Gazette Verbrauchermagazin

Von Menschen, Künstlern und Schicksalen

KulturRaum der Künstlerkolonie mit attraktivem Veranstaltungsangebot

Die „küchenzeilen“-Initiatorinnen Nadine Aßmann (l.) und Heike Falkenberg.
Die „küchenzeilen“-Initiatorinnen Nadine Aßmann (l.) und Heike Falkenberg.
Erschienen in Dahlem & Grunewald Journal Februar/März 2022
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Der im September 2020 eröffnete und der Künstlerkolonie Berlin e. V. von Vonovia zur Verfügung gestellte KulturRaum hat sich trotz Corona-bedingter Einschränkungen zum beliebten Treff entwickeln können. Engagierte Kulturschaffende halten hier über ausgesuchte Veranstaltungen die Erinnerung an in diesem einmaligen Wohnviertel einst und heute beheimatete Menschen des Kultur- und Kreativlebens und ihre damit verbundenen Schicksale wach. Zwei besondere Veranstaltungs-Highlights, die bereits im Dezember an den Start gingen, laden zu Beginn des neuen Jahres weiter zum Hinsehen, Hinhören und Innehalten: Die Ausstellung „küchenzeilen“ und die szenische Lesung „Rose“ setzen kulturelle Lichtpunkte in dieser dunklen Jahreszeit. Sie dürften auch junge Künstler auf das große Potential der Künstlerkolonie aufmerksam machen, das diese als wichtiger Berliner Kulturstandort bietet.

„küchenzeilen“: Fünf Künstler = über 350 Jahre Lebensabenteuer

Die beiden Schauspielerinnen und Regisseurinnen Heike Falkenberg und Nadine Aßmann sind langjährige Nachbarinnen in der Künstlerkolonie, hatten sich bei der Heimfahrt von einem Theaterprojekt vor zwei Jahren jedoch erst näher kennengelernt. Mit dem von ihnen gegründeten „Kollektiv Barnay“ – ein Zusammenschluss Berliner KünstlerInnen rund um den Ludwig-Barnay-Platz – stehen sie als Initiatorinnen für ihr Pilotprojekt „küchenzeilen“. Mit dieser Dokumentation wollen sie die bemerkenswerten Lebensgeschichten fünf porträtierter KünstlerInnen vor dem Vergessen bewahren.

Die Ausstellung ist gefördert aus Mitteln des Kulturbeirats Charlottenburg-Wilmersdorf und bringt dem Besucher fünf langjährige Bewohnerinnen und Bewohnern der Kolonie mit ihrem künstlerischen Werdegang näher. „Da wir seit Jahren hier leben, haben wir viele Kontakte zu unseren Nachbarn knüpfen können“, erzählt Nadine Aßmann, und Heike Falkenberg ergänzt: „Diese Vertrauensbasis hat es uns ermöglicht, sie gemeinsam mit dem Fotografen und Mitglied des Kollektiv Barnay, Michael S. Ruscheinsky, respektvoll in ihren Küchen zu besuchen und Interviews mit ihnen zu führen.“ Es folgten lange Vorgespräche mit einer größeren Auswahl an Bewohnern, umfangreiche Ton- und Filmaufzeichnungen und unzählige Fotos. Eine beeindruckende Essenz daraus spricht nun in der professionell präsentierten Ausstellung den Betrachter kurzweilig an – wenn auch inszeniert, doch in authentischen Bildern mit farbintensiven Acrylglas-Fotos und aussagekräftigen Textausschnitten. Lockdown-bedingte Umstrukturierungen wie die Verschiebung der feierlichen Eröffnung forderten viel Geduld vom gesamten Team. Hatten die beiden aktiven Initiatorinnen und renommierten Schauspielerinnen zuerst noch vorgehabt, in verschiedenen Lesungen selbst aus den Gesprächen der Interviewten vorzutragen, änderten sie schon bald ihr Konzept: Da die fünf zwischen 1930 und 1944 Geborenen so viel zu sagen haben, werden sie nun ab Januar in einzelnen Lesungen im KunstRaum persönlich zu Wort kommen. – Und dabei dürfte der Gast noch manch Spannendes erfahren, was in den Interviews nicht angesprochen wurde. Dazu werden Auszüge aus dem Buch „Künstlerkolonie Wilmersdorf“ des Autors Manfred Maurenbrecher weitere Einblicke in die Geschichte dieses fast vergessenen Ortes geben.

Im Mittelpunkt der Ausstellung, die als Auftaktveranstaltung einer über Jahre geplanten Dokumentation verstanden werden will, stehen als erste fünf KünstlerInnen keine Geringeren als die Fotografin und Schauspielerin Kornelia Boje, Schauspielerin Anita Kupsch, Opernsänger und Lyriker Harry Oschitzky, Tänzerin Gerda Schulz und der Lebenskünstler Manfred Stavenhagen. Ernste, aber auch heitere Momente, spannende und berührende Eindrücke sind garantiert, die neugierig auf Mehr machen.

„Rose“ von Martin Sherman – szenische Lesung einer Lebensgeschichte

Als Bewohnerin der Künstlerkolonie zeigte Schauspielerin Sabine Kotzur mit der Premiere ihrer szenischen Lesung „Rose“ datumsgerecht am 11. Dezember im KunstRaum Flagge „für 1700 Jahre jüdisches Leben und gegen Antisemitismus“. Im Januar 2022 lädt sie nun zu weiteren Aufführungen.

Mit der Lebensgeschichte der Jüdin Rose, die im ausgehenden 20. Jahrhundert auf hölzerner Bank Shiv´a sitzt und sieben Tage lang um ihre geliebten Verstorbenen und um das Leben trauert, wird auch die Geschichte einer Frau erzählt, die jüdischen Humor, Witz, aber auch Weisheit, Geist, Gefühl und Lebenskraft in sich vereint. Als Angehörige einer „verlorenen Generation“ könnte man sie bezeichnen, erzählt sie doch hin- und hergerissen zwischen Schmerz, Humor und Ironie vom Untergang der jiddischen Kultur und der Kluft zwischen liberalen und orthodoxen Juden. Wo könnte diese Geschichte berührender erzählt werden, als am Standort der Künstlerkolonie, einem Ort, an dem nach der politischen Machtergreifung der NSDAP im Jahr 1933 Razzien durchgeführt und Bewohner festgenommen wurden, und von dem aus Künstler aus Deutschland fliehen mussten? – Gedenktafeln und Stolpersteine in der Künstlerkolonie erzählen von diesen Schicksalen. Behutsam erweckt Sabine Kotzur „Rose“ in der Übersetzung von Inka M. Paul zum Leben und erzählt facettenreich deren Geschichte, zaubert so vor Augen des Publikums unvergessliche Bilder. „Die Vielschichtigkeit ihrer Person zwischen Humor und Trauer hat mich von Anfang an fasziniert. Ich bin sehr stolz, dass ich die Rechte für die Lesung in der Künstlerkolonie erhalten habe“, erklärt die Schauspielerin, die sich tief in die Person der Titelfigur hineinempfunden hat. So ist ihr lebendiger Vortrag durchaus mit dem bravourösen Solo von Schauspiellegende Monica Bleibtreu im Renaissance Theater aus dem Jahr 2003 vergleichbar.

Autor Martin Sherman studierte in Boston und lebt seit 1980 in London. Seine Stücke – darunter die Liebe zweier Homosexueller in einem Konzentrationslager des Jahres 1939 – wurden in über 35 Ländern aufgeführt. Die erfolgreiche Uraufführung von „Rose“ fand am 24. Juni 1999 am Londoner National Theatre mit Olympia Dukakis in der Titelrolle statt. Des Themas „Erinnerung“ nimmt der Autor sich mit äußerster Differenzier-Freudigkeit an und lässt Roses Monolog so zu einem Stück Erinnerung werden, auch wenn sie vorgibt, sich nicht erinnern zu können.

„Rose“ – ein Stück für Jung und Alt, das ebenso wie die „küchenzeilen“ auf seine Art dazu beiträgt, das historisch, sozial und künstlerisch bedeutsame, doch fast vergessene Kleinod der Künstlerkolonie Wilmersdorf wiederzuentdecken und mit frischen Ideen hin zu nachhaltiger Erinnerung neu zu beleben.

Aktuelle Termine für weitere Lesungen, Veranstaltungen und Öffnungszeiten zur Ausstellung „küchenzeilen“ und für die szenische Lesung „Rose“ Corona-bedingt unter www.kueko-berlin.de oder am KunstRaum direkt einsehbar (neben dem Vonovia-Büro in den Kolonnaden). Eintritt frei!

Jacqueline Lorenz

KunstRaum Künstlerkolonie Berlin e. V.

Breitenbachplatz 1
14195 Berlin

Titelbild

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