Erschienen in Gazette Charlottenburg Mai 2022
Im Alter von drei Jahren machte ich erste Bekanntschaft mit Gummibärchen: Meine Patentante hatte mir eine in meiner Erinnerung riesige nachtblaue Blechdose geschenkt, deren Deckel ich alleine nicht auf bekam. Jeden Abend vor dem Zähneputzen aber öffnete sich der Deckel wie von Zauberhand und gab den Blick auf die sich eng an eng drängenden Gummibären frei, von denen ich mir drei aussuchen durfte: Rote, grüne, orange Bärchen – ich favorisierte die grünen (in den 60er-Jahren noch mit herrlichem Waldmeister-Geschmack). Heute sind es die weißen (Ananas), von denen ich nicht genug bekommen kann, sodass ich mir sogar schon einmal eine Tüte ausschließlich dieser einen Sorte geleistet habe.
Inzwischen sind die Haribo-Gummibärchen die Karriereleiter zum Goldbären – seit 1960 unter diesem Namen – steil hinaufgeklettert, und mit den Geschmacksrichtungen hat es inzwischen so seine ganz eigene Philosophie: Die grünen Bärchen, die vor 2007 die Geschmacksrichtung Erdbeere hatten, bekamen im Rahmen einer Sortimentsänderung im Jahr 2007 nun die Geschmacksrichtung Apfel verpasst. Erdbeergeschmack tragen heute die hellroten Bärchen, während die dunkelroten nach Himbeere schmecken. Die Waldmeisterbärchen aus meinen Kindheitserinnerungen in Grün gibt es nur noch von Zeit zu Zeit als Fan-Edition.
Gummibären: Sie sind mit der Zeit gegangen und haben längst – nicht zuletzt wegen des passenden Namens – auch Berlin erobert, wo sie in veganer Variante entwickelt werden, als „Bärliner“ Naschkatzen verwöhnen oder gar zum roten und grünen Fruchtgummi-Ampelmännchen mutiert sind.
Zu verdanken haben wir die süße Köstlichkeit in Bärenform dem gelernten Bonner Bonbon-Kocher Hans Riegel. 1920 gründete er HARIBO (HAnsRIegelBOnn) und begann in einer Hinterhof-Waschküche mit seiner jungen Frau Gertrud als erste Mitarbeiterin seine Süßwaren-Produktion: Startkapital waren ein Sack Zucker, Marmorplatte, Herd, Hocker, Kupferkessel und Walze. Die Geburtsstunde der Gummibärchen schlug in dieser bescheidenen Umgebung 1922. Vorbild waren die eher bemitleidenswerten Tanzbären, die damals allerorts dem Publikum zur Belustigung vorgeführt wurden. In der Herstellung wurde statt der heute verwendeten Gelatine noch Gummi arabicum verwendet, was die Konsistenz der Gummibärchen wesentlich weicher werden ließ. Um das Jahr 2000 – im Nachgang zu BSE, einer damals neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und mit steigender Zahl von Vegetariern – entwickelte man Gummibären-Varianten, die anstelle der Gelatine-liefernden Schweineschwarten ein als besonders hitzeunempfindlich geltendes Geliermittel nutzten, das beim Abbau von Glukosesirup entsteht: – Die neue Generation der als koscher und halal bezeichneten Gummibären war geboren und eroberte schnell den Markt. Neben der eigentlichen „Entdeckerfirma Haribo“ des Gummibärchens haben sich inzwischen weitere Unternehmen auf das beliebte Gummibonbon konzentriert und sind experimentierfreudig ins süße Bärenland aufgebrochen.
Auch wenn sich die nicht unkomplizierte, viel chemisches Know-how voraussetzende Gummibärchen-Herstellung überwiegend in West- und Süddeutschland an teuren Produktionsmaschinen extra dazu eingerichteter Produktionsstätten abspielt, sind auch Berliner Unternehmen dem herzig-appetitlichen Bären-Charme erlegen und mit eigenen Rezepten dabei: So hat die 2010 gegründete Berliner Firma mind sweets unter ihrem Gründer, dem Zen-Meister Arne Schaefer, mit ihren Mitarbeitern buddhistischen Glaubens und sozial-geisteswissenschaftlichen Hintergrunds als „süße Idee des Na(s)chdenkens für Geist und Sinne“ ihre lächelnden Buddha-Bärchen an den Start gebracht. Mit Achtsamkeit wollen die vernascht und genossen sein, ganz nach dem Motto „Ansehen, riechen, schmecken, aufessen“. Anstatt Gelatine wird Apfelpektin verwendet, verrät uns die Firmensprecherin, daher sei die Konsistenz ihrer Buddha-Gummibären weicher und fruchtiger im Geschmack. Als Geschmacksgeber für die sechs verschiedenen Fruchtaromen werden, so beispielsweise für die Brombeer-Variante, Blätter und Wurzeln der Frucht verwendet, alles Bio-zertifiziert und ganz natürlich. Hergestellt werden auch sie in einer Produktionsfirma in Franken und sind u. a. im firmeneigenen Online-Shop erhältlich.
Und auch die Berliner Ampelmann GmbH hat seit 1998 Fruchtgummis in ganz eigener Gestalt im Angebot: Besonderer Verkaufshit sind ihre „Gummi-Ampelmännchen“ in Rot (Bei Rot bleib stehn…) und in Grün (Bei Grün darfst du gehn.), mit Kirsch und dem von der Autorin dieses Artikels so heiß vermissten Waldmeistergeschmack. Die herkömmliche Männchen-Variante lässt das Unternehmen bei Haribo herstellen, die vegane bei der Kalfany Süße Werbung GmbH. Erhältlich sind die Ampelmännchen in den firmeneigenen Geschäften, im Web-Shop, aber auch im Luxus-Kaufhaus und an Flughäfen.
Gottschalk hat sie vernascht, Käpt´n Blaubär hat sie als drei Enkel in Gelb, Grün und Pink, und Disneys Gummibärenbande treibt so manchen Unsinn im Namen seiner süßen Vorbilder. In Kitschplastik leuchten sie von Nachttischen, aus kaum einer Seitentasche des Aktenkoffers oder Büroschublade sind sie wegzudenken. Und sogar schon im All mit US-Astronautin Cady Colman auf der ISS-Raumstation unterwegs waren die süßen Naschbärchen, deren Originalrezept Haribo streng geheim hält. Grund genug, zur Feier des Jubiläums sich einmal selbst darin zu versuchen, die kleinen Seelentröster vegan herzustellen. Das Rezept dazu: 100 Milliliter Fruchtsaft, Früchtetee oder Bio-Cola mit 3 Esslöffeln Agartine oder 1,5 Teelöffeln Agar Agar, etwas Honig oder Agavendicksaft und 1-2 Esslöffeln Zitronensaft kurz aufkochen. Die Masse nun in Pralinen- oder Gummibärenförmchen aus Silicon füllen. Mindestens eine Stunde im Kühlschrank kalt werden lassen.
In diesem Sinne: Happy Birthday, grüne, rote, orange, gelbe und weiße Gummibärchen! Versüßt uns bitte weitere 100 Jahre in Schul- und Aktentaschen, auf Nachttischen und in Handschuhfächern – und im All!
Jacqueline Lorenz
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