Erschienen in Gazette Steglitz und Zehlendorf Mai 2022
Im März 2022 beriet die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) den Bezirkshaushaltsplan 2022/2023 mit einem Umfang von 675 Millionen Euro. Dabei basiert ein Großteil der Beträge auf Bundes- und Landesrecht. Insoweit ist der Gestaltungsrahmen der BVV begrenzt. Trotzdem entspann sich an dem vorgelegten Zahlenwerk eine kontroverse Diskussion in der BVV. Dieser Haushaltsentwurf wird nunmehr abschließend vom Abgeordnetenhaus als Teil des Berliner Gesamthaushalts bis Juni 2022 verabschiedet. Im Folgenden nehmen die Fraktionen in der BVV Steglitz-Zehlendorf zum Haushalt Stellung.
Die grüne Bürgermeisterin hat im Jahre 2020, weil sie Stellen ihres Bauamtes nicht besetzt hatte, 2,7 Mio. Euro Baumittel (2,1 Mio. Euro für die sehr notleidenden Schulen, 600.000 Euro für die Verwaltungsgebäude) nicht ausgegeben, in der Hoffnung, diese vom Senat im Jahr 2022 wieder zur Verfügung gestellt zu bekommen. Dazu war der Senat nicht bereit, sodass die grüne Bürgermeisterin einen Schaden von 2,7 Mio. Euro für den Bezirk zu verantworten hat! Die CDU hat beantragt, wenigstens den Schulen die 2,1 Mio. Euro aus dem Haushalt für Baumittel wieder zur Verfügung zu stellen, GRÜNE/SPD/FDP haben dies abgelehnt. Der Senat hat dem Bezirk kurz vor Haushaltsbeschluss sodann kurzfristig nochmals ca. 2 Mio. Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt, die grüne Bürgermeisterin hat aus diesen die 600.000 Euro für die Verwaltungsgebäude wieder zur Verfügung gestellt (der Schaden ist dennoch eingetreten, hätte sie das Geld bereits 2020 verbaut, hätten die 600.000 Euro nun für zusätzliche Ausgaben des Bezirks genutzt werden können!) aber keinen einzigen Euro für die Schulen! Wir haben den Haushalt daher abgelehnt und missbilligen das Verhalten der grünen Bürgermeisterin.
Torsten Hippe
Die Aufstellung des Bezirkshaushalts ist immer eine Herausforderung, viele Jahre der Sparpolitik und der systemischen Unterfinanzierung durch das Land haben Spuren hinterlassen. Es ist wenig überraschend, dass der erste Haushalt seit der Corona-Pandemie Steglitz-Zehlendorf vor noch größere Herausforderungen stellt. Zwar hat das Land uns Entlastungen in Folge der erhöhten Steuerschätzungen zugute kommen lassen, in vielen Bereichen musste jedoch gekürzt werden, nicht zuletzt, um Defizite aus den letzten Jahren auszugleichen. Der neuen Zählgemeinschaft ist es gelungen, innerhalb des engen Rahmens Akzente zu setzen: Mehr für Straßenbäume, Kultur, die dringend notwendige Einrichtung einer Integrationsbeauftragten und für die Einrichtung eines Streamings der BVV, um die Transparenz unserer politischen Arbeit zu erhöhen. Es bleibt jedoch dabei: Für die Bewältigung wichtiger Aufgaben der bezirklichen Verwaltung muss auch in Zukunft zu viel auf Sondervermögen und Investitionsprogramme zurückgegriffen werden. Dies nimmt dem Bezirk viel an Steuerungsmöglichkeiten und macht uns zum Bittsteller der Landesebene – dies muss sich dringend ändern!
Lukas Uhde
Der Bezirkshaushalt hat eigene Spielregeln. Wir Bezirksverordneten können nur über einen kleinen Teil der uns vom Senat zugewiesenen Mittel relativ frei verfügen. Der Spielraum wird aufgrund der desolaten Haushaltslage noch kleiner. Große Sprünge sind aktuell nicht möglich; auch wenn die politischen Pläne vorliegen. Uns war es daher wichtig, im Rahmen der Haushaltsberatungen einen unserer politischen Schwerpunkte zu stärken – die Einrichtung von Milieuschutzgebieten. Mit den zusätzlich eingestellten Mitteln wollen wir dafür sorgen, dass das Feinscreening in den möglichen Gebieten vorankommt. Wir haben uns im Rahmen des Doppelhaushaltes mit Änderungsvorschlägen zurückgehalten. Wir wollen keine Luftschlösser bauen, sondern ehrliche Politik für die Menschen in Steglitz-Zehlendorf gestalten. Zufrieden sind wir aber, dass wir trotz der Debatten der vergangenen Jahre die Personalstelle der Flüchtlingskoordination wieder im Haushalt verankern konnten. Auch konnten wir uns in Richtung Digitalisierung einen Schritt weiterbewegen, indem wir die Mittel für die längst überfällige Einrichtung eines Livestreams der BVV eingestellt haben.
Olemia Flores Ramirez
Ein Blick auf die Bevölkerungsstruktur lässt Steglitz-Zehlendorf reich erscheinen. Jedoch gehen sämtliche Steuereinnahmen komplett an das Land und dieses hält den Bezirk finanziell klein. Die Berliner Bezirke sind keine unabhängigen Kommunen. Sie generieren keine eigenen Einnahmen. Daher gibt es nur wenig Spielraum für Investitionen und Innovationen. Der Großteil aller Gelder im Haushaltsplan ist streng an bezirkliche Pflichtaufgaben gebunden. Allerdings meist ohne dabei die Personaldecke anzupassen. Auch zu erwartende Preissteigerungen (z. B. für Energie) bleiben unberücksichtigt. Zudem gewährt der Senat finanzielle Zuschüsse für Vorhaben in den Bezirken nur dann, wenn diese Projekte den politischen Vorstellungen des Senates entsprechen. Wir Freie Demokraten (FDP) sehen darin eine Klientelpolitik, die in keiner Weise den spezifischen Bedürfnissen der Bürger in unserem Bezirk nachkommt. Eine wichtige Weiche für mehr Transparenz wurde aber im aktuellen Haushalt dennoch gestellt: 15.000 Euro sind für das Streaming der BVV vorgesehen – ein erster Schritt zu mehr Teilhabe und bürgernaher Demokratie – trotz angespannter Finanzlage.
Mathia Specht-Habbel
Am 16. März hat die BVV den Bezirkshaushalt mit einem Volumen von 673 Mio. Euro beschlossen. Das hört sich nach viel an, aber das Geld kommt vom Senat und der legt auch weitgehend fest, wie dieses Geld – für Personal, für Sozialleistungen aller Art – zu verwenden ist. Nur ein kleiner Teil kann von der BVV selbst frei verfügt werden. Und das Geld reicht nicht, der Bezirk wird 2022 und 2023 jeweils 12 Mio. Minus machen.
Das hat aber auch einen „Vorteil“ – die neue grün-rot-gelbe Mehrheit im Bezirk hat in den nächsten zwei Jahren kein Geld für ihre Projekte.
Wie knapp die finanziellen Mittel in Wirklichkeit sind, zeigt folgendes Beispiel. Die neue Mehrheit im Bezirk wünscht sich dringend einen Flüchtlingskoordinator. Angesichts der aktuellen Entwicklung mag das sogar sinnvoll sein. Nur: die Stelle kostet 66.000 Euro im Jahr. Das Geld muss also anderswo weggenommen werden. Dafür soll eine Stelle in der Gottfried-Benn-Bibliothek wegfallen. Und das gerade jetzt, wo aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die Lesefähigkeit der Schüler alarmierend schlecht ist. Allen schönen Reden zum Trotz hält Grün-Rot-Gelb Bildung offenbar für überbewertet.
Volker Graffstädt
Die neue Zählgemeinschaft aus Grünen, SPD und FDP versprach „Aufbruch!“ in und für SZ. Das gilt offenbar nicht für den Doppelhaushalt 2022/23.
Nur: Wie soll Aufbruch gehen, wenn er sich nicht im Haushalt wiederfindet? Womit werden Bürger*innenbeteiligung, mehr Hilfen für obdachlose Menschen, der notwendige Ausbau der Radinfrastruktur, Stadtbäume usw. bezahlt, wenn dafür kein Geld vorgesehen ist? Auch die Stärkung der Einnahmen des Bezirks ist Fehlanzeige – obwohl z. B. eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung nicht nur Geld in die Bezirkskasse spülen, sondern auch deutlich machen würde, dass öffentliches Straßenland als Parkraum zu schade ist. Klar gab es wenig zu verteilen: der Senat weist die Mittel zu und der Großteil davon ist zweckgebunden. Aber gerade dann wäre eine deutlich politische Priorisierung so wichtig – wenn die Zählgemeinschaft es denn ernst nehmen würde mit ihrer Aussage, sie wolle es anders und besser machen als schwarz-grün in den letzten 15 Jahren. Die Linksfraktion lässt jedenfalls nicht locker und wird die Zählgemeinschaft auf den Widerspruch zwischen Anspruch und Umsetzung immer wieder hinweisen.
Pia Imhof-Speckmann
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