Erschienen in Wannsee Journal Juni/Juli 2022
Er war Wassersportler, Naturfreund – und hatte Geld. Zumindest war Wilhelm Conrad, Leitender Direktor der Großbank Berliner Handelsgesellschaft, vermögend genug, um Stimmings Krug zu erwerben. Der Gasthof, der durch den Selbstmord des Dichters Heinrich von Kleist eine traurige Berühmtheit erlangt hatte, lag in einiger Entfernung zum Dorf Stolpe direkt hinter der Brücke über den Wannsee. Vielleicht saß Conrad eines Tages am Fenster und blickte auf den Wannsee. Vielleicht hatte er bereits einen Plan – vielleicht hatte er auch den Bericht des Dichters Theodor Fontane in der märkischen Kreiszeitung gelesen. Conrad wollte eine Villenkolonie am Ufer des Wannsees ins Leben rufen, für eine vermögende Gesellschaft, die sich hier im Sommer trifft. Er kaufte Stimmings Krug, die dazugehörigen Ländereien und weitere unbebaute Wald- und Heidegebiete am Westufer des Wannsees.
Bei der Parzellierung und Erschließung des Geländes ließ Conrad sich nicht lumpen. Er beauftragte keinen Geringeren als den Städtischen Gartenbaudirektor Gustav Meyer mit der Planung. 1868 begann Wilhelm Conrad mit der Vermarktung und dem Verkauf der Grundstücke. Für sich selbst hatte er auch gesorgt – Stimmings Krug wurde abgerissen und an seiner Stelle entstand seine eigene Villa. Er ließ am Ufer des Wannsees weitere Villen errichten, um sie an wohlhabende Berliner zu vermieten. Diese waren zum größten Teil Mitglieder des exklusiven Clubs von Berlin, dessen langjähriger Vorsitzender Wilhelm Conrad war. Es handelte sich um einen Herrenclub, in dem reiche Künstler, Industrielle, Bankiers und Minister verkehrten. Sein Plan, diese Villen anschließend an diese Mieter weiterzuverkaufen, ging auf. Die Grundstücke waren Verkaufsschlager. 1872 bekam die neue Villenkolonie den Namen „Colonie Alsen“ Namensgeber war Conrads Schwager Louis von Colomier, der sich durch die Landschaft an die dänische Insel Alsen erinnert fühlte. Patriotismus spielte auch eine Rolle, denn den kriegsentscheidenden Sieg im Deutsch-Dänischen Krieg erkämpften die Preußen eben auf jener Insel. Die Begeisterung ging so weit, dass Conrad eine Kopie des Idstedter Löwen anfertigen ließ. Dieser Löwe blickt bis heute stolz über den Wannsee.
Viele Prominente zog es in die neue Villenkolonie am Wannsee – darunter die Maler Oscar Begas und Max Liebermann, die Verleger Fritz und Ferdinand Springer sowie den Chirurgen Ferdinand Sauerbruch. Auch der Industrielle Franz Oppenheim wohnte dort. Er lebte mit seiner ersten Frau in einer Villa am Ostufer. Nach ihrem Tod heiratete er erneut und bezog mit seiner zweiten Frau eine Villa am Westufer. In der Colonie Alsen wurde gemeinsam gefeiert – der Mittelpunkt war das Vereinshaus des VSaW. Viele der Villenbesitzer waren begeisterte Segler und schätzten auch geselliges Beisammensein. Zum 25-jährigen Bestehen der Colonie widmeten sie Wilhelm Conrad ein Gedicht:
„Strömt herbei, ihr Wanseeaten! Stimmet an den Lobgesang! Bringt dem Schöpfer großer Taten Lorbeern, die er sich errang! Dem das Große ist gelungen, was ihm Seherblick verhieß, der den märk´schen Sand bezwungen, schuf aus Sand ein Paradies.“
Zunächst waren die neu gebauten Villen am Westufer des Großen und Kleinen Wannsees reine Sommerhäuser. Im Frühjahr rollten die Möbelwagen aus der Stadt an und brachten die Möbel und weiteren Hausrat, um ihn im Herbst wieder zurückzubringen. Erst in den 1920er-Jahren begannen die Villenbesitzer, dauerhaft am Wannsee zu wohnen.
Zu den wichtigsten Faktoren für einen Erfolg der Colonie Alsen gehörte die Wannseebahn. Auch hier engagierte sich Wilhelm Conrad. Die Bahn sollte in Zehlendorf von der Stammbahn abzweigen und über Schlachtensee bis nach Wannsee fahren. So konnten die Bewohner der Colonie ihre Arbeitsplätze in der Stadt in weniger als 30 Minuten erreichen. Dass Wilhelm Conrad Aufsichtsratsvorsitzender der Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahn-Gesellschaft war, dürfte die Durchsetzung der Pläne vereinfacht haben. Dennoch bekam die Bahn, deren Strecke ab der Eröffnung am 1. Juni 1874 noch durch weitgehend unbebautes Gebiet führte, den Beinamen „Wahnsinnsbahn auf Conrädern.“ Anfangs hieß die Endstation noch „Wannensee“, wurde jedoch bereits 1878 in Wannsee geändert.
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