Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf Januar 2022
Die steigenden sommerlichen Temperaturen machen sich auch in Berlin bemerkbar. Deshalb will die Stadt klimaneutral in die Zukunft. Bei dieser Aufgabe engagiert sich auch Charlottenburg-Wilmersdorf. In den folgenden Beiträgen nehmen die Fraktionen der BVV zu dem Thema Stellung.
Schon seit Jahrzehnten zeichnet sich ab, dass die Erde den ausbeuterischen Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen nicht mehr kompensieren kann. Die Fähigkeiten der globalen Ökosysteme nach Störungen und anthropogenen Eingriffen durch selbstregulative Mechanismen wieder in einen funktionsfähigen Zustand zu gelangen, sind erschöpft. Unser zivilisatorischer Wohlstand wird aber nur überdauern, wenn wir unser Wirtschaften künftig besser an die Naturmechanismen anpassen. Aufgabe der Politik ist es, dafür die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Ein Prozess, den wir im Bezirk mit der Anerkennung des Klimanotstands 2019 begonnen haben. Ein Kernelement unseres Anfang 2021 beschlossenen Klimafahrplans ist ein optionaler Vorbehalt bei Bezirksamtsvorlagen und Beschlüssen. Die bezirklichen Beauftragten für Klimaschutz prüfen künftig, inwieweit anstehende Entscheidungen den universellen Nachhaltigkeitszielen entsprechen. Sollten die Vorlagen den Zielen nicht entsprechen, können sie bei bis zu fünf Prozent Alternativen vorschlagen. Damit wird ein Kontrollmechanismus etabliert, um Schritt für Schritt den Pfad der Klimaneutralität zu erreichen.
Sibylle Centgraf
„Social Green Deal“ heißt das Konzept der SPD in Berlin zur Erreichung der Klimaneutralität. Das wichtige dabei ist, dass alle Maßnahmen sozial verträglich sein müssen. Wichtige Instrumente sind dabei das Berliner Energiewendegesetz, mit dem für öffentliche Gebäude Energiestandards und Solarpflicht vorgeschrieben werden, und die Berliner Stadtwerke. Sie sollen die Bereitstellung von Ökostrom zu fairen Preisen ermöglichen und sog. Mieterstrom (lokalen Sonnenstrom in unmittelbarer Nachbarschaft) gewährleisten. Beim Bau von Gebäuden setzen wir auf klimafreundliche Baustoffe wie Holz, da die Betonherstellung für ca. 8 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Ein wichtiger Baustein ist ein gut ausgebautes Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln. Dies gilt für zum einen für den Nahverkehr, aber zum anderen auch für den Fernverkehr. Deshalb wollen wir die Bahn durch den Aufbau eines Nachtzugnetzes und den Halt weiterer Fernzüge auch in den Bahnhöfen Zoo und Charlottenburg attraktiver machen und wir werden uns für mehr umsteigefreie Verbindungen in Urlaubsgebiete einsetzen. Gleichzeitig müssen für Dienstreisen, Schüler- und Jugendfahrten in unserem Bezirk die Nutzung der klimaneutralen Bahn die Regel werden.
Dr. Jürgen Murach
Um Klimaneutralität in Charlottenburg-Wilmersdorf zu erreichen, müssen die Treibhausgasemissionen im Bezirk weiter deutlich gesenkt werden. Die Verwaltung hat zuletzt 2016 eine Treibhausgasbilanz für den Bezirk vorgelegt. Eine aktuelle Bilanz ist jedoch entscheidend, um die richtigen Stellschrauben und den Handlungsspielraum für die Reduktion der Emissionen zu erkennen. Im ersten Schritt sollten deshalb zügig die Bilanzen für die Jahre 2017 und 2018 veröffentlicht und die Datenbereitstellung insgesamt beschleunigt werden. Das größte Einsparpotenzial liegt beim Energieverbrauch selbst. Hier sollte der Bezirk beispielsweise im Bereich Heizen die Transformation hin zu klimaneutralen Energieträgern weiter vorantreiben und die Umstellung der verhältnismäßig noch viel genutzten Ölheizungen aktiv begleiten, indem er zum Beispiel auf Fördermöglichkeiten des Bundes hinweist. Elementar für die Klimabilanz von Charlottenburg-Wilmersdorf sind darüber hinaus die Grünflächen samt der Stadtbäume. Die CDU-Fraktion setzt sich daher für eine spürbare Aufstockung der Finanzmittel sowohl für die Pflege unseres Grüns, aber auch für die Anpflanzung klimabeständigerer Baumarten ein.
Susanne Zels
Als Freie Demokraten wollen wir den Klimaschutz in Charlottenburg-Wilmersdorf bis hin zur Klimaneutralität effektiv und zielgerichtet voranbringen. Unnütze Vorgaben und Vorschriften sind für uns dabei genauso wenig hilfreich wie die rein symbolische Maßnahme der Ausrufung des bezirklichen „Klimanotstandes“. Wortreichem Aktionismus setzen wir Technologieoffenheit, Innovation und smarte Lösungen entgegen. So fordern wir zur besseren Luftreinigung nicht nur die kontinuierliche Nachpflanzung gefällter Bäume sowie die Aufstellung von begrünten Wänden, sogenannten Living Walls, an öffentlichen Plätzen, sondern auch die Begrünung von Gebäudewänden und -dächern. Öffentliche Gebäude müssen hier ebenso eine Vorbildfunktion einnehmen wie bei der zügigen Nachrüstung mit modernster Energie- und Solartechnik. Denn die energetische Sanierung des gesamten, auch privaten bezirklichen Baubestandes ist für die Erreichung der Klimaziele mindestens so wichtig, wie die weitmöglichste Umstellung des Verkehrs auf nichtfossile Brennstoffe. Hierfür wollen wir nicht nur eine bessere Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger, sondern auch eine schnellere Ausstattung öffentlicher Parkplätze mit Ladesäulen für elektrisch getriebene Fahrzeuge.
Stefanie Beckers
Klimaschutzpolitik findet nicht nur auf globaler Ebene statt, sie muss auch lokal wirken. Die besten Ideen haben Wissenschaftler:innen, Bürger:innen oder demonstrierende Jugendliche. Politik hinkt auf allen Ebenen hinterher, denn sie lässt sich zu oft von Konzerninteressen und Lobbygruppen ausbremsen. Doch Gemeinwohl muss im Fokus stehen, nicht Macht- oder Wirtschaftsinteressen. Für den Bezirk bedeutet das: radikale Umverteilung des öffentlichen Raums! Weg von der autogerechten Stadt, mehr Platz für Fuß- und Radverkehr, ÖPNV, Stadtnatur. Das erreichen wir u. a. durch Kiezblocks, von denen das Bezirksamt trotz Forderung der Menschen vor Ort keinen einzigen eingerichtet hat. Sperrung von Durchfahrtsstraßen in Wohngegenden, Umwandlung von Parkplätzen in nachbarschaftliche Begegnungszonen, temporäre Spielstraßen, „coole Maßnahmen“ gegen Hitze in der Stadt und Umwandlung von sich aufheizenden Betonwüsten in grüne Parks – nur so wird der Bezirk klimaneutral. Ein Bürger:innenrat für klimagerechte Transformation muss her, Anwohner:innen müssen beteiligt werden sowie für Verkehrswende und Umwelt- und Klimaschutz kämpfende Initiativen und Verbände. Kreativität und entschiedenes Handeln sind jetzt gefragt!
Frederike-Sophie Gronde-Brunner
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