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Erinnerungskultur in Steglitz-Zehlendorf

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf diskutiert

Haus der Wannsee-Konferenz
Haus der Wannsee-Konferenz
Erschienen in Gazette Steglitz und Zehlendorf Februar 2022

Schon seit Jahren wird über Formen und Inhalte von Erinnerung an geschichtliche Ereignisse und Entwicklungen auch in unserem Bezirk diskutiert. Allein die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts, dass nicht umsonst als „Jahrhundert der Extreme“ bezeichnet wird, bot Anlass genug für das Nachdenken über das Gedenken. Aktuell sei hier an den 80. Jahrestag der „Wannsee-Konferenz“ der Nazis im Januar 1942 erinnert. Im Folgenden nehmen die Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf zu diesem Thema Stellung.

CDU-Fraktion

Der 27. Januar 1945 ist als Tag der Befreiung des nationalsozialistischen Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee fester Bestandteil im Kanon der deutschen Erinnerungskultur und internationaler Holocaustgedenktag. Unrecht, Hass und Entmenschlichung haben an diesem Tage vor 77 Jahren am schlimmsten Ort deutscher Verbrechen ein Ende gefunden. Heute gedenken wir voll Trauer der Millionen ermordeter Männer, Frauen und Kinder, Opfer einer menschenverachtenden Ideologie und eines gnadenlosen Regimes.

Umso mehr muss es uns schmerzen, wenn auch heute noch in Versammlungen auf unseren Straßen antisemitische Parolen gegrölt werden, Menschen wegen ihres Glaubens bedroht, geschlagen und ermordet werden und jüdische Mitbürger sich wieder gezwungen sehen über Auswanderung nachzudenken und unser Land verlassen.

Der Tod Millionen Unschuldiger, das Versterben der Zeitzeugen der nationalsozialistischen Gräuel sowie auch der in unserer Gesellschaft nicht erloschene menschenverachtende Hass sollten uns zu Schaffung einer lebendigen und empathischen Erinnerungskultur anhalten. Sowohl der Ermordeten wie auch um unser selbst willen.

Tom Cywinski

B‘90/Grünen-Fraktion

Auch in diesem Jahr – zunächst auch insbesondere am 27. Januar als Gedenktag zur Befreiung des KZs Auschwitz – werden wir uns wieder der Gräueltaten erinnern, die in Deutschland vor nunmehr fast 80 Jahre im Namen einer menschenverachtenden Ideologie verübt wurden. Doch abstrakte Erinnerungskultur, die aufgrund des zeitlichen Abstandes mittlerweile ohne direkte Augenzeugen auskommen muss, zu bestimmten Anlässen reicht nicht aus, wenn offener Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogene Diskriminierung gerade im Bereich der „Neuen Rechten“ wieder zunimmt und aktuell wieder ihren Weg auf die Straßen findet. Wir als Grüne werden uns daher für eine aktive Erinnerungsarbeit einsetzen, die unseren vielfältigen Bezirk widerspiegelt und auch neue Formen des Gedenkens aufgreift. Dazu bedarf es eines Konzeptes über partizipatorische Bildungs- und Gedenkarbeit auch unter Einbeziehung familiär Betroffener, engagierter Verbände, Initiativen und auch Institutionen wie in unserem Bezirk z. B. Haus der Wannseekonferenz. Denn nur wenn es gelingt, die Erinnerung wach zu halten, wird es gelingen, die Fehler der Vergangenheit zu verhindern.

Carsten Berger

SPD-Fraktion

Erinnerungskultur ist eine zentrale Aufgabe kommunaler Kulturpolitik. Sei es das Erinnern an Opfer, die Aufarbeitung der NS-Verbrechen oder des kolonialen Erbes oder die Ehrung bedeutender Persönlichkeiten: Geschichte und ihre Figuren sind immer Teil unserer Nachbarschaft. Aus dem Erinnern müssen wir Lehren für die Zukunft ziehen. Dies kann z. B. durch die Durchführung von Bildungsangeboten oder die Zusammenarbeit mit bzw. Unterstützung von bezirklichen Initiativen und Gedenkorten erfolgen. Aber auch die Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum ist wichtiger Bestandteil. In der Vergangenheit wurde oft diskutiert, ob eine Stele ausreichend ist oder eine Straßenumbenennung erfolgen soll, wenn dies im Rahmen der historischen Aufarbeitung notwendig ist. Wir befürworten Umbenennungen und die ernsthafte Debatte mit der Zivilgesellschaft darüber, denn eine vielfältige Gesellschaft sollte sich auch im Straßenbild widerspiegeln. Beispiele gibt es genug, wie die Debatte um die Umbenennung von Treitschkestraße oder Hindenburgdamm. Dabei kann Erinnerungskultur Brückenbauerin sein zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Ellinor Trenczek und Alexander Niessen

FDP-Fraktion

Hier im Südwesten Berlins wurde vor 80 Jahren am 20. Januar 1942 im Haus der Wannseekonferenz die Auslöschung der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas organisiert. Die Fraktion der Freien Demokraten (FDP) sieht aufgrund der Beispiellosigkeit der NS-Verbrechen den Bezirk in der kontinuierlichen Pflicht, die Erinnerung an die Opfer des Holocaust zukunftsorientiert zu stärken. Gedenktage und Gedenkorte sind dabei zentral für unsere Erinnerungskultur. Eine Stärkung historischer Orte mit mehr digitalen Angeboten und innovativen Vermittlungskonzepten baut Brücken zu jüngeren Generationen. Daher setzen wir uns für eine öffentlich zugängliche Datenbank mit den Namen der Opfer der NS-Terrorherrschaft ein sowie die Schaffung eines Lern- und Gedenkortes in Lichterfelde-Süd, wo im 2. Weltkrieg das größte Strafgefangenenlager Berlins war. Ebenso werden wir das Projekt der Allee des Gedenkens entlang der Pacelliallee in Dahlem vorantreiben, denn, wie der Philosoph George Santayana schon anmerkte: „wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist verdammt, sie zu wiederholen“.

Katharina Concu

AfD-Fraktion

Kalt und grau ist der Januar. Und genauso sind die Gedenktage im ersten Monat des Jahres: Am 20. Januar jährt sich die Wannseekonferenz zum 80. Mal. In einer Villa am Großen Wannsee kamen vor 80 Jahren, am 20. Januar 1942, fünfzehn hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und der SS-Behörden zusammen, um unter dem Vorsitz von Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdiensts, den Holocaust an den Juden zu besprechen und die Zusammenarbeit der beteiligten Organisationen zu koordinieren. Die mörderischen Folgen dieser Konferenz sind bekannt. Der zweite Gedenktag im Januar hängt eng mit der Wannseekonferenz zusammen. Es ist die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945. Beide Gedenktage mahnen uns Demokraten, allen Formen totalitärer Politik entschieden entgegenzutreten. Ob es rechtsextreme Terroristen des NSU, linksextreme Terroristen der RAF, Antifa-Schläger, Islamisten oder die radikalen Klima-Aktivisten von Extinction Rebellion sind – sie alle dürfen keinen Einfluss auf unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat bekommen.

Peer Lars Döhnert

Linksfraktion

Erinnerung ist wichtig, um ein gemeinsames Erbe, eine gemeinsame Verantwortung im Gedächtnis zu behalten, um dem Leugnen und Verharmlosen entgegen zu treten. Erinnern muss gepflegt und kultiviert werden. Es braucht Orte, die das ermöglichen: Die Spiegelwand als Erinnerung an die jüdischen Mitbürger:innen, die während des Holocaust verschleppt und ermordet wurden. Das Haus der Wannseekonferenz, in dem die Deportation aller Jüd:innen Europas zur Vernichtung in den Osten, die organisatorische Weichenstellung dafür beschlossen wurde. Die Säule der Gefangenen, die an die Verbrechen im Außenlager des KZ Sachsenhausen erinnert: mehr als 1000 Männer aus ganz Europa wurden wegen ihrer Herkunft oder ihrer Überzeugung inhaftiert, zur Zwangsarbeit eingesetzt, ermordet. Erinnerungskultur braucht Orte – und finanzielle Mittel, die es ermöglichen, Infrastruktur, personelle Ressourcen sowie den Erhalt zu sichern. Daher setzen wir uns dafür ein, dass diese Mittel im Bezirk zur Verfügung stehen und es auch bezüglich des Lern- und Gedenkortes Stalag III D eine dauerhafte Finanzierung auch durch Bezirksmittel geben wird.

Wider das Vergessen!

Pia Imhof-Speckmann

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