Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Dezember 2021
Die Vorfreude ist groß: Ein kleiner Mensch kündigt sich an. Doch nicht immer kann er neun Monate lang geduldig in Mamas Bauch warten. So kamen allein im Jahr 2020 in Deutschland 6,4 Prozent der Neugeborenen zu früh zur Welt, d.h. vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche. Bis das Leben gelingt, folgen der Geburt oft anstrengende Wochen und Monate für Frühchen, Eltern und Geschwister. Manchmal schließt sich auch ein sich über Jahre erstreckender Krankheitsweg an.
Einfühlsamer Brückenbauer für die Betroffenen ist da seit 2009 der gemeinnützige Traglinge e. V., der Familien mit frühgeborenen, chronisch und schwer kranken Kindern in Berlin und Brandenburg multiprofessionell zur Seite steht und mit viel Respekt vor der jeweiligen Lebenssituation Hilfestellung leistet. Diese Familien sind – gerade am Anfang – oft mit ihrem Schicksal überfordert und benötigen dringend fachlich-personelle Unterstützung. Doch die wird in der Regel nur für kurze Zeit gewährt.
Der Traglinge e. V. setzt sich als anerkannter Träger der Krankenkassen der Sozialmedizinischen Nachsorge, der Jugendhilfe und Beratungsstelle für die Verbesserung der Lebenssituation schwer kranker Kinder ein. Doch da nicht immer die regelhaft verankerten Leistungen ausreichen, um sich in Ausnahmesituationen befindende Familien zu stabilisieren, finanziert der Verein zusätzlich benötigte Begleitstunden in besonders harten Fällen aus Spendengeldern.
Zum kraftspendenden und ermutigenden 21-köpfigen Team des Nachsorge-Vereins zählen Kinderärzte, Krankenschwestern, Sozialpädagogen, Psychologen, Kinderkrankenschwestern – und die Gründerinnen Katja Mahn und Christina Hartmann, die als taffe Netzwerkerinnen immer neue Türen öffnen und Verbindungen knüpfen.
Katja Mahn vom geschäftsführenden Vorstand ist Ansprechpartnerin für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising. Sie spricht aus eigener Erfahrung: „Notfallgeburt im 6. Schwangerschaftsmonat, Geburtsgewicht 690 g. Alleine atmen konnte unser kleiner Engel damals nicht. Nicht nur diese persönliche Grenzerfahrung war für mich Auslöser, mich mit den ganz kleinen Schicksalen der Frühchen zu beschäftigen und für mich zu verarbeiten. Besonders auch die Schicksale um uns herum, die wir unweigerlich in drei langen Monaten Intensivstation miterlebt haben, haben mich veranlasst, etwas tun zu wollen. Ich bin unbeschreiblich dankbar, dass es Matthis heute gut geht, er gesund ist – ich habe das Bedürfnis dieses Glück, wenigstens einen kleinen Teil davon, weiterzugeben an Familien, denen ähnliches und dramatischeres passiert ist.“ Mit viel Herzenswärme und Organisationstalent hält sie in ihrem wie sie sagt „Herzensprojekt“ dem verlässlichen Fachteam den Rücken frei für die Arbeit in den Familien. An ihrer Seite weiß sie dabei – auch im Vorstand – Christina Hartmann, Kinderkrankenschwester und Elternberaterin. Sie erklärt überzeugt: „Traglinge ist für mich ein kleines Wunder. Wenn Menschen aus unterschiedlichen Lebensbereichen etwas bewegen wollen, sich zusammen tun und es gelingt, zeigt das die Stärke jedes Einzelnen. In unserer täglichen Arbeit mit den Familien können wir diese Stärke spüren, und es ist schön zu sehen, wie nur mit ein wenig Rückenhalt weitere kleine Wunder geschehen. Für mich der richtige Weg. – Auf dem es sich lohnt, auch gegen Widerstände weiterzugehen.“
Vereinssitz der Traglinge ist ein Büro mit zwei angeschlossenen Therapieräumen im Evangelischen Waldkrankenhaus in Spandau. Zurzeit pandemiebedingt noch überwiegend online, treffen sich in wieder coronafreier Zeit in den Räumen Selbsthilfegruppen und Eltern-Kind-Gruppen, die sich über Themen wie Stillen, erstes Essen vom Tisch oder Einbeziehung der Geschwister austauschen. Dabei werden sie nicht mit Erlebtem allein gelassen, sondern können sich gegenseitig stützen. Regelmäßig finden für Klein und Groß „HerzchenTreff“ und „Frühchengruppe“ statt: für Familien und Begleiter von Kindern mit angeborenem Herzfehler und für Familien von Frühgeborenen. Und beim „FamilienTreff“ mit Gipfelstürmern Ü1 kann entspannt, innegehalten und können Ängste und Fortschritte in geschütztem Rahmen ausgetauscht werden.
Wie notwendig zusätzliche Nachsorgestunden sind, die nicht von regelhaften Kostenträgern übernommen werden, zeigen immer wieder beeindruckende Fallbeispiele, bei denen empfindliche Seelen kleiner Menschen und das Schicksal ihrer Familie im Mittelpunkt stehen: Da ist der gerade mal ein Vierteljahr alte Louis*, der aufgrund von Frühgeburt eine extreme Muskelschwäche entwickelt hat. Seine Eltern mit der fünfjährigen Schwester benötigen alle Kraft, um den Alltag zu meistern. Da hier die beantragten Stunden Sozialmedizinischer Nachsorge nicht ausreichen und die langsame Entwicklung engmaschig in Überwachung bleiben muss, sind weitere Stunden zur Stabilisierung der Familie unverzichtbar. – Sei es zur Anbindung an neue Physiotherapie, Logopädie und psychosoziale Unterstützer oder zum Voranbringen der Diagnostik. Die Liste solcher ähnlich dramatischen Fälle ist lang. Aus Spendengeldern müssen diese zusätzlichen Nachsorgestunden- und Personalkosten vom Traglinge e. V. aufgebracht werden.
Aktuell begleitet der Traglinge e. V. 50 Familien im Rahmen der Sozialmedizinischen Nachsorge, 16 Familien mit „mehr Zeit“ im Rahmen der Jugendhilfe, 31 Familien im Modellvorhaben „Versorgungskoordination für versorgungsintensive Kinder und Jugendliche“ (VK KiJu) des Senats Berlin, je 5-8 Familien in den 3 Selbsthilfegruppen und 11 Kinder im Geschwisterprojekt. Auch wenn in diesem Jahr ein „nur“ digitales „Sommerfest – mal anders“ stattfinden konnte, war das dann doch ein echter Renner – und auch für die anstehende Weihnachtsfeier hat sich der kreative Verein wieder einiges einfallen lassen, Familien und Team einander coronakonform näher zu bringen. Ein ganz besonderes Projekt konnte dennoch in diesem Jahr erfolgreich an den Start gehen: Ein Song, mit dem kleine Sängerinnen und Teilnehmerinnen des Geschwisterprojektes „Jetzt bin ICH mal dran!“ die Arbeit des engagierten Vereins-Teams eingefangen haben, Mut machen und Gemeinsamkeit schaffen. Das Ergebnis kann sich sehen und hören lassen. Reinhören unter https://youtu.be/47jiPtKnPrc
Mit dem Geschwisterprojekt soll auf die Geschwister schwer kranker Kinder aufmerksam gemacht werden, die sich in besonders belastender Situation befinden und dies nicht alleine bewältigen können. Der Nachsorge-Verein will diesen Kindern Aufmerksamkeit, Kraft und Raum zum Austausch und Spaßhaben schenken. Dazu bietet er in einem sechsteiligen SuSi-Kurs Übungen und Spiele zum Stark- und Selbstbewusstwerden an. Geschwister helfen dabei Geschwistern und lernen gemeinsam, mit stressigen Situationen und Problemen entspannt umzugehen.
Seit seiner Gründung im Jahr 2009 hat der Traglinge e. V. mehr als 1.200 Familien auf ihrem individuellen Weg ein Stück erfolgreich begleitet, gestärkt und unterstützt. Um alle geleisteten sozialmedizinischen Nachsorgestunden kostendeckend abrechnen zu können, ist der Verein auf Spenden angewiesen und freut sich über weitere Fördermitglieder, die seine Arbeit mit einem Jahresbeitrag von mindestens 20 Euro unterstützen möchten. Dass die Vereins-Hilfe mit ihrem „Brückenbau“ viele weitere betroffene Familien erreicht, wünscht sich auch Waltraud Söhnel-Jaeck, Vorstandsvorsitzende der Gerhard Jaeck Stiftung, die regelmäßig zusätzliche Nachsorgestunden des Vereins finanziell fördert: „Jedes Einzelschicksal dieser Kinder und ihrer Familien ist es wert, unterstützt zu werden. Denn keiner von uns ist alleine auf der Welt, sondern Teil der großen bunten Menschenfamilie.“
Weitere Informationen zum Traglinge e. V. unter www.traglinge-ev.de
Jacqueline Lorenz
*Name von der Red. geändert
Spendenkonto
Traglinge e. V. – Bunter Kreis Berlin
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