Erschienen in Gazette Zehlendorf Mai 2022
Die Morgennachrichten geben nur wenig Anlass zu freudigem aus-dem-Bett-Schwingen. Da steigt das Stimmungsbarometer zu Tagesbeginn oft erst nach dem Biss in ein knuspriges Brötchen oder butterzartes Croissant, beides in liebevoller Handarbeit vom Bäcker seines Vertrauens geknetet und von der netten Verkäuferin mit einem freundlichen Spruch eingetütet. – Grund genug, der Bäcker-Innung Berlin als ältestem Handwerksverband Berlins und seinen Mitgliedern anlässlich des diesjährigen 750-jährigen Bestehens ein herzliches „Dankeschön“ mit letztem Brötchenkrümel im Mundwinkel zuzurufen.
Auch wenn in der Literatur nur wenig über die frühe Geschichte der Bäcker-Innung zu finden ist, fest steht: Am 18. Juni 1272 erlaubte der Rat der Stadt Berlin die Gründung einer Bäckerzunft an der Spree. In den Folgejahrhunderten gab es nicht nur gute Zeiten für die Innung, politische und soziale Umstrukturierungen, Kriegs- und Krisenzeiten machten es den Bäckern nicht leicht. – Und doch ist es ihnen gelungen, das einst aus Mehl, Wasser und Salz wenig abwechslungsreiche Grundnahrungsmittel Brot zum begehrten Genussmittel weiterzuentwickeln. So bieten heute rund 3.000 Brotsorten appetitliche Vielfalt für jeden Geschmack. Da lässt man für eine knackige Schrippe, eine herzhafte Kümmelstange, ein krustenreiches Bauernbrot oder den frisch ergrauten Schusterjungen schon mal gerne den Belag links liegen und genießt das verführerische Backwerk mit fluffiger Krume solo oder mit einem zarten Strich frischer Butter.
Derzeit erlebt das Bäckerhandwerk eine Renaissance, wie aus Reihen des Innungsvorstandes bestätigt wird. Hochwertige und regionale Backwaren sind so beliebt wie nie, und das Bewusstsein für in Handarbeit und der Tradition verpflichtend hergestellte Lebensmittel wächst stetig. So ist – im Gegensatz zum Discounter – der Bäcker nebenan in der Lage, sein Angebot individuell und schnell an die Bedürfnisse seiner Kunden anzupassen. Gab es vor fünf Jahren noch 130 Handwerks-Bäckereien in Berlin, sind es aktuell bereits 145 Betriebe, Tendenz steigend. 61 der selbstständigen Handwerksmeister/innen mit rund 3.300 Mitarbeitenden und 300 Auszubildenden sind in der Bäcker-Innung Berlin organisiert. Diesen „echten“ Bäckereien stehen in der Hauptstadt rund 2.000 Backshops gegenüber, bestückt mit überwiegend vorgefertigten, aus dem Ausland bezogenen Teigrohlingen.
Dass das so wertvolle traditionelle Back-Handwerk mit seinen leckeren Backergebnissen weiterhin mit hoher Qualität und gutem Geschmack besticht, darauf arbeitet auch im Jahr 2022 innovativ die Innung gemeinsam mit ihren Mitgliedern, Auszubildenden und Ausbildern hin und will sich dazu weiter unter Gleichgesinnten organisieren.
2008 erwarb die Bäcker-Innung Berlin als Körperschaft des öffentlichen Rechts den Gebäudekomplex in der Lankwitzer Seydlitzstraße 5, heutiger Sitz der Innung. Seit 1890 lag der Innungssitz gemeinsam mit den Germania-Prachtsälen in der Chausseestraße in Berlin-Mitte, später dann bis zum Umzug nach Lankwitz in der Kärntener Straße in Berlin-Schöneberg.
Am aktuellen Lankwitzer Standort ebenfalls niedergelassen sind derzeit der Bäcker- und Konditoren-Landesverband Berlin-Brandenburg e. V. und die Akademie Deutsches Backhandwerk Berlin-Brandenburg, mit denen eine enge Kooperation besteht. Als freiwilliger Zusammenschluss selbstständiger Handwerksmeister in Berlin und Arbeitgeberverband vertritt die Bäcker-Innung Berlin die Interessen des Bäcker-Handwerks sowohl regional als auch überregional gegenüber Kammern, Verbänden, Behörden, der Industrie, dem Handel und der Öffentlichkeit. Bäcker-Innungs-Geschäftsführer Johannes Kamm, selbst Abkömmling einer renommierten Nordrhein-Westfälischen Bäcker-Familie, ergänzt: „Wir sind zuständig für die Förderung, Überwachung und Prüfungsabnahme in der Berufsausbildung für Bäcker/innen und Fachverkäufer/innen im Bäckerhandwerk. Daneben gehören die Betreuung, Beratung und Förderung unserer Mitgliedsbetriebe zu unseren wichtigsten Aufgaben. Hierbei unterstützen und initiieren wir unter anderem Imagewerbung für unser Handwerk. Wir unterhalten eine enge Kooperation zu der uns beruflich verwandten Konditoren-Innung Berlin.“ – Vorteile, die allen Mitgliedern der Innung uneingeschränkt zuteilwerden.
Während der dreijährigen Ausbildungszeit zum Bäcker verbringen die Auszubildenden etwa sechs Wochen in den Lankwitzer Räumen an der Seydlitzstraße. In Kooperation mit der Akademie Deutsches Backhandwerk lernen sie hier die einzelnen Handarbeit-Schritte für die Herstellung von u. a. Blätterteig, Brandteig, das Drücken von Brötchen per Hand und vieles mehr, das ihnen für ihre Lehre zugutekommt. Qualifizierungs- und Hygienekurse, Seminare und Hilfe zur Aus- und Weiterbildung sind nur ein Teil des Angebotes, welches in dem lichten hochmodernen Gebäudekomplex auf 1.800 nach neuesten umwelttechnischen Vorgaben ausgestatteten Quadratmetern viel Raum findet: Multimediale Schulungsräume, EDV-Ausbildungsraum und ein hochmoderner Küchenbereich lassen keinen Ausbildungswunsch offen. In zwei Backstuben stehen 24 komplett ausgestattete Arbeitsplätze bereit. 30 Backherde, Gärunterbrecher, zwei Kühl- und Klimaräume, klimatisierte Konditorei sowie zwei Läden mit hochmoderner Einrichtung schaffen eine realistische Arbeitsatmosphäre für angehende Bäcker, Konditoren und Fachverkäufer. An den Wänden der Flure erinnern alte Meisterbriefe an das altehrwürdige Traditionshandwerk.
Nimmt das Interesse am Bäckereihandwerk auch stetig zu, ist die Ausbildung zur Fachkraft im Verkauf doch weniger gefragt. Kaum verständlich, ist dieses Berufsbild doch ausgesprochen vielseitig: Dekorieren der Backwaren und umfangreiches verantwortungsvolles Fachwissen – gerade in Zeiten steigender Allergiker und Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten – lassen diesen Beruf zu weitaus mehr als einem reinen Verkaufsjob werden, bei dem es verführerische Düfte noch gratis dazu gibt.
Das Bäckerhandwerk blickt auf eine lange Geschichte zurück: Über 1.000 Jahre ist der Beruf des Bäckers alt. Als ältester Zunftbeleg Berlins gilt die vor 750 Jahren verfasste „Gründungsurkunde“, in der Rechte und Pflichten der anfangs nicht mehr als acht zunftangehörenden Bäcker der Stadt festgelegt waren. Das Gewerk durfte Meisterprüfungen abnehmen und prüfte zweimal wöchentlich unter strenger Ratsaufsicht Qualität und Gewicht der angebotenen Brote, die mit ihren Bestandteilen Mehl, Wasser und Salz als lebenswichtiges Grundnahrungsmittel galten, und dem von 1/4 und 1/2 Pfennig festgesetzten Preis gerecht werden mussten.
Ein harter Job war das Backen, galt es über die Jahrhunderte doch immer neue Vorschriften und Bestimmungen für einen versorgungssichernden Brotverkauf zu befolgen. Noch im 19. Jahrhundert musste der Nachweis über mindestens drei Jahre Wanderschaft zur Meisterprüfung neben dem Lehrbrief vorgelegt werden. Das hatte gute Gründe: Durch den regionalen Rohstoffbezug waren die Meisterschüler meist nur sehr einseitig auf die Verarbeitung des geografisch vorrangig vorkommenden Getreides geschult, weit über zwanzig Kleinstaaten mit eigenen Zollgrenzen bedingten bis 1871 den Verbrauch regionalen Kornes: War Roggen auf norddeutschen Böden und bei den dortigen Bäckern an vorderster Stelle zu finden, war es der Dinkel auf der Schwäbischen Alb. Auf Wanderschaft lernten die angehenden Meister neue regionale Getreidearten und Brotrezepte kennen, die allmählich einem breiteren Getreidewissen und dem Wandel des Brotes vom Grundnahrungs- zum Genussmittel den Weg ebneten. Auch heute geht es noch freiwillig auf die Walz: Derzeit allerdings sind gerade 10 Leute auf „Bäckerwalz“.
Galt bis vor 25 Jahren noch das Nachtbackverbot und durfte der Bäcker sich erst um drei Uhr die Ärmel zum Teigkneten hochkrempeln, haben sich die Arbeitsbedingungen heute deutlich verbessert. Schwere Mehlsäcke müssen kaum noch geschleppt werden, in vielen Bäckereien wird den ganzen Tag über im Schichtsystem gebacken, und dank innovativer Kühltechnologie kann das Brot in Ruhe reifen und wird erst am Morgen in den Ofen geschoben. Gab es in vergangenen Zeiten für die Bäcker eigenen Kegel- und Sportvereine, die sich ihrem besonderen Tagesrhythmus anpassten, ist das heute dank der verbesserten Arbeitsbedingungen nicht mehr notwendig. Im Laufe der Jahrhunderte waren bald schon regelmäßige Innungsversammlungen zur Pflicht geworden. Im 16. und 17. Jahrhundert war die Innung gar bemüht, Konkurrenzkämpfen unter den Bäckern entgegenzuwirken. Sich Großaufträge zu Hochzeiten und Taufen zu verschaffen, war damals verpönt, und die Bestimmungen für den täglichen, versorgungssichernden Brotverkauf waren streng. Der Verkauf erfolgte nicht vom Bäcker selbst, sondern am Verkaufsstand eines dem Rat unterstehenden „Scharrenmannes“. Und auch der Weizen- und Roggenbezug musste regional auf dem lokalen Markt erfolgen. Innerhalb der Zunft herrschte eigenes Standesbewusstsein und großer Gemeinschaftssinn, der sich in manchmal recht ausschweifenden Festivitäten, aber auch in der gemeinsamen Religionsausübung zeigte. Die größtenteils aus dem Mittelalter stammenden Statuten galten bis ins 18. Jahrhundert hinein, bedurften aufgrund der veränderten politischen und sozialen Verhältnisse dann aber einer Sanierung. Nicht immer bäckerfreundlich waren die immer neuen Reformen.
Ab 1845 war nur noch eine Innung am Ort zugelassen, so dass aus den bis dahin in Berlin sechs ansässigen Bäckerinnungen am 11. März 1847 nun die „Bäcker-Innung zu Berlin“ hervorging. Den Weg in eine Bäcker-Selbstständigkeit begleitete immer ein hoher Kostenfaktor: Extra Räumlichkeiten und ein gemauerter Ofen waren zur Ausübung des Handwerks unumgänglich, auch wenn bei den Bäckern der Wunsch nach Technisierung in ihrem Handwerk in diesen Tagen noch eher klein war. Die Innungen erhielten allmählich eine novellierte Aufwertung, ihnen wurden klare Aufgaben zuerkannt wie u. a. die Pflege des Gemeingeistes, Stärkung der Standesehre, Förderung des Verhältnisses zwischen Meistern und Gesellen, Regelung des Lehrlingswesens sowie Ausbildung, aber auch Streitschlichtung zwischen Innungsmitgliedern und ihren Lehrlingen.
Mit Krisen umgehen müssen Bäcker und Innung auch heute noch. So dürfte gerade das Jubiläumsjahr das Bäckerhandwerk vor große Herausforderungen stellen. Stiegen die Energiekosten bereits vor Jahresbeginn kräftig, ist nun eine hohe Inflationsrate zu beklagen. Dazu bereiten die seit über zwei Jahren Corona-bedingt ausbleibenden Umsätze und Großkunden-Aufträge manchem Bäcker und der Bäcker-Innung schlaflose Nächte, und Russlands Krieg gegen die Ukraine sorgt zusätzlich für explodierende Rohstoffpreise. Innungs-Geschäftsführer Johannes Kamm berichtet: „Für viele Mitgliedsunternehmen hat sich bereits der Preis für Mehl verdoppelt, und die Energiekosten schießen durch den Stopp von Nordstream2 und das drohende Aus von Nordstream1 weiter in die Höhe. Das sind aber nur die ersten Effekte des Krieges: Knapp 80 Prozent aller Sonnenblumenkerne kommen beispielsweise aus Russland und der Ukraine, durch die Sanktionen wird auch deren Preis drastisch steigen. Doch das ist nicht das größte Problem: Ganze 50 Prozent des gesamten Weizens für die Welthungerhilfe stammen aus dieser Region, die hinlänglich als Europas Kornkammer bekannt ist.“ Ein länger anhaltender Konflikt bringe Folgen, weil die Felder durch das Kriegsgeschehen nicht rechtzeitig bestellt werden und der Weizen nicht ausgesät werden könne. „Unser Bedarf an Mehl lässt sich innerhalb der EU aber zu 100 Prozent decken“, erläutert Johannes Kamm, Geschäftsführer der Bäcker-Innung Berlin. „Preissteigerungen sind im Moment nicht auf Ressourcenknappheit zurückzuführen, sondern auf eine verstärkte Nachfrage. Mehl und Hefe sind bei uns keine Mangelware.“
Eine Preisanpassung schien bereits Anfang des Jahres für viele Berliner Unternehmen des Bäckereihandwerks unausweichlich, begründet durch die weltweit gestiegenen Rohstoffpreise und Energiekosten sowie die durch Erhöhung des Mindestlohnes erhöhten Personalkosten. Eine weitere Preisanpassung für Juni dürfte nun unausweichlich sein. Ist in den letzten zwei Pandemie-Jahren der Brotumsatz in Berlin eher zurückgegangen, stieg dafür der Kuchenumsatz: Nervennahrung in Krisenzeiten.
Doch die Feier- und Wettkampflaune lässt sich die Bäcker-Innung Berlin in ihrem Jubiläumsjahr 2022 nicht verderben:
So findet vom 8. bis 11. Juni – übrigens zum 50. Mal – die Weltmeisterschaft der Bäckerjugend statt. Darin verteidigt das deutsche Team den 2019 von Lisa Sophie Schultz, Potsdam, und Moritz Metzler, Langenargen, in Frankreich erlangten Titel. Am 2. September erwartet ein Willkommenstag Azubis, und für den 14. September ist ein Festakt im Roten Rathaus mit Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey und Wirtschaftssenator Stephan Schwarz geplant. Zeitgleich findet die für zwei Jahre währende Verleihung der Goldenen Brezel statt. Und auch einige regelmäßige Qualitätsprüfungen stehen in diesem Jahr noch aus: Heiß erwartet dabei die Brötchenprüfung vom 6. bis 8. September und die beliebte Stollenprüfung am 11. November.
Weitere Informationen unter www.baecker-berlin.de
Jacqueline Lorenz
Quelle „Die Geschichte der Bäcker-Innung Berlin“ von Annette Godefroid
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