Erschienen in Dahlem & Grunewald Journal Juni/Juli 2022
Zu Beginn des Jahres 1990 besuchte der Istanbuler Fotograf Ergun Çağatay (1937-2018) mehrere deutsche Städte. Dabei entstand die umfangreichste Bildreportage zur türkischen Einwanderung und türkeistämmigen Präsenz in Deutschland.
Das Museum Europäischer Kulturen (MEK) zeigt rund 120 der insgesamt knapp 3.500 Aufnahmen, die mitten hinein in die Lebenswelten der ersten und zweiten Generation von türkischen Arbeitsmigrantinnen und -migranten führen und ein vielfältiges Bild ihrer Lebensrealitäten im Wendejahr 1990 zeichnen. Nach Stationen in Essen, Istanbul und Hamburg nimmt die Ausstellung die Besucher mit auf Çağatays Reise von Hamburg über Köln und Werl nach Berlin und zurück in den Westen nach Duisburg.
Neben den ortsspezifischen Arbeits- und Lebensbedingungen deutsch-türkischer Communities in diesen Städten fanden auch politische Themen immer wieder Eingang in Çağatays Motivauswahl. So dokumentierte er etwa die migrantischen Kämpfe um gesellschaftliche Teilhabe dieser Zeit. In verschiedenen Fotografien deutete er zudem den gesellschaftlichen Rechtsruck an.
Rund 30 Jahre nach dem Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei entstanden, sind Ergun Çağatays Fotos inzwischen wichtige zeithistorische Dokumente. Sie bieten eine notwendige Ergänzung zum herrschenden Narrativ der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche der Wendejahre. Die Geschichten von Migrantinnen und Migranten spielen hierbei nach wie vor viel zu selten eine Rolle. Im Begleitprogramm zur Ausstellung möchte das MEK deshalb den Raum für diese Perspektiven öffnen: Tandemführungen mit den portraitierten Personen sowie Erzählcafés werden persönliche Einblicke und Möglichkeiten zum Dialog bieten. Zum 3. Oktober wird darüber hinaus die seit mehr als 60 Jahren gewachsene deutsch-türkische Geschichte mit einem Kulturtag gefeiert.
Museum Europäischer Kulturen Arnimallee 25, 14195 Berlin-Dahlem Öffnungszeiten: Di – Fr 10 – 17 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr Wir sind von hier. Türkisch-deutsches Leben 1990. 8. Juli 2022 – 7. Februar 2023
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