in seiner Freizeit ein erfolgreicher Fußballspieler. Doch dann bremste eine Diabetes-Erkrankung ihn aus. Die Töppen an den Nagel hängen? Nichts für ihn, bewegen wollte er sich, anstatt auf dem Sofa zu versauern. Er suchte und fand die Lösung: Im August 2019 rief er die Walking Football-Gruppe (Gehfußball) beim Berliner Fußballclub FV Wannsee ins Leben, der damit als erster Berliner Verein diese Sportart in sein Vereinsgeschehen aufnahm.

„Es gibt viele Menschen, die sich bewegen wollen“, erklärt Rätsch, der für die neue Gruppe per Inserat Gleichgesinnte suchte. Inzwischen profitieren 22 Männer mit krankheitsbedingten Einschränkungen von seiner guten Idee. Der Initiator selbst fühlte sich bereits nach einem Jahr fitter und hat Diabetes-gerecht abgenommen, seine Mitspieler – im Alter zwischen 60 und 81 Jahre – bestätigen ebenfalls ihr besseres Wohlbefinden dank der regelmäßigen Bewegung: „Der Gehfußball hier ist Mittel zum Zweck für unsere Gesundheit.“ Frauen ließen leider bei der Gruppe noch auf sich warten, wie Teammanager Rätsch erklärt, aber das ändere sich hoffentlich bald. Denn auch Mitspielerinnen sind bei der Gruppe willkommen, die mit Bewegung, Spaß am Fußball und viel Gemeinschaftssinn zweimal in der Woche im Stadion Wannsee etwas für ihre Gesundheit, für Körper, Kopf und Reaktionsvermögen tut – jeder ganz nach seinen individuellen Möglichkeiten.

Gehfußball – Bewegung, Spiel und Kameradschaft

Die Spieler scheuen nicht die Anreise nach Wannsee, kommen u. a. aus Spandau, Lichtenrade, Neukölln oder Reinickendorf. Die Einen sind blutige Fußballanfänger, die sich hier ihren Traum von Fußballteam erfüllen, die Anderen, wie Rätsch, sind fußballerfahren. – Alle aber mit gesundheitlichen Einschränkungen. Da ist der Fußballkamerad, der am Steuer einen Schlaganfall erlitt, heute wieder erstaunlich geschickt über den Vereinsplatz dribbelt. Spaß am Spiel und der soziale Kontakt zu Gleichgesinnten verbindet sie alle und hat ihre Lebensqualität erhöht. Man neckt sich freundschaftlich, reißt auch mal Witze über Blutverdünner, die hier fast jeder nimmt. Vorerkrankungen wie beispielsweise überstandene Herzinfarkte, Bluthochdruck und Schlaganfälle sowie Gelenkabnutzung und künstliches Hüftgelenk – all das erfährt beim Walking Football die gebotene Rücksichtnahme, ist aber nie Hauptthema aller Gespräche. Wer während des Trainings eine Pause braucht, legt sie ein, der Erste-Hilfe-Kasten ist am Spielfeldrand immer mit dabei, ansonsten geht es locker und unverkrampft zu.

Am Beginn einer jeden Stunde steht das Aufwärmen mit Gleichgewichtstraining. „Wir spielen das ganze Jahr draußen, nur bei Schnee oder Starkregen geht es mal in die Halle“, erklärt Michael Rätsch. Die Kosten für die flotten Trikots hat ihnen die Sparkasse gesponsert. Und dann ist da Ralf Messmer, ein „echter Glücksfall“, wie Rätsch betont. Nach einem Schlaganfall hat der aktive Fußballer mit Trainerlizenz, der über 20 Jahre auch als Jugend-Trainer agierte, nun seine Aufgabe beim Walking Football gefunden und trainiert hier die etwas reifere Jugend, während Rätsch als mannschaftsverantwortlicher Teammanager sich mehr den administrativen Aufgaben widmet. Als Corona das Training auf dem Stadionplatz verhinderte, wussten die Beiden sich mit guten Ideen zu helfen, um ihre Truppe in Bewegung zu halten und „runter vom Sofa“ zu bringen: Mal ging es vor Berlin gemeinsam zum Golffußball, mal wurden die Kameraden zu nur mit dem Rad oder per Pedes erreichbaren Orten und Sehenswürdigkeiten beordert. Am Ziel musste als Beweis dann ein originelles Foto gemacht werden. Der Spaß und die Bewegung kamen also auch in diesen ernsten Zeiten nicht zu kurz.

Rote Karte für Laufen und Rennen

Beim Walking Football – Fußball im Gehen – stehen besondere Regeln zur Verletzungsvermeidung im Vordergrund: U.a. sind Laufen und Rennen verboten, ein Teil des Spielerfußes muss immer Bodenkontakt haben, Kopfbälle sind unzulässig. Der Ball darf nicht über einen Meter hoch gespielt werden. Grätschen und Tacklings sind generell untersagt. Fouls entstehen höchstens versehentlich „im Eifer des Gefechts“, ansonsten wird Körperkontakt nahezu vermieden. Es wird mit kleinen Fußballtoren ohne Torwart gespielt, die Spielzeiten sind kürzer. Und es gibt nur indirekte Freistöße. – Doch Gelbe und Rote Karte, die manch Spieler gerne vom Feld verbannt sähe, gehören auch beim Walking Football zur „Grundausstattung“ des Schiedsrichters.

Michael Rätsch weiß aus eigener Erfahrung nur zu gut, wie schwer es seinen „Jungs“ fällt, den Ehrgeiz zu unterdrücken: „Dadurch kann man sich leicht überschätzen und seine gesundheitlichen Grenzen übersehen.“ So achtet einer auf den anderen, behält dabei aber auch die eigene Belastbarkeit stets im Blick. Geht es ans Mannschafts-Spiel, wird schon mal ein kleiner Laufschritt oder Hopser eingebaut, doch der Trainer hat die Augen überall und pfeift den Übermütigen schnell zurück.

Gehfußball im Vormarsch

Wurden am Anfang die Walking Footballer noch etwas belächelt, hat sich das längst gegeben, wird dieser entschleunigten Ballsportart und ihren Spielern viel Anerkennung entgegengebracht. „Wir haben den FV Wannsee e. V. und den Berliner Fußball-Verband voll hinter uns“, erklärt Rätsch. Längst entwickelt sich Walking Football als Variante des Gesundheitssports zur Trendsportart des Breitensports ohne Altersbeschränkung. So hat der Deutsche Fußballbund kürzlich den FV Wannsee für seine Dienste um die Integration beeinträchtigter Fußballer mit der Sepp-Herberger-Urkunde ausgezeichnet.

Erfunden wurde der „Gehfußball“ als Walking Football vor zehn Jahren in England. Dort und in den Niederlanden wird mittlerweile bereits in Ligen gespielt, wobei der Wettstreit zweitrangig ist und stattdessen der Spaß an Bewegung und Fußball im Mittelpunkt steht. Diese gesunde Sportart für sich entdeckt haben in Deutschland inzwischen u. a. Werder Bremen, VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen, Schalke 04, Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt sowie kleinere Vereine. In Berlin sind weitere Vereine wie der TSV Mariendorf, Oranje Berlin oder der SC Siemensstadt auf bestem Weg, Walking Football als eigenes Angebot auszubauen.

Derweil ist Walking Football Wannsee mit seinen Footballern auch immer wieder zu Freundschaftsspielen in Deutschland unterwegs. Unvergessen ihre ersten Spiele im Rahmen eines Turniers beim VfL Wolfsburg im Dezember 2019 als Berliner Auswahl.

Aktuell coronabedingt stehe bei den Wannseer Footballern immer noch eine Reise nach Mallorca mit Freundschaftsturnier auf dem Plan, erklärt mir Michael Rätsch am Ende unseres Gesprächs. Dann muss er nach Gransee, um das herrliche Spätherbstwetter noch für einen Fallschirmsprung aus 4.000 Meter Höhe zu nutzen.

Jacqueline Lorenz

FV Wannsee e. V. Berlin

Chausseestraße 29-31
14109 Berlin

Informationen und Kontakt für Interessentinnen und Interessenten des Walking Football Wannsee bei Teammanager Michael Rätsch unter Mobil 0178 6469090 oder www.walkingfootballwannsee.de

Regelmäßiges Football-Walken findet montags um 11.00 Uhr und donnerstags um 10.30 Uhr im Stadion Wannsee statt.

Titelbild

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